Projektcoaching (25): Verteilte Teams

Pro­jek­te sind mehr denn je durch eine zuneh­men­de Hete­ro­ge­ni­tät gekenn­zeich­net. Einer­seits in Bezug auf die Zusam­men­set­zung des Teams, das fast nie aus­schließ­lich aus Mit­ar­bei­tern eines ein­zi­gen Unter­neh­mens besteht, son­dern immer aus einem Geflecht aus meh­re­ren Dienst­leis­tern und frei­be­ruf­li­chen Mit­ar­bei­tern. Ande­rer­seits – und teil­wei­se aus dem vori­gen resul­tie­rend – in Bezug auf die räum­li­che Ver­tei­lung des Teams, das fast nie zusam­men in einem ein­zi­gen Pro­jekt­raum sitzt. Vie­les, was unter opti­ma­len räum­li­chen Bedin­gun­gen (also alle in einem Raum) nur für läs­ti­ge, aber ver­nach­läs­sig­ba­re, Rei­bungs­ver­lus­te sorgt, hat bei ver­teil­ten Teams das Poten­ti­al sich zur Kata­stro­phe aus­zu­wach­sen. Defi­zi­te in der Füh­rung, der Kom­mu­ni­ka­ti­on und der Inter­ak­ti­on fal­len erst viel spä­ter auf. So gesche­hen bei­spiels­wei­se beim Absturz des Mars Cli­ma­te Orbi­ters, bei des­sen Kon­struk­ti­on das Team der NASA mit Ein­hei­ten im inter­na­tio­nal gebräuch­li­chen SI-Sys­tem rech­ne­te, das Team des Her­stel­lers der Steue­rungs­ein­heit aber im impe­ria­len Sys­tem (vgl. „Ver­wal­ten Sie noch oder füh­ren Sie schon?“).

Die Füh­rung von ver­teil­ten Teams ist also nicht die Aus­nah­me, son­dern bereits die Regel; jeden­falls fak­tisch. Eine ganz ande­re Fra­ge ist aller­dings, ob die­sem Umstand auch gebüh­rend Rech­nung getra­gen wird oder ob ein­fach die bewähr­ten Kon­zep­te irgend­wie der ver­teil­ten Situa­ti­on über­ge­stülpt wer­den. Ich den­ke nicht, dass im ver­teil­ten Fall prin­zi­pi­ell anders geführt wer­den muss, wohl aber dass Defi­zi­te in der Füh­rung stär­ker auf­fal­len. Auch der Zweck von Kom­mu­ni­ka­ti­on und Inter­ak­ti­on des Teams ist kein ande­rer, son­dern nur die Mit­tel zur Zusam­men­ar­beit und Kom­mu­ni­ka­ti­on. Inso­fern ist das ver­teil­te Team nur eine Lupe, unter der Unge­nau­ig­kei­ten in der Füh­rung und Kom­mu­ni­ka­ti­on viel­fach ver­grö­ßert zu Tage treten.

Die räum­li­che Ver­tei­lung macht es not­wen­dig sich expli­zit mit Fra­gen der Kom­mu­ni­ka­ti­on und Inter­ak­ti­on aus­ein­an­der­zu­set­zen. (Was, neben­bei bemerkt, sich immer lohnt, aber in die­sem Fall wirk­lich essen­ti­ell ist.) Wäh­rend im klas­si­schen Fall, dass alle in einem Pro­jekt­raum sit­zen, sich vie­les impli­zit und neben­bei ergibt, müs­sen im ver­teil­ten Fall expli­zit geeig­ne­te Mecha­nis­men gefun­den wer­den. Als Pro­jekt­ma­na­ger muss man sich also mit The­men aus­ein­an­der­set­zen, die bis­her schein­bar selbst­ver­ständ­lich waren, die man bis­her immer als gege­ben oder jeden­falls als auto­ma­ti­sche Fol­ge der räum­li­chen Nähe ange­nom­men hat­te. Dass es aber auch im Pro­jekt­raum schon Defi­zi­te in der Kom­mu­ni­ka­ti­on gab, ist nur nicht so stark auf­ge­fal­len und konn­te des­halb eini­ger­ma­ßen gefahr­los igno­riert werden.

Statt sich aber mit den Bedürf­nis­sen des Teams und der Stake­hol­der wirk­lich aus­ein­an­der­zu­set­zen und aus­ge­hend davon ent­spre­chen­de Werk­zeu­ge und Pro­zes­se auf­zu­set­zen, wird ver­sucht, das ver­teil­te Sze­na­rio irgend­wie auf das bekann­te und schein­bar bewähr­te Modell Pro­jekt­raum zurück­zu­füh­ren. Plötz­lich gibt es vir­tu­el­le Pro­jekt­räu­me oder es wer­den alle müh­sam und wenigs­tens für eine gewis­se Kern­zeit an einen ein­zi­gem Ort zusam­men gebracht. Ich will nicht sagen, dass das alles per se schlech­te Ideen wären, aber sie soll­ten den spe­zi­el­len Bedürf­nis­sen des ver­teil­ten Teams ent­sprin­gen und nicht dem Bedürf­nis des Manage­ments die ein­zig bekann­te und die ein­zig beherrsch­ba­re Lösung dar­über zu stülpen.

If you only have a ham­mer, you tend to see every pro­blem as a nail.
(Abra­ham Maslow)

Die Tech­nik wäre ja längst vor­han­den und erprobt. Die letz­ten Jah­re haben uns gezeigt, was mit­tels Web 2.0 und Cloud-Com­pu­ting an ver­teil­ter Zusam­men­ar­beit mög­lich ist. Und trotz­dem sehe ich in gro­ßen IT-Pro­jek­ten und IT-Pro­gram­men oft nicht mehr als eine lächer­lich klei­ne, erschre­ckend chao­ti­sche und nicht durch­such­ba­re Datei­ab­la­ge kom­bi­niert mit E‑Mail (eben­falls beschränkt in der Grö­ße) und Tele­fon. (War­um das Fax nicht über­lebt hat ist mir in die­sem Zusam­men­hang schleierhaft.)

Dabei gibt es in vie­len Unter­neh­men wenigs­tens schon Wikis, die man als Pro­jekt­ma­na­ger sicher­lich auch ein­set­zen könn­te. Mit ein wenig Über­zeu­gungs­kraft könn­te man sicher­lich auch Blogs und Micro­blog­ging ein­füh­ren. Man könn­te asyn­chro­ne Kom­mu­ni­ka­ti­ons­for­men bevor­zu­gen und das Team dahin­ge­hend erzie­hen. Aber das wäre ein Risi­ko, gera­de in gro­ßen Unter­neh­men. Man wür­de etwas anders machen als bis­her. Oft geht es uns daher wie von Karl Valen­tin tref­fend beschrieben:

Mögen hätt‘ ich schon wol­len, aber dür­fen hab ich mich nicht getraut!

Traut euch!

Vorangegangene Teile der Serie Projektcoaching

Bildnachweis

Das Arti­kel­bild wur­de von Taka­shi Hoso­shi­ma unter dem Titel „My favo­ri­te lens“ auf Flickr unter eine Crea­ti­ve Com­mons Lizenz (CC BY-SA 2.0) ver­öf­fent­licht (Bestimm­te Rech­te vor­be­hal­ten).

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Von Marcus Raitner

Hi, ich bin Marcus. Ich bin der festen Überzeugung, dass Elefanten tanzen können. Daher begleite ich Organisationen auf ihrem Weg zu mehr Agilität. Über die Themen Führung, Digitalisierung, Neue Arbeit, Agilität und vieles mehr schreibe ich seit 2010 in diesem Blog. Mehr über mich.

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