Professionelle Intelligenz

Gun­ter Dueck wid­met sein neu­es­tes Buch „Pro­fes­sio­nel­le Intel­li­genz“ (Ama­zon Affi­lia­te-Link) der Fra­ge „Wor­auf es mor­gen ankommt“, so der Unter­ti­tel. Aus­gangs­punkt ist die pro­vo­kan­te Behaup­tung, alles Wesent­li­che ste­he im Inter­net und wird damit zur jeder­zeit und über­all ver­füg­ba­ren Com­mo­di­ty, wes­halb sich jeder Berufs­an­ge­hö­ri­ge fra­gen muss, „ob er einem Men­schen, der nach zwei Stun­den Inter­net­sur­fen noch offe­ne Fra­gen hat, noch einen wert­vol­len Rat […] geben kann“ (S. 23 bzw. die Rede auf der re:publica XI). Frü­her reich­te viel weni­ger aus um als pro­fes­sio­nell zu gel­ten. Vie­les von dem was mitt­ler­wei­le im Inter­net steht, war frü­her nur Exper­ten in gro­ßen Unter­neh­men mit ent­spre­chen­der Infra­struk­tur zugäng­lich, wes­halb der Kun­de auf Exper­ten ange­wie­sen war. Wenn wesent­li­che Tätig­keits­an­tei­le von Berufs­bil­dern zuneh­mend ins Inter­net aus­ge­la­gert wer­den, wie muss ech­te Pro­fes­sio­na­li­tät dann in Zukunft defi­niert werden?

Immer schon gab es neben der nor­ma­len Intel­li­genz des Ver­stan­des (IQ) ande­re Dimen­sio­nen und Maß­stä­be der Pro­fes­sio­na­li­tät. Durch ein­sei­ti­ge Beto­nung der ratio­na­len Intel­li­genz des Ver­stan­des in der Aus­bil­dung und im Berufs­le­ben sind die ande­ren Antei­le heu­te jedoch oft­mals ver­küm­mert. Das was wir also heu­te mehr oder weni­ger gut aus­bil­den und das was im Berufs­le­ben heu­te genutzt wird, näm­lich die nor­ma­le, ratio­na­le Intel­li­genz, wird mor­gen eine wesent­lich weni­ger domi­nan­te Rol­le spie­len. Defi­zi­te in den ande­ren Aspek­ten der Pro­fes­sio­na­li­tät wer­den wesent­lich schwe­rer wie­gen als bis­her. Wel­che Aspek­te das sind, was über­haupt unter Pro­fes­sio­na­li­tät zu ver­ste­hen ist und was sich im Bil­dungs­sys­tem und im Berufs­le­ben ändern muss, dar­um geht es in Gun­ter Duecks sehr wich­ti­gem und lesens­wer­ten Buch.

Nun ist die Behaup­tung, dass es neben dem IQ noch wei­te­re Dimen­sio­nen gibt, nicht mehr ganz frisch. Bis­her hat­ten die wei­te­ren Kon­zep­te, wie bei­spiels­wei­se die Emo­tio­na­le Intel­li­genz (EQ), aber immer den Bei­geschmack des „nice-to-have“. Gun­ter Dueck beschreibt in sei­nem Buch ins­ge­samt sechs Dimen­sio­nen der pro­fes­sio­nel­len Intel­li­genz ohne dabei aber einer den Vor­zug zu geben. Es geht ihm nicht dar­um, die heu­ti­ge Domi­nanz des IQ durch eine der ande­ren Intel­li­gen­zen zu erset­zen. Ech­te Pro­fes­sio­nals kenn­zeich­nen sich im Gegen­teil durch eine pro­fes­sio­nel­le Inte­gra­ti­on der ver­schie­de­nen Dimen­sio­nen. Was nicht hei­ßen soll, dass jeder in jeder Dimen­si­on Meis­ter­schaft erlan­gen muss, aber ken­nen und schät­zen soll­te er alle. Genau­so wie es nicht mehr reicht Exper­te in einem Fach­ge­biet zu sein ohne die angren­zen­den Fach­ge­bie­te zu kennen.

Gun­ter Dueck über­trägt zwei Begrif­fe aus einem Buch über die ver­schie­de­nen Rol­len von Unter­neh­men in Unter­neh­mens­netz­wer­ken (Levi­ne und Ian­si­ti: The Key­stone Advan­ta­ge) auf die Rol­le von Men­schen in Gesell­schaft und Unter­neh­men. Einer­seits der T‑Shape Spe­zia­list, der die Fähig­kei­ten eines Spe­zia­lis­ten (tief) mit denen eines Gene­ra­lis­ten (breit) in sich ver­eint. Ande­rer­seits die Key­sto­nes, d.h. „Pro­fes­sio­nals […], die sich um das Gelin­gen des Gan­zen küm­mern, die also den Wan­del betrei­ben und gleich­zei­tig die nor­ma­le Arbeit blü­hend erhal­ten. Sie ver­bin­den Men­schen zu funk­tio­nie­ren­den Netz­wer­ken, sie gestal­ten her­aus­for­dern­de und kon­flikt­ar­me Arbeits­um­ge­bun­gen. Sie schaf­fen die Iden­ti­fi­ka­ti­on aller mit dem Netz­werk und dem Erfolg des Gan­zen.“ (S. 57). Es zeigt sich ein­mal mehr wie unpas­send die hier­ar­chi­sche Struk­tu­rie­rung der Indus­trie­ge­sell­schaft für die Wis­sens­ge­sell­schaft ist:

Die Tren­nung in Mit­ar­bei­ter und Mana­ger bewährt sich in Com­mo­di­ty-Arbeits­um­ge­bun­gen gut. Wenn wir aber in die Exzel­lenz­ge­sell­schaft oder die Wis­sens­ge­sell­schaft auf­bre­chen, müs­sen die­se bei­den Berufs­bild­vor­stel­lun­gen wie­der bes­ser inte­griert wer­den. Füh­rungs­per­sön­lich­kei­ten soll­ten jetzt Key­stone-Rol­len ein­neh­men kön­nen, Exper­ten nicht nur Exper­ten sein, son­dern sich durch ein T‑Shape aus­zeich­nen. (S. 58)

Aber nicht nur neu­zeit­li­che Begrif­fe führt Gun­ter Dueck ein, er greift auch zurück auf Pla­tons Begriff der „Are­te“, die als Eigen­schaft von Din­gen oder Men­schen ver­wen­det wird um deren „Vor­treff­lich­keit, Bestim­mung, Taug­lich­keit oder ‚Best­mög­lich­keit‘“ (S. 84) beschreibt. In Bezug auf die Pro­fes­sio­na­li­tät liest sich das dann so:

Wah­re Pro­fes­sio­na­li­tät bringt Bei­spiel­haf­tes her­vor, was als Leit­bild oder Vor­bild für die Pro­fes­si­on im Gan­zen die­nen kann. (…) Pro­fes­sio­nals geben ihre Kunst wei­ter und leh­ren ande­re, was Are­te in der ent­spre­chen­den Pro­fes­si­on ist. Sie pas­sen die Vor­stel­lung von Are­te immer neu an. Sie küm­mern sich um die Are­te der Pro­fes­si­on als Gan­zes.“ (S. 85)

Soweit zum Ide­al­bild. Dem­ge­gen­über stellt Gun­ter Dueck den Sta­tus quo in Schu­len, Uni­ver­si­tä­ten und Unter­neh­men. Es wird sehr deut­lich, wie ver­schwen­de­risch wir von Kin­des­bei­nen an mit der für die Wis­sens­ge­sell­schaft wich­tigs­ten Res­sour­ce, unse­rer pro­fes­sio­nel­len Intel­li­genz, umge­hen. Kon­se­quent las­sen wir alles außer dem IQ ver­küm­mern und befeh­len dann Inno­va­tions- und Krea­ti­vi­täts­pro­gram­me im Unter­neh­men. Das muss sich ändern und auch dazu gibt Gun­ter Dueck Anre­gun­gen. Das Buch ist aber kein Leit­fa­den zur Umset­zung. Es ist groß­ar­tig, weil es treff­si­cher Begrif­fe zur Dis­kus­si­on über pro­fes­sio­nel­le Intel­li­genz ein­führt und defi­niert und dar­aus ein Ide­al­bild skiz­ziert. Es ist erschre­ckend und leicht pole­misch in der Ana­ly­se des Sta­tus quo. Und es ist inspi­rie­rend in den Vor­schlä­gen zur Ver­än­de­rung von Gesell­schaft und Unter­neh­men. Kurz­um: ein sehr emp­feh­lens­wer­tes Buch.

Weitere Rezensionen

Wei­te­re mir wich­ti­ge Bücher fin­den sich in den Buch­emp­feh­lun­gen. Kom­men­ta­re, Ergän­zun­gen und Anre­gun­gen sind stets willkommen.

Bildnachweis

Das Arti­kel­bild wur­de vom Eich­born Ver­lag als Pres­se­ma­te­ri­al zur Ver­fü­gung gestellt.

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Von Marcus Raitner

Hi, ich bin Marcus. Ich bin der festen Überzeugung, dass Elefanten tanzen können. Daher begleite ich Organisationen auf ihrem Weg zu mehr Agilität. Über die Themen Führung, Digitalisierung, Neue Arbeit, Agilität und vieles mehr schreibe ich seit 2010 in diesem Blog. Mehr über mich.

5 Kommentare

Ich habe mir eben ein 1,5 stün­di­ges Video (Vor­trag) zum Buch ange­se­hen und fin­de eini­ge Gedan­ken wirk­lich sehr inter­es­sant. Bemer­kens­wert fand ich sei­ne Fest­stel­lung, dass wir in man­chen Berei­chen nicht mehr als nur „Zeit­ab­schnitts­wis­sen“ erler­nen, was uns in 2 Jah­ren kaum mehr wei­ter­brin­gen wird, wäh­rend ein Inge­nieurs­stu­di­um doch „für die Ewig­keit“ währt.

Abge­se­hen davon kommt er aber auch ein­fach sym­pa­thisch rüber und ist ein guter Unterhalter.

- Andre­as

Mir gefällt beson­ders sein Spiel mit dem Begriff »Kunst«. Das habe ich in mei­ner ver­glei­chen­den Buch­be­spre­chung von Novem­ber auch the­ma­ti­siert, in dem ich die aktu­el­len Bücher von Gun­ter Dueck und Seth Godin gegen­über­stel­le: http://wp.me/p1lJ9K-tk

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