Paradigmen postindustriellen Projektmanagements

Pro­jekt­ma­nage­ment ist geprägt vom Geist der jewei­li­gen Zeit. Der Ein­fluss der wis­sen­schaft­li­chen Betriebs­füh­rung von Fre­de­rick Win­slow Tay­lor hat das Pro­jekt­ma­nage­ment seit Beginn des 20. Jahr­hun­derts bis in die heu­ti­ge Zeit zuletzt deut­lich geprägt. Was heu­te gemein­hin als Pro­jekt­ma­nage­ment beschrie­ben und zer­ti­fi­ziert wird ist meist nur die­se eine indus­tri­ell gepräg­te Mode in einer viel wei­ter zurück­rei­chen­den Dis­zi­plin Pro­jekt­ma­nage­ment. Mit der Abkehr – oder wenigs­tens mit der kri­ti­schen Aus­ein­an­der­set­zung – mit klas­si­schem Manage­ment im Zeit­al­ter der Wis­sens­ar­beit, bricht nun auch für das Pro­jekt­ma­nage­ment das post­in­dus­tri­el­le Zeit­al­ter an. Nicht zuletzt geht damit ein­her ein radi­ka­ler Wech­sel der Para­dig­men. An Stel­le von Hier­ar­chie tritt Selbst­ver­wal­tung, Umgang mit Kom­ple­xi­tät geht vor Effi­zi­enz und strik­te funk­tio­na­le Tei­lung weicht viel­fäl­ti­gen Teams.

Pro­jek­te sind tem­po­rä­re Sys­te­me. Zunächst unstruk­tu­riert und weit von einem ein­ge­schwun­ge­nen Zustand der Sta­bi­li­tät ent­fernt. Erst in die­sem sta­bi­len Zustand sind Pro­jek­te über­haupt den auf Effi­zi­enz aus­ge­rich­te­ten Metho­den des indus­tri­el­len Pro­jekt­ma­nage­ments zugäng­lich und nur dann sind die­se sinn­voll (im fol­gen­den Bild grün schat­tiert). Die­sen Zustand muss das tem­po­rä­re Sys­tem Pro­jekt aber erst errei­chen. Die­sen Pro­zess der Gestal­tung und For­mung in för­der­li­cher Wei­se her­bei­zu­füh­ren und zu beein­flus­sen ist die Füh­rungs­auf­ga­be des Pro­jekt­ma­na­ger (im Bild gelb schattiert).

Selbstverwaltung vor Hierarchie

Ein lei­der immer noch tief-ver­wur­zel­tes Para­dig­ma des Tay­lo­ris­mus ist die per­so­nel­le Tei­lung in Den­ken­de und Aus­füh­ren­de: Der Mana­ger beschreibt was der Arbei­ter aus­zu­füh­ren hat. Die­se Auf­tei­lung, die zu Beginn der Indus­tria­li­sie­rung in Anbe­tracht vie­ler unge­lern­ter Arbei­ter logisch und erfolg­reich – wenn­gleich kurz­sich­tig und unmensch­lich – war, ist heu­te im Zeit­al­ter der Wis­sens­ar­beit schlicht absurd. Ins­be­son­de­re bei Pro­jekt­teams aus hoch­spe­zia­li­sier­ten Exper­ten. An Stel­le der Anlei­tung zur Durch­füh­rung tritt im post­in­dus­tri­el­len Pro­jekt­ma­nage­ment die Anlei­tung zur Selbst­ver­wal­tung. Im klas­si­schen, tay­lo­ris­ti­schen Sin­ne gibt es kei­nen Pro­jekt­ma­na­ger mehr, son­dern viel­mehr einen Coach. Die­ser Coach muss wie ein Gärt­ner ein tem­po­rä­res Sys­tem »Pro­jekt« in sei­ner Ein­bet­tung in eine Umwelt gestal­ten, muss am Sys­tem arbei­ten, nicht im Sys­tem, denn das macht das Team selbst­ver­wal­tet besser.

Umgang mit Komplexität vor Effizienz

Ob Pro­jek­te jemals geeig­net waren, nach einem Plan mög­lichst effi­zi­ent durch­ge­führt zu wer­den, darf bezwei­felt wer­den. Schließ­lich han­delt es sich um ein­ma­li­ge Vor­ha­ben mit zu Beginn unbe­kann­ten Her­aus­for­de­run­gen. Als sicher darf gel­ten, dass Pro­jek­te in die­ser Hin­sicht in den letz­ten Jah­ren nicht weni­ger kom­plex und unsi­cher wur­den. Folg­lich muss die Effi­zi­enz als ein­zi­ges Ziel in den Hin­ter­grund tre­ten. »Haben uns ver­lau­fen, kom­men aber gut vor­an!« (Tom deMar­co) nützt niemand. 

Wich­ti­ger ist die Effek­ti­vi­tät, also das Fin­den der rich­ti­gen Lösun­gen oder das Tref­fen der rich­ti­gen Ent­schei­dun­gen in kom­ple­xem Umfeld. Natür­lich müs­sen die­se Lösun­gen dann effi­zi­ent umge­setzt wer­den, aber dar­in haben wir ja schon viel Übung. Weni­ger Übung haben wir im Erken­nen und Lösen von kom­ple­xen Fra­ge­stel­lun­gen im Team. Und noch weni­ger Übung haben wir dar­in, die schein­ba­re Inef­fi­zi­enz, die Umwe­ge und Dis­kus­sio­nen, den krea­ti­ven Pro­zess des Fin­dens der rich­ti­gen Lösung aus­zu­hal­ten. Auf­ga­be des Pro­jekt­ma­na­gers ist es, als Coach das Team zur krea­ti­ven Bewäl­ti­gung der Her­aus­for­de­run­gen zu befähigen. 

Vielfalt vor funktionaler Teilung

Effi­zi­enz ten­diert zu stan­dar­di­sier­ter Gleich­för­mig­keit. Die Pro­gram­mie­rer des Ent­wick­lungs­teams soll­ten alle mög­lichst aus­tausch­bar sein und wer­den am bes­ten en gros in Ost-Euro­pa ein­ge­kauft. Um eine vor­ge­ge­be­ne Lösung (hier ist sie wie­der die Krea­ti­vi­täts­apart­heid) umzu­set­zen sicher­lich sehr effi­zi­ent. Um zunächst über­haupt eine geeig­ne­te Lösung zu fin­den oder kom­ple­xe Fra­ge­stel­lun­gen zu bewäl­ti­gen, gewinnt die Viel­falt und Inter­dis­zi­pli­na­ri­tät wie­der an Wert. Um Lösun­gen zu fin­den braucht es Optio­nen und zwar mög­lichst unter­schied­li­che. Je homo­ge­ner das Team, des­to klei­ner der Lösungsraum.

Wer zu spät an die Kos­ten denkt, rui­niert sein Unter­neh­men. Wer immer zu früh an die Kos­ten denkt, tötet die Kreativität.

Phil­ip Rosenthal

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Bild­nach­weis: Das Arti­kel­bild wur­de von tyo unter dem Titel „Alte Fabrik“ auf Flickr unter einer Crea­ti­ve-Com­mons Lizenz (CC 2.0) ver­öf­fent­licht.

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Von Marcus Raitner

Hi, ich bin Marcus. Ich bin der festen Überzeugung, dass Elefanten tanzen können. Daher begleite ich Organisationen auf ihrem Weg zu mehr Agilität. Über die Themen Führung, Digitalisierung, Neue Arbeit, Agilität und vieles mehr schreibe ich seit 2010 in diesem Blog. Mehr über mich.

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