Führen ohne Macht: Die Verantwortung des Wissensarbeiters

The manage­ment of know­ledge workers should be based on the assump­ti­on that the cor­po­ra­ti­on needs them more than they need the cor­po­ra­ti­on. (…) They have both mobi­li­ty and self-con­fi­dence. This means they have to be trea­ted and mana­ged as volunteers.[1. Peter F. Dru­cker, Manage­ment Rev Ed. S. 56]

Füh­ren ohne Macht hat­te die Bedeu­tungs­lo­sig­keit for­ma­ler Macht in der Füh­rung von Wis­sens­ar­bei­tern zum The­ma. Die ent­schei­den­den Pro­duk­ti­ons­mit­tel, das Wis­sen und die Erfah­rung, gehö­ren dem ein­zel­nen Mit­ar­bei­ter, wodurch die­ser zum neu­en Kapi­ta­lis­ten auf­steigt. Er for­dert, völ­lig zu Recht, mehr als Part­ner denn als Unter­ge­be­ner behan­delt zu wer­den. Jedoch hat die gewon­ne­ne Macht auch eine Kehrseite:

Macht und Ver­ant­wor­tung sind untrenn­bar mit­ein­an­der ver­bun­den. (Kon­rad Adenauer)

Füh­ren ohne Macht funk­tio­niert nur, wenn jeder Mit­ar­bei­ter die gewon­ne­ne Frei­heit auch aus­füllt und die damit ein­her­ge­hen­de Ver­ant­wor­tung auch bereit­wil­lig annimmt. Die Kehr­sei­te von „Füh­ren ohne Macht“ heißt „Wil­le zur Verantwortung“.

Was vie­le groß­zü­gig über­se­hen: Frei­heit bedeu­tet Ver­ant­wor­tung; Rech­te gibt es nur im Dop­pel­pack mit Pflich­ten. Aus den berech­tig­ten Ansprü­chen von Wis­sens­ar­bei­tern an die sie beschäf­ti­gen­den Orga­ni­sa­tio­nen, erge­ben sich für jeden Ein­zel­nen auch Pflichten.

Nachhaltig wirtschaften

So wie jeder Kapi­ta­list danach strebt, sei­ne Pro­duk­ti­ons­mit­tel zu erhal­ten und zu ver­meh­ren, muss jeder Wis­sens­ar­bei­ter danach stre­ben, sein Wis­sen zu ver­meh­ren und neue Erfah­run­gen zu sam­meln. Er ist in die­sem Sin­ne mehr Wis­sens­ka­pi­ta­list als Wis­sens­ar­bei­ter. Er muss sorg­sam prü­fen in wel­che Auf­ga­ben und Orga­ni­sa­tio­nen er sein Wis­sen inves­tiert, damit es sich dadurch ver­mehrt und ihm neue Erfah­run­gen ermög­licht. Nur so wird sein Kapi­tal auch in der Welt von mor­gen noch einen Wert haben, für ihn und für die Orga­ni­sa­ti­on: Still­stand heißt Infla­ti­on. Die Orga­ni­sa­ti­on kann und muss Mög­lich­kei­ten zur per­sön­li­chen Ent­wick­lung bie­ten, die Pflicht dazu liegt aber bei jedem Einzelnen.

Ganzheitlich denken

Jeder Ein­zel­ne muss das Gan­ze, sei­ne Rol­le und sei­nen Bei­trag verstehen.[1. vgl. dazu Von Tay­lo­ris­mus zu Scrum] Es reicht nicht mehr, Befeh­le zu erwar­ten und aus­zu­füh­ren; und es reicht nicht mehr, das Den­ken auf das eige­ne Auf­ga­ben­ge­biet und die eige­ne Orga­ni­sa­ti­ons­ein­heit zu beschrän­ken. Jeder Wis­sens­ar­bei­ter soll­te fol­gen­de Fra­gen beant­wor­ten können:

  • Was sind Sinn und Nut­zen des Pro­jekts, der Abtei­lung, der Orga­ni­sa­ti­on, etc.?
  • Was ist mein Bei­trag zu die­sem Nutzen?
  • Wer sind unse­re Kun­den, wer pro­fi­tiert von unse­ren Ergebnissen?
  • Wer im Unter­neh­men hängt in wel­cher Wei­se von mei­nen direk­ten Ergeb­nis­sen ab, von wes­sen Ergeb­nis­sen hän­ge ich ab?

Auf den Punkt gebracht soll­ten Mit­ar­bei­ter – um ein etwas abge­grif­fe­nes Bild zu bemü­hen – „an einer Kathe­dra­le bau­en“ anstatt „Stei­ne zu klop­fen“. Natür­lich kön­nen die Mit­ar­bei­ter das nur, wenn ihnen die nöti­gen Infor­ma­tio­nen zur Ver­fü­gung ste­hen. Die Devi­se soll­te auf kei­nen Fall wie im Film „Total Recall“ lau­ten: „Ich gebe Ihnen gar nicht genug Infor­ma­tio­nen, dass es sich lohnt, zu denken!“.[2. vgl. dazu Wer ein WARUM zum Leben hat, erträgt fast jedes WIE.] Genau die­se Infor­ma­tio­nen zur Ver­fü­gung zu stel­len, die Rah­men­be­din­gun­gen und Zusam­men­hän­ge zu ver­mit­teln und Sinn zu stif­ten ist die Auf­ga­be der Füh­rungs­kraft. Die Pflicht des Mit­ar­bei­ters ist es, dies ein­zu­for­dern und sei­nen Bei­trag ganz­heit­lich ver­ste­hen und defi­nie­ren zu wollen.

Gestalten wollen

Wis­sens­ar­bei­ter müs­sen ihre Auf­ga­be, ihren Bei­trag und die Aus­füh­rung der Auf­ga­be selbst definieren.

Abo­ve all, they [the know­ledge workers, M.R.] want respect, not so much for them­sel­ves, but for their area of know­ledge. (…) Know­ledge workers (…) expect to make the decis­i­ons in their own area.[3. Peter F. Dru­cker, Manage­ment Rev Ed. S. 56]

Damit sie das kön­nen, brau­chen sie ihr Wis­sen und ihre Aus­bil­dung sowie umfas­sen­de Infor­ma­tio­nen. Ihre Pflicht ist es aber, die­se Frei­heit mit der damit ver­bun­de­nen Ver­ant­wor­tung auch aus­zu­fül­len. Dass jeder Mit­ar­bei­ter gestal­ten kann, ist Auf­ga­be der Füh­rungs­kraft und der Orga­ni­sa­ti­on, dass er gestal­ten will, ist sei­ne Pflicht.

Wis­sens­ar­bei­ter ver­lan­gen zu Recht als Part­ner geführt zu wer­den. Sie müs­sen sich selbst aber auch so sehen und die damit ver­bun­de­nen Pflich­ten bewusst anneh­men. Auch wenn das bedeu­tet, die beque­me Posi­ti­on des Befehls­emp­fän­gers aufzugeben:

Frei­heit bedeu­tet Ver­ant­wort­lich­keit; das ist der Grund, war­um die meis­ten Men­schen sich vor ihr fürch­ten. (Geor­ge Bern­hard Shaw)

PS. Foto “O OUTRO LADO DO MEDO É A LIBERDADE (The Other Side of the Fear is the Free­dom)” ver­öf­fent­licht auf Flickr von jony­cun­ha (Bestimm­te Rech­te vor­be­hal­ten)

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Von Marcus Raitner

Hi, ich bin Marcus. Ich bin der festen Überzeugung, dass Elefanten tanzen können. Daher begleite ich Organisationen auf ihrem Weg zu mehr Agilität. Über die Themen Führung, Digitalisierung, Neue Arbeit, Agilität und vieles mehr schreibe ich seit 2010 in diesem Blog. Mehr über mich.

2 Kommentare

Geni­al :-)

Wenn die­se ein­fa­chen Grund­sät­ze in einer Orga­ni­sa­ti­on nicht gelebt wer­den (kön­nen) , dann sind die Men­schen schnell weg. Das wird bei dem ent­ste­hen­den Fach­kräf­te­man­gel noch vie­len Unter­neh­men gro­ße Pro­ble­me berei­ten. Der Unter­neh­mer muss die ent­spre­chen­de Kul­tur leben und stüt­zen. Geld und schnel­ler Pro­fit kann da nicht mehr im Mit­tel­punkt stehen.

Dan­ke für Dei­nen Bei­trag, Andreas!

Die Grund­sät­ze sind tat­säch­lich sehr ein­fach und – was mich immer wie­der erstaunt – eigent­lich schon lan­ge bekannt. Wis­sens­ar­bei­ter sind grund­sätz­lich mobil, aber viel­leicht manch­mal noch zu bequem oder sich ihrer neu­en Macht noch nicht voll bewusst. Aber die­ses Bewusst­sein wächst von Tag zu Tag und wird den Fach­kräf­te­man­gel ver­stär­ken durch eine Fach­kräf­te­fluk­tua­ti­on. Mit Geld wer­den die Men­schen nicht zu hal­ten sein, die Kul­tur, das Umfeld, die Art der Füh­rung und vor allem der Gestal­tungs­spiel­raum wird ent­schei­dend sein.

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