Projekte im Dickicht der Rollen

Weni­ger, aber bes­ser. Die­sen Leit­spruch des berühm­ten deut­schen Desi­gners Die­ter Rams wür­de ich mir auch für Vor­ge­hens­mo­del­le wün­schen. Je mehr Rol­len ein Vor­ge­hens­mo­dell ent­hält und je mehr mehr die­ser Rol­len „Mana­ger“ ent­hal­ten, des­to kaput­ter ist es.

Orga­ni­sa­tio­nen geben ihren vie­len Pro­jek­ten mit einem Vor­ge­hens­mo­dell gern einen fes­ten Ori­en­tie­rungs­rah­men zur Durch­füh­rung. Ein sol­ches Modell beschreibt also die Art und Wei­se, wie in der jewei­li­gen Orga­ni­sa­ti­on Pro­jek­te durch­ge­führt wer­den, wel­che Pha­sen und Ergeb­nis­se erwar­tet wer­den und auch wel­che Rol­len es geben muss oder kann. So weit, so verständlich.

In Pro­jek­ten gibt es ganz unter­schied­li­che Auf­ga­ben, die ganz unter­schied­li­che Exper­ti­se ver­lan­gen. Gera­de die­se Inter­dis­zi­pli­na­ri­tät kenn­zeich­net ja ein Pro­jekt. In Soft­ware­pro­jek­ten wird spe­zi­fi­ziert, pro­gram­miert, gebaut, instal­liert, getes­tet, betrie­ben und vie­les mehr. Die Auf­ga­ben müs­sen im Team ver­teilt und erle­digt wer­den. Und es scha­det dazu auch sicher nicht die Auf­ga­ben zu beschrei­ben. Ob es dafür jeweils Rol­len und Rol­len­be­schrei­bun­gen braucht, ist aller­dings eine ganz ande­re Frage.

Unter­schei­de ohne zu tren­nen – ver­bin­de ohne zu egalisieren.
Her­bert Pietschmann

Eine Rol­le hat auch immer etwas Tren­nen­des. Es wer­den neben den Auf­ga­ben auch Kom­pe­tenz (was darf die­se Rol­le ent­schei­den) und Ver­ant­wor­tung (wofür ist die­se Rol­le ver­ant­wort­lich) beschrie­ben. Und damit eben auch, was die Rol­le nicht ent­schei­den darf und wofür sie nicht ver­ant­wort­lich ist. Vor­ge­hens­mo­del­le mit vie­len Rol­len und detail­lier­ten Rol­len­be­schrei­bun­gen sehen Pro­jek­te also eher mecha­nis­tisch. Wie bei einer Maschi­ne wer­den die Kom­po­nen­ten und wie sie zusam­men­ge­setzt wer­den beschrie­ben. Die Grund­idee dabei ist, dass die Maschi­ne wie geplant funk­tio­niert, wenn jedes Teil sei­ne Funk­ti­on wie beschrie­ben erfüllt. Die Ein­zel­tei­le küm­mert es dabei nicht und muss es auch nicht küm­mern, wel­chen Zweck die Maschi­ne erfül­len soll.

Tra­di­tio­nal hier­ar­chies and their ple­tho­ra of built-in con­trol sys­tems are, at their core, for­mi­da­ble machi­nes that breed fear and distrust.
Fre­de­ric Laloux

Für wie­der­keh­ren­de, plan­ba­re und immer­glei­che Tätig­kei­ten ist die­se mecha­nis­ti­sche Sicht­wei­se effi­zi­ent und ziel­füh­rend. Sobald aller­dings, wie bei den meis­ten Pro­jek­ten, Unsi­cher­heit in Spiel kommt und der Weg zum Ziel gemein­sam gefun­den wer­den muss, sind abge­grenz­te Rol­len kei­ne Lösung, son­dern ein Pro­blem. Statt neben­ein­an­der (und oft genug gegen­ein­an­der) die Auf­ga­ben abzu­ar­bei­ten, braucht es mehr Mit­ein­an­der im inter­dis­zi­pli­nä­ren Team mit einem kla­ren Blick auf den gemein­sa­men Auf­trag und die gemein­sa­me Ver­ant­wor­tung. Agi­le Model­le wie Scrum oder Kan­ban ken­nen daher auch nur ganz weni­ge Rollen.

Letzt­lich sind Vor­ge­hens­mo­del­le mit ihrem Dickicht an Rol­len aber auch nur Abbild der umge­ben­den Orga­ni­sa­ti­on. Je mecha­nis­ti­scher und je höher der Grad an funk­tio­na­ler Tei­lung, des­to mehr Rol­len wer­den auch den Pro­jek­ten vor­ge­schrie­ben. Das Ergeb­nis sind see­len­lo­se Pro­jekt­ma­schi­nen vom Fließ­band, in denen jeder peni­bel auf sei­ne Auf­ga­be schaut und die Schuld beim ande­ren sucht. Eine fata­le Kon­stel­la­ti­on bei immer kom­ple­xer wer­den­den Auf­ga­ben­stel­lun­gen, die nur noch mit­ein­an­der durch gemein­sa­mes Aus­pro­bie­ren und Ler­nen bewäl­tigt wer­den können.

The sto­ry of the glo­bal work­force is a sad tale of was­ted talent and energy.
Fre­de­ric Laloux

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Von Marcus Raitner

Hi, ich bin Marcus. Ich bin der festen Überzeugung, dass Elefanten tanzen können. Daher begleite ich Organisationen auf ihrem Weg zu mehr Agilität. Über die Themen Führung, Digitalisierung, Neue Arbeit, Agilität und vieles mehr schreibe ich seit 2010 in diesem Blog. Mehr über mich.

4 Kommentare

Hal­lo Mar­cus, vol­le Zustim­mung, uns treibt offen­sicht­lich gera­de ähn­li­ches um, LG Eberhard

http://www.pentaeder.de/projekte/2016/04/25/projekt-splitter-1-so-einfach-wie-moeglich/

Mar­cus, Du beschreibst hier eine für mich gefühlt rela­tiv neue Entwicklung.
Ich hat­te sei­ner­zeit (nach dem PMCamp Dorn­birn) schon mal eine der Aus­wir­kun­gen hingewiesen.

https://thilographie.wordpress.com/2015/11/30/mu5terbr3chen-holschuld-bringschuld/

Nicht die Rol­len­be­schrei­bung an sich ist das Pro­blem, son­dern das stän­di­ge „Zurecht­stut­zen“ der Mit­ar­bei­ter, wenn sie (im Inter­es­se des Pro­jek­tes) rein theo­re­tisch defi­nier­te Kom­pe­ten­zen überschreiten.
Dann folgt „Dienst nach Vor­schrift“ im schlech­tes­ten Sinne.

Ob und inwie­weit das eine neue Ent­wick­lung ist oder in letz­ter Zeit schlim­mer wur­de, hat­te ich noch gar nicht über­legt. Viel­leicht liegt das ja auch an der zuneh­men­den Unsi­cher­heit in der sich Unter­neh­men und Pro­jek­te bewe­gen: Dann ten­diert man leicht dazu sich stär­ker in Rol­len und Pro­zes­se zu flüch­ten und abzugrenzen.

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