Führung zur Selbstführung

Ein wesent­li­ches Prin­zip im agi­len Mani­fest im Spe­zi­el­len und in fort­schritt­li­chen (tür­ki­sen, in der Ter­mi­no­lo­gie von Fre­de­ric Laloux) Orga­ni­sa­tio­nen im All­ge­mei­nen ist die Selbst­or­ga­ni­sa­ti­on. In eher tra­di­tio­nell-hier­ar­chi­schen Kom­man­do- und Kon­troll­struk­tu­ren führt die­ses Prin­zip neben der Erkennt­nis, dass tay­lo­ris­ti­sches Manage­ment offen­sicht­lich über­holt ist zu der inter­es­san­ten Fra­ge, ob und wie Füh­rung im Kon­text von Agi­li­tät aus­se­hen soll­te. Dabei ist die­se Fra­ge eigent­lich gar nicht neu, son­dern von Peter F. Dru­cker schon vor län­ge­rer Zeit im all­ge­mei­ne­ren Kon­text der Wis­sens­ar­beit und der Füh­rung von Wis­sens­ar­bei­tern beant­wor­tet wor­den: „One does not ‚mana­ge‘ peo­p­le. The task is to lead people.“

Even if employ­ed full-time, fewer and fewer peo­p­le are „sub­or­di­na­tes“ — even in fair­ly low-level jobs. Incre­asing­ly they are „know­ledge workers.“ And know­ledge workers are not sub­or­di­na­tes; they are „asso­cia­tes.“ For, once bey­ond the app­ren­ti­ce stage, know­ledge workers must know more about their job than their boss does — or else they are no good at all.
Peter F. Dru­cker, Management’s New Para­digm, 1998

Das Wesen der Arbeit und der Arbei­ter hat sich seit dem Beginn der Indus­tria­li­sie­rung und der Erfin­dung des moder­nen Manage­ments grund­le­gend geän­dert. Immer mehr Arbei­ter sind zu einem gro­ßen Teil Wis­sens­ar­bei­ter, was bedeu­tet, dass ihre Auf­ga­be im Wesent­li­chen nicht mehr nur dar­in besteht defi­nier­te Arbei­ten zu ver­rich­ten, son­dern mit ihrem Wis­sen und ihrer Erfah­rung stets neue Pro­ble­me zu lösen. Die Wis­sens­ar­bei­ter sind Spe­zia­lis­ten und wis­sen tat­säch­lich mehr über ihre Arbeit und als ihr Vor­ge­setz­ter, was ein grund­le­ge­nes Para­dig­ma des Tay­lo­ris­mus auf den Kopf stellt. Damit muss sich natür­lich auch das Ver­hält­nis von Füh­rungs­kraft und Geführ­tem grund­le­gend ändern, wenn es für Wis­sens­ar­bei­ter irgend­wie art­ge­recht zuge­hen soll. Oder bes­ser gesagt: es müss­te sich grund­le­gend ändern, weil die meis­ten Unter­neh­men die­sen Wan­del noch nicht annä­hernd voll­zo­gen haben.

Their rela­ti­onship, in other words, is far more like that bet­ween the con­duc­tor of an orches­tra and the instru­men­ta­list than it is like the tra­di­tio­nal supe­ri­or-sub­or­di­na­te rela­ti­onship. The supe­ri­or in an orga­niza­ti­on employ­ing know­ledge workers can­not, as a rule, do the work of the sup­po­sed sub­or­di­na­te any more than the con­duc­tor of an orches­tra can play the tuba.
Peter F. Dru­cker, Management’s New Para­digm, 1998

Das Ver­hält­nis von Füh­rungs­kraft und Wis­sens­ar­bei­ter ähnelt also viel­mehr dem zwi­schen Diri­gent und Musi­ker im Orches­ter. Hin­sicht­lich der Fähig­kei­ten offen­sicht­lich, aber auch hin­sicht­lich der Macht­ver­hält­nis­se: Die Macht­po­si­ti­on von Wis­sens­ar­bei­tern gegen­über der Füh­rungs­kraft ist eine völ­lig ande­re als die des prin­zi­pi­ell leicht aus­tausch­ba­ren Arbei­ter im Tay­lo­ris­mus. Peter F. Dru­cker ergänzt im oben genann­ten Arti­kel näm­lich zu Recht, dass ein Wis­sens­ar­bei­ter sei­nen Vor­ge­setz­ten eben­so leicht und effek­tiv sabo­tie­ren kann wie ein Musi­ker einen auto­kra­ti­schen Dirigenten.

What this means is that even full-time employees have to be mana­ged as if they were vol­un­teers. […] Know­ledge workers own their means of pro­duc­tion, which is their know­ledge. Their means of pro­duc­tion are theirs, unli­ke the machi­nery, the buil­dings, the raw mate­ri­als that indus­tri­al workers requi­re to do their jobs.
Peter F. Dru­cker, Management’s New Para­digm, 1998

Trotz­dem braucht es Füh­rung. Auch und gera­de in Zei­ten der Wis­sens­ar­beit muss Füh­rung Ori­en­tie­rung geben. (Nicht zuletzt des­we­gen kennt auch Scrum die Rol­le des Pro­duct-Owners der in gewis­ser Wei­se die fach­li­che Füh­rung über­nimmt.) Ob es für die­se Füh­rungs­funk­ti­on tat­säch­lich Füh­rungs­kräf­te geben muss oder ob sie von selbst­or­ga­ni­sier­ten Ein­hei­ten ander­wei­tig umge­setzt wer­den kann, ist dann eine ande­re Fra­ge, auf die der dm-Grün­der Götz W. Wer­ner eine kla­re Ant­wort hat: „Füh­rung ist heu­te nur noch legi­tim, wenn sie die Selbst­füh­rung der anver­trau­ten Mit­men­schen zum Ziel hat.“ Füh­rung gibt es für Götz W. Wer­ner also nur noch die­nend und unter­stüt­zend mit dem Ziel der Selbst­füh­rung der anver­trau­ten Mit­men­schen. Füh­rungs­kräf­te braucht es dafür allen­falls tem­po­rär, um Selbst­füh­rung zu ermög­li­chen und den Weg zu begleiten.

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Von Marcus Raitner

Hi, ich bin Marcus. Ich bin der festen Überzeugung, dass Elefanten tanzen können. Daher begleite ich Organisationen auf ihrem Weg zu mehr Agilität. Über die Themen Führung, Digitalisierung, Neue Arbeit, Agilität und vieles mehr schreibe ich seit 2010 in diesem Blog. Mehr über mich.

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