Projektcoaching (29): Arbeit am System

Schon wie­der Zeit für mei­nen Sta­tus­be­richt. Aber wo bekom­me ich jetzt bloß den Inhalt dafür her? Es ist Frei­tag Abend und das gan­ze Team schon im Wochen­en­de. Genau des­halb habe ich doch alle schon vor einem Monat gebe­ten mir am Frei­tag noch einen kur­zen Sta­tus per E‑Mail zu schi­cken. Das hat in der ers­ten Woche leid­lich funk­tio­niert und dann gar nicht mehr. Und ich hat­te so viel zu tun, dass es mir gar nicht auf­ge­fal­len ist. Aber jetzt brau­che ich die Infor­ma­tio­nen drin­gend. Was soll ich bloß machen?

Wer kennt das nicht? Da hat man sich schnell mal einen Pro­zess (einen Kurz­sta­tus per E‑Mail schi­cken) über­legt und nie­mand hält sich dar­an. Na gut, „über­legt“ ist wohl über­trie­ben, es wur­de ein­fach die erst­bes­te Idee gewählt ohne län­ger dar­über nach­zu­den­ken. Sicher­lich hät­te es tau­send ande­re Mög­lich­kei­ten gege­ben den nöti­gen Infor­ma­ti­ons­fluss zu gewähr­leis­ten: Kan­ban-Boards zur Visua­li­sie­rung des Fort­schritts oder Micro­blog­ging als Kurz­sta­tus bei­spiels­wei­se. Aber für die­se Über­le­gun­gen war wie immer kei­ne Zeit. Nicht nur gab es Drin­gen­de­res son­dern die­se Art der Tätig­keit, näm­lich sich einen für alle Betei­lig­ten leb­ba­ren Pro­zess fest­zu­le­gen und nach­hal­tig ein­zu­füh­ren, wur­de auch nicht als wich­tig empfunden.

Manage­ment works in the sys­tem; lea­der­ship works on the system.
Ste­ven R. Covey

In der beschrie­be­nen Situa­ti­on hat der Pro­jekt­ma­na­ger zwei Mög­lich­kei­ten: er ergibt sich mal wie­der sei­nem Schick­sal, flucht auf sei­ne unzu­ver­läss­gen Mit­ar­bei­ter und erstellt den Pro­jekt­sta­tus mehr oder weni­ger frei erfun­den. Oder aber, er erkennt das Defi­zit des Pro­zes­ses, der ent­we­der nicht passt oder nicht gelebt wird, und ändert etwas. Drin­gend ist nur der kon­kre­te Sta­tus­be­richt, wich­tig und sei­ne Auf­ga­be wäre es den Pro­zess zu ver­bes­sern. Aber wer hat dafür schon Zeit bei dem vie­len Dringenden?

If I had eight hours to chop down a tree, I’d spend six hours shar­pe­ning my ax
Abra­ham Lincoln

In Anle­hung an die Unter­schei­dung der ver­schie­de­nen Ebe­nen der Arbeit aus Gun­ter Duecks Buch Pro­fes­sio­nel­le Intel­li­genz, möch­te ich gera­de ange­hen­den Pro­jekt­ma­na­gern raten sich fol­gen­des bewusst zu machen. Es gibt Arbeit im Sys­tem und Arbeit am Sys­tem. Bei­des ist wich­tig. Die Arbeit im Sys­tem pro­du­ziert die benö­ti­gen Ergeb­nis­se des Pro­jekts (Soft­ware, Häu­ser, Sta­tus­be­rich­te, etc.), die Arbeit am Sys­tem sorgt dabei für einen mög­lichst rei­bungs­lo­sen Ablauf. Wäh­rend für die Arbeit im Sys­tem, für die Ergeb­nis­se, klar das Pro­jekt­team ver­ant­wort­lich ist, bleibt die Arbeit am Sys­tem dem Pro­jekt­ma­na­ger vorbehalten.

So banal das klingt, so sel­ten machen gera­de Nach­wuchs­kräf­te sich die­se Unter­schei­dung expli­zit bewusst. In ihrem bis­he­ri­gen Welt­bild gab es nur die Arbeit im Sys­tem (und aus ihrer Sicht Manage­ment-Over­head), sie waren Exper­ten und haben Ergeb­nis­se pro­du­ziert und dar­auf waren sie zu Recht stolz. Das Umden­ken in die neue Rol­le, das Über­neh­men der Ver­ant­wor­tung für die Arbeit am Sys­tem, fällt daher nicht immer leicht. Ins­be­son­de­re dann nicht wenn man, wie so oft, nur zum Teil Pro­jekt­ma­na­ger ist und neben­bei auch noch aktiv an den Ergeb­nis­sen mit­ar­bei­tet. Hier droht ein Teu­fels­kreis und ein Ent­kom­men aus dem Hams­ter­rad ist oft­mals nur mit Hil­fe eines exter­nen Pro­jekt­coachs möglich.

The pro­ject mana­ger has many skills in com­mon with tho­se of tra­di­tio­nal Eng­lish nanny.
Tom deMar­co

Vorangegangene Teile der Serie Projektcoaching

Bildnachweis

Das Arti­kel­bild wur­de von Mam­boZ unter dem Titel „Hor­ror Eyes“ auf Flickr unter eine Crea­ti­ve Com­mons Lizenz (CC BY-SA 2.0) ver­öf­fent­licht (Bestimm­te Rech­te vor­be­hal­ten).

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Von Marcus Raitner

Hi, ich bin Marcus. Ich bin der festen Überzeugung, dass Elefanten tanzen können. Daher begleite ich Organisationen auf ihrem Weg zu mehr Agilität. Über die Themen Führung, Digitalisierung, Neue Arbeit, Agilität und vieles mehr schreibe ich seit 2010 in diesem Blog. Mehr über mich.

6 Kommentare

Sta­tus­be­rich­te sind immer unbe­liebt! War­um? Weil sie für den, der sie erstel­len muss, kei­nen Mehr­wert besit­zen (nur für den, der sie bekommt). Im Gegen­teil, sie steh­len nur Zeit, die anders­wo viel sinn­vol­ler ein­ge­setzt wer­den könnte.

Des­we­gen wer­den Sta­tus­be­rich­te sofort an die Sei­te gelegt, wenn für den Mit­ar­bei­ter drin­gen­de Tätig­kei­ten anste­hen. Auf sei­ner Prio­ri­tä­ten­lis­te ste­hen sie eben ganz unten.

Ich glau­be, dass der Pro­jekt­lei­ter hier sei­ne Rol­le ändern und den Sta­tus­be­richt „zu sei­nem Ding“ machen soll­te. D.h. er sorgt selbst dafür, dass er die Infor­ma­tio­nen erhält. Viel­leicht durch Ein­zel­ge­sprä­che mit den Mit­ar­bei­tern oder ein sehr kur­zes Mee­ting am Frei­tag (sofern der Sta­tus auch für die Ande­ren inter­es­sant ist). Auf die­se Wei­se mini­miert er den Auf­wand für sei­ne Mit­ar­bei­ter und erhält trotz­dem sei­ne Informationen.

Dan­ke für den Kom­men­tar. Wie auch immer es der Pro­jekt­lei­ter anstellt an die Infor­ma­tio­nen zu kom­men die er braucht, es ist sei­ne Auf­ga­be das Sys­tem Pro­jekt so zu gestal­ten, dass es pas­siert. Mir geht es dar­um, dass der Pro­jekt­lei­ter genau die­se Auf­ga­be auch bewusst wahr- und annimmt.L Lei­der pas­siert das aber gera­de in den ers­ten Pro­jek­ten nicht aus­rei­chend, weil viel zu sehr die Arbeit im Sys­tem im Vor­der­grund steht.

hal­lo ihr bei­den, zuerst erstmal
dan­ke fürs the­ma, hab ich auch regel­mä­ßig mit zu tun… da ich aber extern und coach bin, muss ich qua­si in mei­nem kli­en­ten­sys­tem am offe­nen her­zen operieren…
zwei­tes: report­ing kann auch für den erstel­ler mehr­wert besit­zen, und die gedan­ken dazu ver­su­che ich mor­gen zusam­men­zu­fas­sen. blog­link folgt.

Hal­lo Nad­ja, kann ich sehr gut nach­voll­zie­hen: als Pro­jekt­coach arbei­te ich auch immer am „offe­nen Her­zen“. Da lässt sich aber meist mit klei­nen Ver­än­de­run­gen und Anre­gun­gen viel bewe­gen. Zum Report­ing: Das war hier nur ein Bei­spiel für einen Pro­zess, den der Pro­jekt­lei­ter ver­ant­wort­lich gestal­ten muss. Lei­der wird die­se Ver­pflich­tung zur Arbeit am Sys­tem meist nicht ange­nom­men: teils weil es gar nicht als Arbeit wahr­ge­nom­men wird, teils weil es als unwich­tig ange­se­hen wird. Ich bin aber ganz bei Dir: Report­ing hat für mich einen Mehr­wert, weil ich mir ein­mal in der Woche klar machen muss wo wir ste­hen und dazu muss ich auf­tau­chen aus den Details und mir einen Über­blick ver­schaf­fen. Die­ser Denk­pro­zess ist wich­tig, nicht der Bericht der am Ende raus­kommt. Bin gespannt auf Dei­nen Artikel.

Ich kann Nad­ja nur zu stim­men. Oder noch verstärken. 

Nach mei­ner Mei­nung hat der Erstel­ler in der Regel den größ­ten Nut­zen von sei­nem Statusbericht/Report. Denn der Berich­ten­de wird gezwun­gen, sich ein objek­ti­ves Bild der Situa­ti­on zu machen und auch sei­ne eige­nen Selbst­ver­ständ­lich­kei­ten zu hinterfragen.

Die dann erkann­te Situa­ti­on ein wenig for­mal zu ver­ba­li­sie­ren, macht dann noch mal vie­les klarer. 

So mache ich auf der Suche nach mehr Klar­heit immer wie­der Reports für mich sel­ber, die ich nie­man­den wei­ter­ge­be. Die gewon­ne­nen Erkennt­nis­se bespre­che ich dann aber sehr wohl mit mei­nen Part­nern und Kol­le­gen, in schwe­ren Fäl­len auch mit Freun­den, die mir in sol­chen Situa­tio­nen als Men­tor oder Coach helfen.

Dem kann ich nur zustim­men, Roland! Oder frei nach Kleist: „Über die all­mäh­li­che Ver­fer­ti­gung der Gedan­ken beim Reden Schreiben.“

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