Projektcoaching (24): Verunsicherung

Die­se Sta­tus­mee­tings schaf­fen mich. Ich war doch so gut vor­be­rei­tet. Fast den gan­zen Sams­tag habe ich dafür geop­fert. Ein­mal woll­te ich nicht auf dem fal­schen Fuß erwischt wer­den, woll­te per­fekt Aus­kunft geben kön­nen. Eine Fra­ge hat gereicht, um mich zu ver­un­si­chern. Schließ­lich mein ers­ter Job als Teil­pro­jekt­lei­ter. Die ande­ren haben alle so viel Erfah­rung, wis­sen genau wo sie nach­boh­ren müs­sen. Ich muss ja noch so viel lernen.

In einer neu­en Rol­le, ins­be­son­de­re in der ers­ten Füh­rungs­rol­le, fühlt sich jeder mehr oder weni­ger unsi­cher. Egal wie viel man dar­auf vor­be­rei­tet wur­de, glei­chen die ers­ten Schrit­te immer mehr einem Stol­pern. Neue Tätig­kei­ten und Ver­hal­tens­wei­sen wol­len erprobt und ein­ge­übt wer­den. Ein ganz wesent­li­cher Bestand­teil die­ses Lern­pro­zes­ses ist Feed­back. Nur lei­der gibt es das im hek­ti­schen Pro­jekt­all­tag nicht immer in hilf­rei­cher Form.

Ich war so gut in Fahrt. Die ers­ten 15 Minu­ten des Sta­tus­mee­tings sind wirk­lich gut gelau­fen. Und dann stellt mir Ste­fan, mein Pro­jekt­lei­ter, vor ver­sam­mel­ter Füh­rungs­mann­schaft die­se eine Fra­ge: „Hast Du den Mit­ar­bei­ter­ein­satz­plan schon mit dem Betriebs­rat abge­stimmt?“ Mit die­sem leicht über­heb­li­chen Unter­ton, den er in gro­ßer Run­de ger­ne benutzt. Wich­tig­tu­er. Ja, gut, Ste­fan hat mehr Erfah­rung im Pro­jekt­ma­nage­ment als ich, aber nicht so viel mehr, viel­leicht ein Jahr. Ver­dammt, war­um ist mir das mit dem Betriebs­rat durch­ge­rutscht. Das hät­te ich wis­sen müssen.

Es gibt Mit­men­schen und Kol­le­gen, die einen meist sehr über­sicht­li­chen Erfah­rungs- und Wis­sens­vor­sprung nut­zen, um sich zu pro­du­zie­ren und dabei ande­re bewusst oder unbe­wusst schlecht aus­se­hen las­sen. Dar­an kann man unmit­tel­bar nicht viel ändern. Aber man kann die eige­ne Reak­ti­on wäh­len. Das Feed­back in die­ser Form ist das eine, es als Angriff auf die eige­ne Kom­pe­tenz zu ver­ste­hen das ande­re. Zuge­ge­ben, das ist nicht ein­fach, wenn man ange­sichts der neu­en, noch unge­wohn­ten Rol­le ohne­hin schon ver­un­si­chert ist.

Nütz­lich ist in die­sem Zusam­men­hang das Vier-Ohren-Modell nach Frie­de­mann Schulz von Thun. Jede Nach­richt hat dem­nach vier Seiten:

  1. Sach­ebe­ne: Der sach­li­che Inhalt der Nach­richt. Im obi­gen Bei­spiel: „Der Mit­ar­bei­ter­ein­satz­plan muss mit dem Betriebs­rat abge­stimmt werden.“
  2. Selbst­of­fen­ba­rung: Das was der Spre­cher  bewusst oder unbe­wusst über sich selbst mit der Nach­richt preis­gibt. Im obi­gen Bei­spiel: „Ich mache mir Sor­gen, dass wir Pro­ble­me mit dem Betriebs­rat bekom­men.“ oder „Ich ken­ne die Pro­zes­se hier sehr gut.“
  3. Bezie­hungs­ebe­ne: Hier kommt zum Aus­druck wie Spre­cher und Emp­fän­ger zuein­an­der ste­hen. Im obi­gen Bei­spiel: „Du hast ja über­haupt kei­ne Ahnung.“
  4. Appell: Das was der Spre­cher mit sei­ner Nach­richt bewir­ken will. Im obi­gen Bei­spiel: „Bit­te stim­me den Ein­satz­plan mit dem Betriebs­rat ab.“

Der Emp­fän­ger hat die Wahl mit wel­chem die­ser vier Ohren ich die Nach­richt vor­an­gig hören möch­te. Er muss also nicht, wie oben gesche­hen, vor­an­gig auf die Bezie­hungs­sei­te hören und sich anschlie­ßend auch noch mit Selbst­vor­wür­fen über­zie­hen. Zumal es der Sache in keins­ter Wei­se dient: weder dem kon­kre­ten Pro­blem noch sei­ner eige­nen Ent­wick­lung. Der Emp­fän­ger kann genau­so gut auf die Sach­ebe­ne hören und viel­leicht nach­fra­gen, was genau abge­stimmt wer­den muss oder mit wem. Und danach könn­te er auf den Appell hören und eine ent­spre­chen­de Auf­ga­be notie­ren. Ohne Ärger und Selbstvorwürfe.

Lang­fris­tig wird man die Bezie­hungs­ebe­ne aber nicht aus­blen­den kön­nen, ins­be­son­de­re dann nicht, wenn sich die­ses Kom­mu­ni­ka­ti­ons­mus­ter wie­der­holt. In die­sem Fall lohnt es sich, die Bezie­hungs­ebe­ne bewusst und unter vier Augen anzu­spre­chen. Als Anre­gung für die Durch­füh­rung eines sol­chen Gesprächs möch­te sei hier­zu abschlie­ßend auf das Kon­zept der gewalt­frei­en Kom­mu­ni­ka­ti­on nach Mar­shall B. Rosen­berg ver­wei­sen. Das könn­te dann in die­sem Bei­spiel etwa so aus­se­hen: „Wenn Du mich wie eben vor ver­sam­mel­ter Mann­schaft in die­sem Ton fragst, ob ich denn den Plan mit dem Betriebs­rat abge­stimmt hät­te, dann füh­le ich mich dadurch ver­un­si­chert und her­ab­ge­setzt, weil ich in mei­ner neu­en Rol­le ger­ne voll respek­tiert wer­den möch­te. Könn­test Du Dei­ne Fra­gen und Anre­gun­gen bit­te nächs­tes Mal ein wenig anders formulieren?“

Vorangegangene Teile der Serie Projektcoaching

Bildnachweis

Das Arti­kel­bild wur­de von Won­der­la­ne unter dem Titel „Balan­cing bet­ween two tea­chers, slack­li­ne, tigh­tro­pe wal­king, Gol­den Gar­dens Park, Seat­tle, Washing­ton, USA“ auf Flickr unter eine Crea­ti­ve Com­mons Lizenz (CC BY 2.0) ver­öf­fent­licht (Bestimm­te Rech­te vor­be­hal­ten).

 

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Von Marcus Raitner

Hi, ich bin Marcus. Ich bin der festen Überzeugung, dass Elefanten tanzen können. Daher begleite ich Organisationen auf ihrem Weg zu mehr Agilität. Über die Themen Führung, Digitalisierung, Neue Arbeit, Agilität und vieles mehr schreibe ich seit 2010 in diesem Blog. Mehr über mich.

2 Kommentare

Dan­ke für die­sen wert­vol­len Bei­trag – wel­cher FK ist sowas wohl noch nicht pas­siert? Auch der Hin­weis auf Rosen­bergs GFK ist m.E. rich­tig und wich­tig. Das vor­ge­schla­ge­ne Bei­spiel ent­hält aller­dings schon im ers­ten Satz eine Inter­pre­ta­ti­on („…in die­sem Ton…“) statt einer mög­lichst unver­fälsch­ten Wahr­neh­mung und schöpft daher das Poten­ti­al zur Stress­re­duk­ti­on nicht voll aus. 

Ziel­füh­ren­der scheint mir hier zunächst die Wahr­neh­mung: „Ob ich das mit dem BR abge­stimmt habe, fragst Du?“ Dann das Anspre­chen einer (beim PL) ver­mu­te­ten Emo­ti­on: „Du machst dir Sor­gen?“ (Hier kommt dann mög­li­cher­wei­se ein höh­ni­sches Grin­sen als Reak­ti­on – soll er nur…) Und dar­an anknüp­fend die Ermitt­lung des Bedürf­nis­ses sei­tens des PL: „Um wel­che Sor­gen geht es Dir konkret?“ 

Was wie eine blau­äu­gi­ge Rück­fra­ge aus­sieht, drängt den PL dazu, jetzt Far­be zu beken­nen. WAS wur­de kon­kret ver­ab­säumt? Dar­über kann man ja sach­lich dis­ku­tie­ren. Und dann kann man auch sach­lich dar­über dis­ku­tie­ren, WER kon­kret etwas ver­ab­säumt hat. Wer weiß, was sich im Gespräch dar­aus ergibt – wo ist die­se Zustän­dig­keit denn fest­ge­legt? Könn­te gut sein, dass der PL rasch bedau­ert, sich nicht wär­mer ange­zo­gen zu haben…

Wäh­rend man mit dem Vier-Ohren-Modell selbst bei a‑pos­te­rio­ri-Erklä­run­gen immer noch auf Ver­mu­tun­gen ange­wie­sen ist (vgl. die bei­den Mög­lich­kei­ten bei der Selbst­of­fen­ba­rung), bie­tet das GFK-Sche­ma viel mehr Chan­cen, die Gesprächs­tem­pe­ra­tur aktiv und rasch auf erträg­li­che Wer­te zu sen­ken und (ver­mu­te­te) Angrif­fe ins Lee­re lau­fen zu lassen.

Vie­len Dank für den sehr hilf­rei­chen Kom­men­tar, ins­be­son­de­re hin­sicht­lich der Anwen­dung der GfK in die­ser Bei­spiel­si­tua­ti­on! Das Vier-Ohren-Modell kann mei­ner Mei­nung nach in sol­chen Situa­ti­on hel­fen, Kom­men­ta­re und Feed­back mit dem hilf­reichs­ten Ohr zu hören, um sich nicht zusätz­lich selbst mit Vor­wür­fen zu überhäufen.

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