Sich entbehrlich machen

Vie­le Pro­jekt­lei­ter hal­ten sich selbst für die wich­tigs­te Per­son im Pro­jekt. Meist sind sie das auch tat­säch­lich. Nicht weil sie wirk­lich so wich­tig und gut wären. Viel­mehr ist es ihnen nicht gelun­gen oder sie haben es sogar unbe­wusst ver­mie­den, das Pro­jekt so zu gestal­ten, dass sie ent­behr­lich wären. Das Bestre­ben eines jeden Pro­jekt­lei­ters soll­te aber ein Pro­jekt­team sein, das ohne sein Ein­grei­fen die ver­ein­bar­ten Ergeb­nis­se lie­fern kann.

Der bes­te Füh­rer ist der, des­sen Exis­tenz gar nicht bemerkt wird, der zweit­bes­te der, wel­cher geehrt und geprie­sen wird, der nächst­bes­te der, den man fürch­tet und der schlech­tes­te der, den man hasst. Wenn die Arbeit des bes­ten Füh­rers getan ist, sagen die Leu­te: »Das haben wir selbst getan«.
Lao Tse

Ihr kennt das. Beim Pro­jekt­lei­ter lau­fen alle Fäden zusam­men. Kei­ne E‑Mail die nicht in Kopie an ihn geht, wenn nicht sogar bevor­zugt über ihn anstatt ein­fach direkt kom­mu­ni­ziert wird. Alle Ent­schei­dun­gen wer­den vom Pro­jekt­lei­ter getrof­fen, von Sub­si­dia­ri­tät kei­ne Spur. Nur er hat alle Infor­ma­tio­nen im Pro­jekt. E‑Mails beant­wor­tet er daher ger­ne auch noch abends. Er ist stän­dig erreich­bar auch und gera­de im Urlaub, das Pro­jekt muss ja wei­ter­lau­fen. Los­las­sen fällt ihm schwer, könn­te er doch etwas Wich­ti­ges ver­pas­sen oder die Mit­ar­bei­ter gar eige­ne Ent­schei­dun­gen zu treffen.

In jedem Pro­jekt gibt es selbst­ver­ständ­lich Situa­tio­nen, in denen ein inten­si­ves Ein­grei­fen des Pro­jekt­lei­ters not­wen­dig ist. Min­des­tens beim Pro­jekt­start oder bei Über­nah­me eines Kri­sen­pro­jekts. In die­sen Pha­sen gilt es, das Pro­jekt zu gestal­ten, Rol­len zu schär­fen und Pro­zes­se zu eta­blie­ren. Und zwar so, dass anschlie­ßend, wenn alle Rol­len per­fekt gelebt wür­den und alle Pro­zes­se per­fekt funk­tio­nier­ten und sich der Umfang und das Umfeld nicht änder­te, kein wei­te­res Ein­grei­fen erfor­der­lich wäre. Natür­lich ist das ein Ide­al­zu­stand, den man nie­mals erreicht. Den­noch muss genau die­ser Zustand das Ziel des eige­nen Bemü­hens als Füh­rungs­kraft im Pro­jekt sein. Kei­nes­falls darf es pas­sie­ren, dass der Pro­jekt­lei­ter zu sei­nem wich­tigs­ten Mit­ar­bei­ter wird indem er ein­fach ganz viel selbst macht.

Dabei gibt es zwei Hin­der­nis­se. Zum einen das eige­ne hel­den­haf­te Selbst­ver­ständ­nis als Pro­jekt­lei­ter. Ent­behr­lich zu sein ist schließ­lich wenig hel­den­haft. Zum ande­ren drängt oft die Zeit und dann ist es ver­lo­ckend ein­fach, schnell Mal selbst das zu erle­di­gen, was ein Mit­ar­bei­ter noch nicht oder noch nicht rich­tig gemacht hat. Dem Mit­ar­bei­ter die Auf­ga­be, den Sinn dahin­ter und die eige­ne Erwar­tungs­hal­tung klar zu machen, ist kurz­fris­tig immer müh­sa­mer, zahlt sich lang­fris­tig aber aus.

Es kommt bei­spiels­wei­se in neu­en Pro­jek­ten häu­fi­ger vor, dass mir Mit­ar­bei­ter aus Unsi­cher­heit E‑Mails schi­cken, die ich dann bloß wei­ter­lei­ten soll, um mit dem Emp­fän­ger irgend­et­was zu ver­ein­ba­ren. Natür­lich könn­te ich das dann schnell machen und mich freu­en, dass ich wich­tig bin. Bei genaue­rer Betrach­tung sind das aber meist Ver­ein­ba­run­gen die auf Arbeits­ebe­ne getrof­fen wer­den kön­nen und daher ohne mein Zutun erfol­gen soll­ten, ich will ja nicht zum Nadel­öhr wer­den. Also inves­tie­re ich ein­mal die Zeit und erklä­re dem Mit­ar­bei­ter, dass er den direk­ten Kon­takt suchen darf und soll. Erst wenn das aus irgend­wel­chen Grün­den nicht funk­tio­niert, bin ich ger­ne bereit zu hel­fen. Nicht indem ich es selbst mache, son­dern indem ich genau die­ses Gespräch auch auf der Gegen­sei­te füh­re. So oft und so nach­drück­lich wie not­wen­dig, um den gewünsch­ten Pro­zess zu etablieren.

Nach und nach eta­blie­ren sich so im Pro­jekt selbst­stän­dig lau­fen­de Pro­zes­se nach mei­nem Geschmack. Die Eigen­ver­ant­wor­tung der Mit­ar­bei­ter steigt eben­so wie ihr Selbst­ver­trau­en und ihre Moti­va­ti­on. Schließ­lich ist es extrem demo­ti­vie­rend und wenig ver­trau­ens­voll, wenn eine Füh­rungs­kraft dem Mit­ar­bei­ter zu wenig Ent­schei­dungs­spiel­raum lässt und jedes Detail mit­be­stim­men will. Der­ar­ti­ges Mikro­ma­nage­ment ent­steht lei­der oft unbe­wusst und führt meist zu einem völ­lig über­las­te­ten, unent­behr­li­chen Pro­jekt­lei­ter mit ver­un­si­cher­ten und nicht eigen­stän­dig hand­lungs­fä­hi­gen Mit­ar­bei­tern. Ziel muss aber das Gegen­teil sein: Ein­ge­schwun­ge­ne Pro­zes­se, eigen­ver­ant­wort­li­che Ent­schei­dun­gen auf Arbeits­ebe­ne und ein ent­behr­li­cher Pro­jekt­lei­ter der sei­nem Team ver­traut, dass es ihn im Fall der Fäl­le recht­zei­tig hinzuzieht.

Arti­kel­bild: Vin­ce­pal bei flickr.com (CC BY 2.0)

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Von Marcus Raitner

Hi, ich bin Marcus. Ich bin der festen Überzeugung, dass Elefanten tanzen können. Daher begleite ich Organisationen auf ihrem Weg zu mehr Agilität. Über die Themen Führung, Digitalisierung, Neue Arbeit, Agilität und vieles mehr schreibe ich seit 2010 in diesem Blog. Mehr über mich.

8 Kommentare

Hal­lo Marcus,

Pro­jekt­ma­nage­ment bedeu­tet für mich, „ein Sys­tem der Zusam­men­ar­beit zu schaf­fen, das ohne mich (als Pro­jekt­lei­ter) funk­tio­niert“. Des­halb mei­ne spon­ta­ne Reak­ti­on auf Dei­nen Arti­kel: „Tref­fer. Versenkt.“ :-)

Ein Buch kommt mir dabei in den Sinn, das unter ande­rem das The­ma „Nadel­öhr“ anschau­lich beschreibt: „Der Minu­ten-Mana­ger und der Klam­mer-Affe“. Dar­in wird beschrie­ben wie Rück­de­le­ga­ti­on funk­tio­niert und wie man sie – und damit den Nadel­öhr-Effekt – ver­mei­den kann. Das The­ma „Pro­jekt­lei­ter = Held“ ist damit aller­dings noch nicht vom Tisch.

Bes­te Grüße
Holger

Dan­ke Hol­ger! Es freut mich sehr, dass Du das glei­che Ver­ständ­nis der Rol­le Pro­jekt­lei­ter hast. Und offen­bar die glei­chen Bücher liest wie ich ;-) Und den­noch sehe ich täg­lich ande­re Exem­pla­re, die sich hel­den­haft im Pro­jekt aufarbeiten …

:o)
Kein Thema.

Übri­gens zu „Nur er hat alle Infor­ma­tio­nen im Projekt.“:
Das Span­nen­de, das ich auch jeden Tag erle­be, ist, daß vie­le Team­mit­glie­der einer­seits meckern, sie wüß­ten nicht genug über die Details.
Ande­rer­seits leh­nen sie Infor­ma­tio­nen aber auch aktiv ab. Sei es der für die Inbe­trieb­nah­me vor­be­rei­te­te Ord­ner, der komi­scher­wei­se immer wie­der beim PM lan­det, und schließ­lich in sei­nem Auto liegt; sei es die Absa­ge eines kur­zen Jour-Fixe-Mee­tings frei nach dem Mot­to „Ich habe kei­ne Zeit für so ‚nen Quatsch“; Sei es auch die Ableh­nung der Teil­nah­me am Bau­stel­len­ter­min mit den Wor­ten „Da habe ich frei. Hät­te ich Dir sagen sollen…“

Ich weiß immer noch nicht, wie ich so was nach­hal­tig in den Griff krie­gen kann, vor allem, da ich als PM nicht als Füh­rungs­kraft aner­kannt bin und damit kei­ner­lei Wei­sungs­be­fug­nis oder Ähn­li­ches habe.

Unterm Strich bleibt wieder:
„Wenn du willst das etwas rich­tig gemacht wird, mußt du es selbst tun.“

Das ist für alle ein Teu­fels­kreis, den man nur durch­bre­chen kann, wenn das Manage­ment und die Beleg­schaft gemein­sam die Fir­men­kul­tur nach­hal­tig verändern.

Hal­lo Marcus,

das erin­nert mich an mein ers­tes Mul­ti­pro­jekt, in dem das selbst­or­ga­ni­sier­te Team zunächst ein­mal bei sei­nen Chefs inter­ve­niert hat, weil sie der Mei­nung waren, ich wür­de nicht füh­ren. Es war 1 Jahr har­te Arbeit den Daten­bank­spe­zia­lis­ten bei­zu­brin­gen, dass ich als Pro­jekt­lei­ter Ihnen nicht vor­schrei­be wel­che Arbeit sie wie zu tun haben, weil sie schließ­lich die Spe­zia­lis­ten sind.
Das hat sich an vie­len Stel­len hin­ge­zo­gen und nach­dem wir das gemein­sam durch­ge­stan­den hat­ten kamen wir gegen Ende des Pro­jek­tes und noch viel mehr in den Fol­ge­pro­jek­ten als Team in die Hyper­per­for­mance und hat­ten irr­sin­ni­ge Effizienzgewinne.

Da spricht mir Thi­lo aus der See­le mit sei­nem Post, hat­te ich zur Genü­ge schon selbst erlebt. Déjà Vu sozusagen. :-)

Was noch fehlt ist aller­dings das Pro­blem mit dem Team, das irgend­wann auf die komi­sche Idee kommt man wür­de ja gar nichts arbei­ten als Pro­jekt­lei­ter, nur weil man nicht alles selbst plant und vor­gibt. Das ler­nen dann man­che erst, wenn sie es dann mal selbst ver­su­chen oder in einem ähn­li­chen Pro­jekt bei einem ande­ren Füh­rungs­stil alles vor­ge­ge­ben bekom­men und einem nach Jah­ren dann sagen, dass sie jetzt erst wis­sen, was man Ihnen alles vom Hals gehal­ten hat und wie cool das Pro­jekt und das Team waren. (Eli­mi­nie­rung stö­ren­der Einflüsse)

Hal­lo Roland,
bei Dei­nem letz­ten Absatz gebe ich das Kom­pli­ment ger­ne zurück.

Die­ses „was machst Du eigent­lich den gan­zen Tag?“ kann man durch­aus öfter mal hören.
Wenn man dann etwas irri­tiert erklärt, daß man gera­de drei Stun­den lang den Kun­den am Tele­fon ver­arz­tet hat, damit die ande­ren in Ruhe arbei­ten kön­nen, und danach dann noch das zwei­stün­di­ge Review mit dem Manage­ment durch­ge­zo­gen hat, damit die Res­sour­cen für das Team frei­ge­ge­ben wer­den, machen man­che gro­ße Augen.

Ange­nehm ist es dann, wenn es die Leu­te anders­her­um erleben:
Ich hat­te mal einen Bau­lei­ter, dem die gan­ze Zeit der Bau­lei­ter des Kun­den hin­ter­her­ge­rannt ist und Nor­men zitiert hat. Als ich dann auf der Bau­stel­le war, hat­te ich den am Hals; der Bau­lei­ter konn­te plötz­lich unge­stört arbeiten.
Abends hat er sich dann zer­knirscht zu mir an den Tisch gesetzt und sich dafür bedankt, daß ich den Baby­sit­ter gespielt habe. Das ist eine Art der Aner­ken­nung, die län­ger vor­hält als manch ande­re Aktion.

Hal­lo Roland, hal­lo Thi­lo, die Situa­ti­on die ihr beschreibt, näm­lich dass man als Pro­jekt­lei­ter man­gels ope­ra­ti­ver Hek­tik in der Kri­tik steht nicht zuzu­pa­cken, ken­ne ich nur zu gut. Und zwar aus bei­den Rich­tun­gen. In mei­nen ers­ten Pro­jek­ten als Ent­wick­ler habe ich mir die Fra­ge, was unser Pro­jekt­lei­ter eigent­lich macht, auch mehr als ein­mal gestellt. Als ich dann selbst in der Rol­le Pro­jekt­lei­ter war, habe ich begrif­fen, dass er genau rich­tig han­delt indem er dafür sorg­te, dass wir unge­stört arbei­ten konn­ten. Wie Du, Roland, schreibst muss man das Team anfangs oft recht beharr­lich in Rich­tung Sub­si­dia­ri­tät füh­ren, Kri­tik aus­hal­ten und auf kei­nen Fall nach­ge­ben und dem Aktio­nis­mus anheimfallen.

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