Stabilität und Veränderung

Die Kunst des Pro­jekt­ma­nage­ments besteht zu einem maß­geb­li­chen Teil dar­in, Vor­ge­hens­wei­se, Metho­den und Werk­zeu­ge auf die jewei­li­ge Pro­jekt­si­tua­ti­on zuzu­schnei­den und kon­ti­nu­ier­lich zu opti­mie­ren. Die Fra­ge wie agil es sein darf und sein muss ist dabei eine ganz zen­tra­le und hängt nicht zuletzt von der erwar­te­ten Sta­bi­li­tät der Anfor­de­run­gen ab. Meist darf es aber dann doch nicht so agil sein, wie es bei ehr­li­cher Betrach­tung die­ser erwar­te­ten Sta­bi­li­tät sein müsste.

Pro­jekt ist nicht gleich Pro­jekt. Jedes Pro­jekt ist per Defi­ni­ti­on der DIN ein Vor­ha­ben, »das im wesent­li­chen durch Ein­ma­lig­keit der Bedin­gun­gen in ihrer Gesamt­heit gekenn­zeich­net ist.« Folg­lich kann es das Pro­jekt­ma­nage­ment im Sin­ne eines Koch­re­zep­tes nicht geben und eine Stan­dar­di­sie­rung des Pro­jekt­ma­nage­ments ist somit ein Wider­spruch in sich und bleibt ein lee­res Heilsversprechen.

Pro­jekt­ma­nage­ment ist letzt­lich eine Samm­lung von hoch­gra­dig abhän­gi­gen Akti­ons­fel­dern mit jeweils mehr oder weni­ger gut erprob­ten Metho­den, Tech­ni­ken und Werk­zeu­gen. Weder die­se Akti­ons­fel­der noch ihre jewei­li­gen Metho­den sind ein­zeln betrach­tet beson­ders kom­pli­ziert, vie­les sogar ein­fach gesun­der Men­schen­ver­stand. Viel­mehr liegt die Schwie­rig­keit im Über­blick und dem Sinn für die Zusam­men­hän­ge und Abhän­gig­kei­ten einer­seits und in der Aus­wahl und im Set­zen von zum Pro­jekt und Umfeld pas­sen­den Schwer­punk­ten ande­rer­seits. Ein guter Pro­jekt­ma­na­ger braucht also bei­des: den Über­blick über alle Akti­ons­fel­der und deren Metho­den, also über das, was theo­re­tisch getan wer­den könn­te, und er braucht ein Gespür für das in der jewei­li­gen Situa­ti­on Wesent­li­che und Not­wen­di­ge, also das, was prak­tisch hier und jetzt getan wer­den soll­te. Umfas­sen­des Wis­sen und Neu­gier auch auf noch nicht so Erprob­tes also gepaart mit prak­ti­scher Erfah­rung und dem Mut zur klu­gen Wahl.

Die Crux des Pro­jekt­ma­nage­ments liegt also dar­in, die Vor­ge­hens­wei­se und Metho­den auf das Vor­ha­ben und das Umfeld pass­ge­nau zuzu­schnei­den und kon­ti­nu­ier­lich wäh­rend der Lauf­zeit zu hin­ter­fra­gen und anzu­pas­sen. Vie­le Merk­ma­le eines Vor­ha­bens müs­sen dabei beach­tet wer­den, ein ganz wesent­li­ches aber ist die zu erwar­ten­de Sta­bi­li­tät des Pro­jekt­um­fangs. Die Kern­fra­ge ist: Wie rea­lis­tisch kann zu Pro­jekt­be­ginn Ergeb­nis und Umfang des Pro­jekts defi­niert werden?

Der Bau eines Ein­fa­mi­li­en­hau­ses nach bewähr­tem Plan an einem neu­en Ort für einen neu­en Kun­den ist damit sicher­lich bes­ser defi­nier­bar als der Bau eines Diens­tes wie Face­book oder Twit­ter für einen Markt, den es noch gar nicht gibt. Man kann bei­de Vor­ha­ben mit der klas­si­schen Vor­ge­hens­wei­se ange­hen: Umfang defi­nie­ren, Pro­jekt­struk­tur­plan und Arbeits­pa­ke­te defi­nie­ren, Ablauf­plan erstel­len, usw. In der Durch­füh­rung wird man dann aber fest­stel­len, dass die Ver­än­de­rung des Umfangs beim Bau des Ein­fa­mi­li­en­hau­ses die Aus­nah­me, beim Bau von neu­en Diens­ten wie Face­book oder Twit­ter aber die Regel ist. Ent­spre­chend leicht oder schwer fällt die Durch­füh­rung des Pro­jekts nach die­ser Metho­de, was nicht an der Metho­de oder ihrer kunst­fer­ti­gen Anwen­dung per se liegt son­dern allein an der jewei­li­gen Situa­ti­on. Wie wenn man einen Schlitz­schrau­ben­dre­her für Schrau­ben mit Kreuz­schlitz oder Torx ver­wen­det: »Das kanns­te schon so machen, aber dann ist es halt Kacke.« (Neu­lich gese­hen auf einem T‑Shirt.)

In die­sen Zei­ten gro­ßer Ver­än­de­run­gen gibt es immer mehr und immer grö­ße­re Pro­jek­te und gleich­zei­tig wird es immer schwe­rer, zu spe­zi­fi­zie­ren wie das Ergeb­nis eines Pro­jekts in drei Jah­ren aus­se­hen soll. Trotz­dem wird genau das oft genug ver­langt und ver­sucht. Die­se Unge­wiss­heit führt dann zu Insta­bi­li­tät der Anfor­de­run­gen, die wie­der­um zu vie­len müh­sa­men Anfor­de­rungs­än­de­run­gen führt und am Ende zu Pro­jek­te die Zeit und Bud­get mas­siv spren­gen (ver­glei­che die Stu­die von McK­in­sey und der Uni­ver­si­tät Oxford) und den­noch sel­ten ein zufrie­den stel­len­des Ergeb­nis lie­fern. Lei­der feh­len in gro­ßen Kon­zer­nen ent­we­der die Erfah­rung oder der Mut, sol­che Pro­jek­te von Anfang so agil auf­zu­set­zen wie es der Unge­wiss­heit der Anfor­de­run­gen ent­sprä­che. Im Prin­zip hat man die Wahl zwi­schen fes­tem Zeit­plan bzw. Bud­get einer­seits und fes­tem Umfang ande­rer­seits. Zeit, Bud­get und Umfang zu fixie­ren wird nur in Aus­nah­me­fäl­len mög­lich sein und gut gehen. Der Umgang mit unschar­fen Pro­jekt­um­fang scheint in vie­len Unter­neh­men aber so ver­pönt, dass man eine Schein­welt der Spe­zi­fi­ka­tio­nen errich­tet und lie­ber Zeit und Bud­get opfert als der Unge­wiss­heit von Anfang an Rech­nung zu tragen.

(Bild­nach­weis: Das Arti­kel­bild wur­de von Toshi­hi­ro Oimatsu unter dem Titel „Stones“ auf Flickr unter einer Crea­ti­ve Com­mons Lizenz (CC BY 2.0) ver­öf­fent­licht.)

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Von Marcus Raitner

Hi, ich bin Marcus. Ich bin der festen Überzeugung, dass Elefanten tanzen können. Daher begleite ich Organisationen auf ihrem Weg zu mehr Agilität. Über die Themen Führung, Digitalisierung, Neue Arbeit, Agilität und vieles mehr schreibe ich seit 2010 in diesem Blog. Mehr über mich.

3 Kommentare

Der Satz ist zum Einrahmen:

Der Umgang mit unschar­fen Pro­jekt­um­fang scheint in vie­len Unter­neh­men aber so ver­pönt, dass man eine Schein­welt der Spe­zi­fi­ka­tio­nen errich­tet und lie­ber Zeit und Bud­get opfert als der Unge­wiss­heit von Anfang an Rech­nung zu tragen.

Die Kern­fra­ge ist: Wie rea­lis­tisch kann zu Pro­jekt­be­ginn Ergeb­nis und Umfang des Pro­jekts defi­niert wer­den?“ – Ergänzend:
„wie kann die Kom­ple­xi­täts­schät­zung statt Auf­wands­schät­zung ein­ge­führt werden?“
„wie kann der Auf­trag­ge­ber über­zeugt wer­den, dass die Kos­ten- und Zeit­schät­zung nichts ande­res als „Haus­num­mern“ sind?“

openPM könn­te die­se und ähn­li­che Fra­gen auf die Fah­ne schrei­ben. In Betrie­ben suchen die Leut´ bereits nach Ant­wor­ten. (Die Metho­den­skla­ven haben aber kei­ne Antworten.)

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