Modernes Projektmanagement: Eine Frage der Haltung

Was ist die rich­ti­ge Metho­dik im Pro­jekt­ma­nage­ment, das rich­ti­ge Vor­ge­hen? Die­se Fra­ge wird mir immer wie­der gestellt. Zuletzt im Inter­view bei ununi.tv. So sehr wir abso­lu­te Wahr­hei­ten lie­ben, eine all­ge­mein gül­ti­ge Ant­wort kann es auf die­se Fra­ge nicht geben. Es kommt dar­auf an. Jedes Pro­jekt in sei­nem jewei­li­gen Umfeld ist ein­ma­lig. Jeder Mit­ar­bei­ter, jeder Pro­jekt­ma­na­ger, jeder Scrum-Mas­ter, jeder Pro­duct-Owner, jeder Auf­trag­ge­ber: alles ein­ma­li­ge Indi­vi­du­en. Es kommt dar­auf an, das zur jewei­li­gen Situa­ti­on pas­sen­de Vor­ge­hen fle­xi­bel zu gestal­ten und dyna­misch anzu­pas­sen. Ich glau­be daher nicht an Patent­re­zep­te und miss­traue allen Heils­ver­spre­chen mit dog­ma­ti­schem Abso­lut­heits­an­spruch (wie auch mein Blog­ger-Kol­le­ge Bern­hard Schloss). Viel ent­schei­den­der ist für mich die Fra­ge nach dem zugrun­de lie­gen­den Men­schen­bild und der Füh­rungs­phi­lo­so­phie. Eine Fra­ge der Haltung.

»Indi­vi­du­als and inter­ac­tions over pro­ces­ses and tools« heißt es im Agi­len Mani­fest von 2001. Man kann das inter­pre­tie­ren als Abkehr vom tay­lo­ris­ti­schen Welt­bild, in dem Men­schen maschi­nen­gleich ein­ge­setzt und behan­delt werden.

Einen intel­li­gen­ten Goril­la könn­te man so abrich­ten, dass er ein min­des­tens eben­so tüch­ti­ger und prak­ti­scher Ver­la­der wür­de als irgend­ein Mensch. Und doch liegt im rich­ti­gen Auf­he­ben und Weg­schaf­fen von Roh­ei­sen eine sol­che Sum­me von wei­ser Gesetz­mä­ßig­keit, eine der­ar­ti­ge Wis­sen­schaft, dass es auch für die fähigs­ten Arbei­ter unmög­lich ist, ohne die Hil­fe eines Gebil­de­te­ren die Grund­be­grif­fe die­ser Wis­sen­schaft zu ver­ste­hen oder auch nur nach ihnen zu arbeiten.
Fre­de­rick Win­slow Taylor

In die­ser For­mel des agi­len Mani­fests zeigt sich nicht weni­ger als der bereits 1960(!) von Dou­glas McGre­gor beschrie­be­ne Gegen­satz zwi­schen Theo­rie X und Theo­rie Y. Eine ent­schei­den­de Fra­ge des moder­nen, post-indus­tri­el­len Pro­jekt­ma­nage­ments ist also die nach dem zugrun­de lie­gen­den Men­schen­bild: Muss der prin­zi­pi­ell arbeits­scheue Mensch ange­lei­tet, geführt und kon­trol­liert wer­den (Theo­rie X) oder ist der Mensch prin­zi­pi­ell leis­tungs­be­reit, von innen moti­viert und über­nimmt bereit­wil­lig Ver­ant­wor­tung für ein Pro­jekt mit dem er sich iden­ti­fi­ziert (Theo­rie Y).

The ans­wer to the ques­ti­on mana­gers so often ask of beha­vi­oral sci­en­tists „How do you moti­va­te peo­p­le?“ is, „You don’t.“
Dou­glas McGregor

Die Ant­wort des Agi­len Mani­fests ist ein­deu­tig Theo­rie Y. Ent­spre­chend wich­tig sind die The­men Ver­ant­wor­tung und Selbst­or­ga­ni­sa­ti­on in agi­len Vor­ge­hens­wei­sen. Das heißt aber nicht, dass klas­si­sches Pro­jekt­ma­nage­ment auto­ma­tisch Theo­rie X zugrun­de legt. Durch die blo­ße Exis­tenz der Rol­le Pro­jekt­ma­na­ger, die sicher­lich ihre tay­lo­ris­ti­schen Wur­zeln nicht ganz ver­ber­gen kann, mag es zwar eine Ten­denz zu Theo­rie X geben, mehr aber auch nicht.

Es kommt dar­auf an, wie man die­se Rol­le Pro­jekt­ma­na­ger lebt. Das ist nicht zuletzt eine Fra­ge der eige­nen Hal­tung und des eige­nen Men­schen­bilds. Sehe ich mich als heroi­scher Macher und ein­sa­mer Ret­ter den nor­ma­len Mit­ar­bei­tern über­le­gen oder als ers­ter Die­ner des Pro­jekts (in Abwand­lung der Maxi­me von Fried­rich des Gro­ßen: »Ich will der ers­te Die­ner mei­nes Staa­tes sein.«; sie­he auch den Bei­trag von Eber­hard Huber)? Jeder hat die Wahl in jedem Pro­jekt. Egal ob klas­sisch oder agil. Schon immer.

The most valuable „cur­ren­cy“ of any orga­niza­ti­on is the initia­ti­ve and crea­ti­vi­ty of its mem­bers. Every lea­der has the solemn moral respon­si­bi­li­ty to deve­lop the­se to the maxi­mum in all his peo­p­le. This is the lea­der’s hig­hest priority.
W. Edwards Deming

Das Kon­zept der die­nen­den Füh­rung ist also weder neu noch ori­gi­när agil. Das Ver­dienst der vie­len lei­den­schaft­li­chen Evan­ge­lis­ten der agi­len Vor­ge­hens­wei­se ist es aber genau die­se Hal­tung zur Füh­rungs­phi­lo­so­phie und zum Men­schen­bild erneut zum The­ma gemacht zu haben.

(Bild­quel­le: »Der König über­all« von Robert Warth­mül­ler, 1886. Das Bild befin­det sich der­zeit im Deut­schen His­to­ri­schen Muse­um in Berlin)

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Von Marcus Raitner

Hi, ich bin Marcus. Ich bin der festen Überzeugung, dass Elefanten tanzen können. Daher begleite ich Organisationen auf ihrem Weg zu mehr Agilität. Über die Themen Führung, Digitalisierung, Neue Arbeit, Agilität und vieles mehr schreibe ich seit 2010 in diesem Blog. Mehr über mich.

9 Kommentare

Hal­lo Marcus,

inzwi­schen pro­bie­ren sogar Eltern des Kon­zept der Selbst­or­ga­ni­sa­ti­on in Fami­li­en aus. Ein Kol­le­ge hat mich dar­auf auf­merk­sam gemacht.

http://www.youtube.com/watch?v=J6oMG7u9HGE

Dan­ke für Dei­nen Artikel
Martin

Vie­len Dank für Dei­nen Kom­men­tar und den Link auf das Video. Hat­te ich mir schon Mal ange­se­hen, aber wie­der ver­ges­sen. Umso schö­ner, dass Du mich dar­an erinnerst.

Vol­le Zustim­mung! Wit­zig, ich habe die­se Woche auch über das „Die­nen“ geschrieben:

http://www.pentaeder.de/projekte/2013/07/18/diene-den-menschen-und-dem-projekt/

Inter­es­san­te Dis­kus­si­on. Erle­be ich der­zeit beruf­lich auch. Die Men­schen sind es (war­um auch immer) gewohnt, eine kla­re Anwei­sung zu haben (das „Rich­ti­ge“). Und danach hal­ten sie sich auch. Auch dann noch, wenn ein Man­gel erkannt wird. „Man macht das halt so“. 

Wir leben aber eher in einer Zeit des „sowohl“ als „auch“. Bei­des ist gleich­zei­tig rich­tig und falsch. Das ist ein Wider­spruch. Denn es in der kon­kre­ten Situa­ti­on auf­zu­lö­sen gilt. 

Noch ein Satz zum agi­len Vor­ge­hen. Ich habe vor län­ge­rer Zeit einen Vor­trag zum agi­len Vor­ge­hen am PM Stamm­tisch in Mün­chen besucht. Der arme Refe­rent. Der muss­te sich einer Dis­kus­si­on stel­len (geht nicht, weil.…). Ich habe die Idee mit­ge­nom­men und mei­ne ers­te Anfor­de­rung als Pro­duct­Back­log geschrie­ben. Hat gepasst. Ich wür­de jetzt aber nicht auf die Idee kom­men, die klas­si­schen Ansät­ze (Pro­jekt­plan, Sta­tus­be­richt) nicht mehr zu machen.

Genau dar­um geht es: sinn­vol­le und prak­ti­sche Ansät­ze aus allen mög­li­chen Vor­ge­hen mit­ein­an­der zu kom­bi­nie­ren. War­um soll man sei­ne Anfor­de­run­gen nicht auch in einen „nor­ma­len“ Pro­jekt in Form von User-Sto­ries for­mu­lie­ren und trotz­dem einen Netz­plan erstel­len. Aber viel­leicht nur für die jeweils nächs­te Leis­tungs­stu­fe, die viel­leicht sogar recht kurz gewählt wird, qua­si ein Sprint. Es kommt eben dar­auf an. Auf das Pro­jekt, die Men­schen im und das Umfeld. Mög­li­cher­wei­se sind man­che Men­schen und Orga­ni­sa­tio­nen noch nicht so weit, das moder­ne Men­schen­bild und Füh­rungs­ver­ständ­nis zu akzep­tie­ren. Dann beginnt genau die Füh­rungs­auf­ga­be die Deming in o.g. Zitat meinte.

sinn­vol­le und prak­ti­sche Ansät­ze aus allen mög­li­chen Vor­ge­hen mit­ein­an­der zu kom­bi­nie­ren.“ – Der Satz steht für mich im Zen­trum der Defi­ni­ti­on für Projektmanagement-Kompetenzen!
http://www.bluerocks.eu/projektmanagement/projektmanagement-kompetenz/180-projektmanagement-kompetenz.html

Ich habe letz­tens ein sehr inter­es­san­tes Video gese­hen, das gut dazu passt, wie ich sehe. Von Simon Sinek – Why Lea­ders Eat Last : http://vimeo.com/79899786 LG Gustavo

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