Vom Besitzen zum Benutzen

Die weit­aus meis­te Zeit ste­hen Autos unge­nutzt her­um. Den­noch besit­zen die meis­ten Haus­hal­te eines oder meh­re­re die­ser Steh­zeu­ge. Das Bedürf­nis nach unein­ge­schränkt fle­xi­bler indi­vi­du­el­ler Mobi­li­tät lässt sich heu­te nicht anders befrie­di­gen. Ent­spre­chend basie­ren die Geschäfts­mo­del­le der Auto­in­dus­trie dar­auf, dass jeder ein mög­lichst gro­ßes und mög­lichst neu­es Auto besit­zen will. Wenn nun aber Autos auto­nom fah­ren kön­nen, wird indi­vi­du­el­le Mobi­li­tät zum Dienst, abge­ru­fen nach Bedarf und bedient von einer Flot­te auto­nom fah­ren­der Elek­tro­au­tos. Eine dis­rup­ti­ve Ver­än­de­rung, die in Deutsch­land, wo beson­ders viel vom Auto abhängt, nicht ohne Fol­gen blei­ben wird.

Nie wer­de ich mei­nen Kin­dern erklä­ren kön­nen, dass wir in mei­ner Jugend Musik aus dem Radio auf­nah­men. Auf mitt­ler­wei­le qua­si aus­ge­stor­be­nen Audio­casset­ten. Musik war teu­er. Nur die wirk­li­chen guten Songs kauf­ten wir uns auf LP oder Sin­gle und spä­ter als CD. Die Geschäfts­mo­del­le der Musik­in­dus­trie basier­ten auf dem Ver­kauf von Musik in Form von Ton­trä­gern. Die Annah­me dahin­ter war, dass jeder Musik besit­zen muss­te um sie genie­ßen zu kön­nen. Der Besitz war aber nur das Mit­tel zum Zweck. Eigent­lich wol­len die Men­schen nur Musik hören. Dazu müs­sen sie die Musik heu­te aber nicht mehr besit­zen, son­dern kön­nen bei Strea­ming­diens­ten wie Spo­ti­fy die Nut­zung so ziem­lich aller Musik­ti­tel gegen eine gerin­ge monat­li­che Gebühr abon­nie­ren. Zwar pro­du­ziert und ver­treibt die Musik­in­dus­trie immer noch in Per­fek­ti­on Ton­trä­ger, nur wol­len die immer weniger.

Die Freu­de am Auto­fah­ren ist uns längst ver­gan­gen durch Staus, Park­platz­su­che und dem schlech­ten Gewis­sen ange­sichts der Kli­ma­er­wär­mung. Bei Jugend­li­chen büßt das Auto seit Jah­ren sei­nen Nim­bus als Sta­tus­sym­bol für Unab­hän­gig­keit und Frei­heit ein zu Guns­ten des neu­es­ten Smart­phones. Für die brei­te Mas­se führt heu­te aber kein Weg am eige­nen Auto vor­bei. Noch nicht.

Stel­len Sie sich vor, Sie könn­ten ein Auto bei Bedarf ein­fach rufen. Nur das Ziel der Fahrt per Smart­phone ein­ge­ben und weni­ge Minu­ten spä­ter wer­den Sie abge­holt. Und das alles im Rah­men einer monat­li­chen Flat­rate, die deut­lich nied­ri­ger ist als die monat­li­chen Kos­ten für ihr frü­he­res eige­nes Auto. Wäh­rend der Fahrt kön­nen Sie nach Her­zens­lust das Smart­phone benut­zen oder ein Buch lesen. Oder Sie haben sich für die güns­ti­ge­re Poo­ling-Opti­on ent­schie­den und unter­hal­ten sich nun mit ihren Mit­fah­rern. Die Park­platz­su­che ent­fällt natür­lich kom­plett. Das Auto setzt Sie ein­fach ab und fährt wei­ter zum nächs­ten Auf­trag oder zum Aufladen.

Eine Uto­pie? Eher nicht. Eigent­lich nur das Geschäfts­mo­dell von Uber mit dem win­zi­gen aber ent­schei­den­den Unter­schied, dass die Fahr­zeug­flot­te auto­nom fährt. Dadurch dass kei­ne Fah­rer mehr benö­tigt wer­den, die damit ihr Geld ver­die­nen, ver­än­dert sich aber die Kos­ten­struk­tur mas­siv und monat­li­che Raten­mo­del­le wie bei Spo­ti­fy rech­nen sich sowohl für die Anbie­ter als auch für die Kun­den. Der Chaf­feur wird plötz­lich erschwing­lich für alle.

Empowe­ring“ inno­va­tions trans­form com­pli­ca­ted, cos­t­ly pro­ducts that pre­vious­ly had been available only to a few peo­p­le, into simp­ler, che­a­per pro­ducts available to many. Empowe­ring inno­va­tions crea­te jobs for peo­p­le who build, dis­tri­bu­te, sell and ser­vice the­se products.
Clay­ton Christensen

Soll­ten sich der­ar­ti­ge Mobi­li­täts­diens­te in den nächs­ten Jah­ren (ich bin nicht so blau­äu­gig Jahr­zehn­te zu schrei­ben, obwohl ich es mir für den Stand­ort Deutsch­land wün­schen wür­de) durch­set­zen, wäre die logi­sche Kon­se­quenz, dass immer weni­ger Men­schen ein eige­nes Auto kau­fen wer­den. Zwar wird der Markt für auto­nom fah­ren­de Elek­tro­au­tos deut­lich wach­sen, aber der Markt in Sum­me um ein Viel­fa­ches davon schrump­fen. Ein eige­nes Auto, das zum Spaß noch selbst gefah­ren wird, wird zur kost­spie­li­gen Lieb­ha­be­rei wer­den, denn auch die Ver­si­che­run­gen wer­den schnell erken­nen, dass der Mensch Unfall­ur­sa­che Num­mer eins ist und bleibt. Die gute Nach­richt ist also, dass das Auto wie wir es ken­nen über­le­ben wird. Die schlech­te aller­dings, dass es ein Nischen­pro­dukt für Lieb­ha­ber wer­den wird wie es die Vinyl­plat­te heu­te schon ist.

Ein Kenn­zei­chen für die­se dro­hen­de dis­rup­ti­ve Ver­än­de­rung ist das Auf­tau­chen völ­lig neu­er und markt­frem­der Kon­kur­ren­ten wie Apple, Goog­le und Tes­la. Natür­lich fehlt die­sen die Erfah­rung, ein Auto wie wir es heu­te ken­nen zu bau­en. Das wol­len sie aber auch gar nicht. Sie wol­len das Auto von mor­gen bau­en (und Tes­la zeigt heu­te schon, dass das beängs­ti­gend schnell und gut geht). Und das besteht aus ein­fa­che­ren Hard­ware-Kom­po­nen­ten als die Autos heu­te (ein Elek­tro­mo­tor ist deut­lich ein­fa­cher als ein Ver­bren­nungs­mo­tor und benö­tigt zudem kein Getrie­be). Dafür bekommt die Soft­ware einen ganz ande­ren Stel­len­wert. Daim­ler-Chef Zet­sche hat also einer­seits recht, dass Apple kei­ne schlaf­lo­sen Näch­te hät­te beim Auf­tau­chen des Gerüchts eines Mer­ce­des-Smart­phones. Ande­rer­seits macht er einen gra­vie­ren­den Feh­ler, dar­aus zu fol­gern, dass die ange­stamm­ten Auto­mo­bil­her­stel­ler kei­ne Angst vor einem Auto von Apple oder Goog­le haben müss­ten (mitt­ler­wei­le hat er auch ein­ge­stan­den, dass Apple und Goog­le mehr kön­nen als man bei Daim­ler bis­her glaub­te). Hoch­mut kommt bekannt­lich vor dem Fall.

Share This Post

Von Marcus Raitner

Hi, ich bin Marcus. Ich bin der festen Überzeugung, dass Elefanten tanzen können. Daher begleite ich Organisationen auf ihrem Weg zu mehr Agilität. Über die Themen Führung, Digitalisierung, Neue Arbeit, Agilität und vieles mehr schreibe ich seit 2010 in diesem Blog. Mehr über mich.

8 Kommentare

Ich fürch­te, Du hast oben „Jah­re“ und „Jahr­zehn­te“ vertauscht.
Oder habe ich den Absatz falsch interpretiert?
Eine bal­di­ge Umset­zung ist wün­schens­wert, aber nicht realistisch…

Ich habe bewusst Jah­re geschrie­ben. Ich wür­de mir Jahr­zehn­te wün­schen für unse­re Indus­trie, aber das ist unrea­lis­tisch. Die­se Ver­än­de­rung, wird schnel­ler kom­men als vie­le glauben.

Inter­es­san­te Ansätze.

Noch inter­es­san­ter fin­de ich, daß es auch eine wirt­schaft­lich loh­nen­de Geschich­te für Unter­neh­men wäre.

Als mein Vater noch lei­ten­der Ange­stell­ter eines Elek­tronik­kon­zerns war, hat­te er eini­ge Außen­dienst­ler im Team, die zu den Kun­den raus­ge­fah­ren sind und Auto­ma­ti­sie­rungs­pro­jek­te ver­kauft haben.

Da die Kun­den oft in damals struk­tu­rell noch nicht ent­wi­ckel­ten Regio­nen saßen, wur­de das in der Regel mit dem Dienst­wa­gen erledigt.

Selbst­ver­ständ­lich brach­ten sei­ne Mit­ar­bei­ter, genau wie jeder ande­re Außen­dienst­ler auch, viel Zeit am Steu­er des Autos.

Das emp­fand er aller­dings als tote Zeit und brach­te damals meh­re­re Vor­schlä­ge auf den Tisch:

Nutzung der damals neu aufgekommen portablen Computer (E-Mail gab es noch nicht, aber zaghafte Anfänge, jedem Mitarbeiter den Zugang zu Computern zu ermöglichen)

Nutzung von portablen C-Netz-Telefonen (damals fest eingebaute Autotelefone auf Basis des Philips Porty)

Einstellung von Fahrern für Führungskräfte und Außendienstler, damit diese während der Fahrt arbeiten (also telefonieren, Notizen erstellen, Memos schreiben) könnten.

Nutzung der damals aufkommenden, hochpreisigen Schnellzugverbindungen (ICE etc.) statt der Autofahrt über die Hauptverkehrsstrecken.

Kom­mer­zi­ell hät­te sich das schnell gerech­net, wenn man in Betracht zieht, daß der eine oder ande­re Mit­ar­bei­ter schon mal 2 – 3 Arbeits­ta­ge pro Woche am Steu­er verbrachte.

Aller­dings schei­ter­te das an den alt­her­ge­brach­ten Denkmodellen:

Chauf­feu­re durf­te es nur für die ganz hohen Her­ren rund um den CEO geben.

Fah­rer für das „Fuß­volk“ (an den genau­en Begriff erin­ne­re ich mich nicht; ich war damals kaum mehr als ein Stepp­ke) wür­den hier an der Vor­macht­stel­lung des Manage­ment rütteln.

Mobi­le Com­pu­ter waren damals noch Hexen­werk und zudem teu­er. Vor­ge­setz­te hat­ten Ter­mi­nals auf dem Schreib­tisch, um die weni­gen Memos der „Alten“ zu lesen oder Berich­te zu schrei­ben, die dann auf dem Groß­rech­ner landeten.

PCs kamen spä­ter, mobi­le PCs viel spä­ter, meist als Pro­gram­mier­ge­rä­te für die Automatisierungsrechner.

Tele­fo­ne waren eben­falls ein Pri­vi­leg, das nor­ma­le Mit­ar­bei­ter erst viel spä­ter genos­sen (und zum Teil dann auch bereuten)

Auto­te­le­fo­ne gar, mit ihren ent­spre­chen­den Anschaf­fungs­kos­ten und minüt­li­chen Gebüh­ren (damals irgend­was um die 2 D‑Mark pro Minu­te), gab es auch nur für hohe Füh­rungs­kräf­te, die dafür flei­ßig wäh­rend der Fahrt telefonierten.

Ver­mut­lich war er mit sei­nen Ansich­ten nur 20 Jah­re zu früh dran; viel­leicht ist es aber auch ein Relikt unse­rer Management‑1.0‑Prägung, die ver­hin­dert, sowohl mensch­lich als auch betriebs­wirt­schaft­lich sinn­vol­le Ände­run­gen ein­zu­füh­ren und damit das Öko­sys­tem „Unter­neh­men“ ein paar Schrit­te vor­an­zu­brin­gen, nur um bestehen­de Pfrün­de und Sta­tus­sym­bo­le als sol­che zu erhal­ten. (Hier hat sich in mei­ner Wahr­neh­mung seit den 1980er Jah­ren übri­gens nichts getan)

Das The­ma „Auto­no­mes Fah­ren“ und „Mobi­li­tät als Dienst­leis­tung“ hat durch­aus das Poten­ti­al, hier wei­te­re gro­ße Pfrün­de nie­der­zu­rei­ßen, und wei­te­re Dienst­leis­tun­gen für die All­ge­mein­heit zugäng­lich zu machen.

Die span­nen­de Fra­ge, die sich in Deutsch­land aber genau­so stel­len wird:

Wie gehen wir im Wech­sel zwi­schen „Pri­vat“ und „Beruf­lich“ mit den Kos­ten und Ansprü­chen­um? Und wie defi­nie­ren wir die unter­schied­li­che Nutzung?

Bei Mobil­te­le­fo­nen, Dienst- und Fir­men­wa­gen und ande­ren Leis­tun­gen dis­ku­tie­ren wir abend­fül­lend über Din­ge wie geld­wer­ten Vor­teil; „BYOD“ schei­tert regel­mä­ßig an der Unmög­lich­keit* der steu­er­li­chen Wür­di­gung gemisch­ter dienst­lich-pri­va­ter Nut­zung, und letzt­lich auch an Datenschutzbedenken.

(Der Klas­si­ker ist die für mich nor­ma­le Dienst­rei­se mit zwei Lap­tops und zwei Han­dys im Gepäck – „Kei­ne beruf­li­chen Daten auf pri­va­ten End­ge­rä­ten“ vs. „Kei­ne pri­va­te Nut­zung dienst­li­cher Geräte“)

Ich bin gespannt, glau­be aber auch, daß sich das in Deutsch­land über Jahr­zehn­te zie­hen wird, wie es bei ande­ren Umwäl­zun­gen vor­her auch war.

Ver­mut­lich wird sich der Wan­del erst im pri­vat-per­sön­li­chen Bereich voll­zie­hen, ehe die Unter­neh­men auf die Idee kom­men, die­sen auch für sich und ihre Mit­ar­bei­ter zu nutzen.

*Unmög­lich eigent­lich nicht. Es ist eher ein Unwil­le zu krea­ti­ven Lösun­gen zu erken­nen und die Unfä­hig­keit ein­zu­se­hen, daß die­se Dis­kus­sio­nen lang­fris­tig nicht wert­hal­tig sein können.

Ein sehr schö­ner Ver­gleich mit der Musik-Indus­trie. Ich fürch­te auch, dass unse­re Auto­in­dus­trie und die damit ver­bun­de­nen Arbeits­plät­ze schnel­ler Pro­ble­me bekom­men als uns lieb ist.
Viel­leicht hilft der Arti­kel eini­gen Ent­schei­dern, schnel­ler umzu­den­ken. Der VW-Skan­dal ist für mich lei­der ein Vor­bo­te der mög­li­chen Pro­ble­me für die deut­sche Wirtschaft.

Umden­ken ist das eine, die jahr­zehn­te­al­ten Struk­tu­ren und Pro­zes­se des Indus­trie­zeit­al­ters umzu­bau­en aber etwas ganz anders.

Ein auto­nom fah­ren­des Gemein­schafts­auto ist aber wie ein öffent­li­ches Ver­kehrs­mit­tel, bei dem nicht weiß, wer vor­her auf die Pols­ter gekrü­melt hat. Das schreckt auch vie­le Men­schen ab.

So ein Auto ist ein ja auch ein biß­chen ein zusätz­li­ches Zim­mer der eige­nen Woh­nung – man will eige­ne Gegen­stän­de dort her­um­lie­gen las­sen, sel­ber über die Innen­ein­rich­tung ent­schei­den usw.

Man darf nicht nur das Fah­ren betrach­ten, es gibt auch vie­le wei­te­re emo­tio­na­le Aspek­te, die mit dem eige­nen Auto ver­knüpft sind.

Rich­tig. Dar­um wird es bestimmt auch nach wie vor Men­schen geben die ein eige­nes Auto besit­zen wol­len und sich das auch leis­ten kön­nen. Es wer­den aber sehr viel weni­ger sein als heu­te. In Sum­me bin ich mir sicher, dass der Markt für Autos dadurch deut­lich schrump­fen wird. Und das ist ein Pro­blem, wenn die Geschäfts­mo­del­le auf dem Ver­kau­fen von Autos beruhen.

Schreibe einen Kommentar