Die Zukunft hat schon begonnen

Seit Beginn der Indus­tria­li­sie­rung erle­ben wir einen Trend zu immer grö­ße­ren Orga­ni­sa­tio­nen mit hoch­spe­zia­li­sier­ten Abtei­lun­gen und ent­spre­chend hoch­spe­zia­li­sier­ten Wis­sens­ar­bei­tern. Nach anfäng­li­chem Bestre­ben, alles unter einem gemein­sa­men Manage­ment zu ver­ei­nen, ging der Trend rasch zur Kon­zen­tra­ti­on auf Kern­kom­pe­ten­zen und zur Aus­la­ge­rung bzw. zum stan­dar­di­sier­tem Ein­kauf von sekun­där benö­tig­ten Kom­pe­ten­zen. Ermög­licht oder wenigs­tens beschleu­nigt wur­de die­se Ent­wick­lung durch moder­ne Kom­mu­ni­ka­ti­ons­tech­no­lo­gien wie das Internet.

Die­ser Trend vom hoch­in­te­grier­ten Groß­kon­zern zu einem losen Ver­bund von spe­zia­li­sier­ten Unter­neh­men wird in letz­ter Kon­se­quenz dazu füh­ren, dass es immer weni­ger Wis­sens­ar­bei­ter gibt, die direkt und dau­er­haft bei einer ein­zi­gen Orga­ni­sa­ti­on als Ange­stell­te tätig sind. Viel­mehr wird der lose Ver­bund immer klein­tei­li­ger wer­den: aus ange­stell­ten Wis­sens­ar­bei­tern wer­den eigen­stän­di­ge Wissensunternehmer.

Die Art der Arbeit hat sich seit Tay­lor’s Zei­ten ver­än­dert: rein manu­el­le Tätig­kei­ten für unge­lern­te Arbei­ter gibt es immer weni­ger; viel­leicht gab es sie in Rein­kul­tur ohne­hin nie, denn auch Tay­lor gestand den Arbei­tern zu, die Arbeits­ab­läu­fe selbst zu ver­bes­sern. Jeden­falls stei­gen die Antei­le an Wis­sens­ar­beit seit Beginn der Industrialisierung:

Befo­re World War I the­re was not even a word for peo­p­le who made their living other than by manu­al work. (…) The only fast-gro­wing group in the work­force, in Ame­ri­ca and in every deve­lo­ped coun­try, is „know­ledge workers“ — peo­p­le who­se jobs requi­re for­mal and advan­ced schoo­ling. (Peter F. Dru­cker. Manage­ment Rev Ed, S. 38)

Im Lau­fe des 20. Jahr­hun­derts spe­zia­li­sier­te sich die Arbeit, ins­be­son­de­re die Wis­sens­ar­beit, immer mehr. Gleich­zei­tig wur­den die Orga­ni­sa­tio­nen, die die­se Exper­ten benö­tig­ten, immer grö­ßer: bei­spiels­wei­se lohnt sich ein eige­ner Gra­fi­ker für ein Unter­neh­men erst ab einem gewis­sen Volu­men an Bro­schü­ren, Prä­sen­ta­tio­nen, etc. Erst die Grö­ße der Orga­ni­sa­ti­on mach­te die Spe­zia­li­sie­rung der Wis­sens­ar­bei­ter mög­lich. Und umge­kehrt ermög­lich­te erst die Spe­zia­li­sie­rung immer fei­ne­re Arbeits­tei­lung und — zusam­men­ge­hal­ten von Manage­ment — immer grö­ße­re Organisationen.

Für Hen­ry Ford war es 1920 noch unum­stöß­lich, dass die effi­zi­en­tes­te Fer­ti­gung alles für das End­pro­dukt benö­tig­te unter einem Dach — unter einem gemein­sa­men Manage­ment — bündelt:

The Ford Motor Com­pa­ny not only pro­du­ced all parts of the auto­mo­bi­le and assem­bled it, but made its own steel, its own glass, and its own tires. It owned the plan­ta­ti­ons in the Ama­zon that grew the rub­ber, owned and ran the the rail­road that car­ri­ed sup­pli­es to the plant (…). (Peter F. Dru­cker. Manage­ment Rev Ed, S. 51)

In der zwei­ten Hälf­te des zwan­zigs­ten Jahr­hun­derts dreh­te sich die­ser Trend zur Inte­gra­ti­on jedoch voll­stän­dig um. Die immer wei­ter ver­fei­ner­te Spe­zia­li­sie­rung führt zwangs­läu­fig zu einem Aus­las­tungs­pro­blem: Egal wie groß eine Orga­ni­sa­ti­on ist, sie wird man­che Exper­ten nur zeit­wei­se benö­ti­gen, aber nicht dau­er­haft aus­las­ten  kön­nen. Und wenn Exper­ten nicht kon­ti­nu­ier­lich in ihrem Fach­ge­biet arbei­ten kön­nen, wird ihr Wis­sen schnell ver­al­ten: schlei­chen­de Inkom­pe­tenz durch Man­gel an Anwen­dung. Die Moti­va­ti­on die­ser Wis­sens­ar­bei­ter wird daher mas­siv lei­den, denn sie sehen sich in ers­ter Linie als Exper­ten ihres Fach­ge­biets, wol­len sich dar­in bewei­sen und sich weiterentwickeln.

Die­ser Trend zu abneh­men­der Inte­gra­ti­on wird beschleu­nigt durch einen dra­ma­ti­schen Rück­gang der Trans­ak­ti­ons­kos­ten, ins­be­son­de­re der Kom­mu­ni­ka­ti­ons­kos­ten durch das Inter­net. Heu­te schon kann man wesent­li­che Funk­tio­nen eines Unter­neh­mens, wie zum Bei­spiel Buch­hal­tung oder Logis­tik und Ver­pa­ckung von Dienst­leis­tern stan­dar­di­siert ein­kau­fen; die Kom­mu­ni­ka­ti­ons­tech­no­lo­gien ermög­li­chen eine mehr oder weni­ger trans­pa­ren­te Zusam­men­ar­beit über Unter­neh­mens­gren­zen hinweg.

Einer­seits kön­nen und wol­len sich Orga­ni­sa­ti­on die benö­tig­ten Exper­ten nicht mehr als Ange­stell­te leis­ten; ande­rer­seits benö­ti­gen auch die hoch­spe­zia­li­sier­ten Exper­ten immer weni­ger den Groß­kon­zern, um ihr Wis­sen zum Ein­satz zu brin­gen. Im Gegen­teil: wenn die Wis­sens­ar­bei­ter mit der Ent­wick­lung ihres Fach­ge­biets Schritt hal­ten wol­len, soll­ten sie gera­de nicht für eine ein­zi­ge Orga­ni­sa­ti­on tätig sein. Aus dem „nor­ma­len“ Ange­stell­ten­ver­hält­nis auf Lebens­zeit wird sich daher zuneh­mend ein loser Ver­bund von gleich­wer­ti­gen Part­nern ent­wi­ckeln. Aus dem Wis­sens­ar­bei­ter wird ein Wissensunternehmer.

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Bildnachweis

Das Arti­kel­bild wur­de von del­pax unter dem Titel „Deut­scher Dom — Glas­ku­gel #1“ auf Flickr ver­öf­fent­licht (Bestimm­te Rech­te vor­be­hal­ten).

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Von Marcus Raitner

Hi, ich bin Marcus. Ich bin der festen Überzeugung, dass Elefanten tanzen können. Daher begleite ich Organisationen auf ihrem Weg zu mehr Agilität. Über die Themen Führung, Digitalisierung, Neue Arbeit, Agilität und vieles mehr schreibe ich seit 2010 in diesem Blog. Mehr über mich.

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