Der Mensch ist immer Zweck und niemals nur Mittel

Ein ent­schei­den­der Gedan­ken­gang in der sehr lesens­wer­ten Bio­gra­fie von Götz W. Wer­ner (Ama­zon Affi­lia­te-Link) ist die Fra­ge, ob der Mensch der Zweck des Unter­neh­mens sei oder nur ein Mit­tel. Der dm-Grün­der hat die Fra­ge für sich recht früh und recht ein­deu­tig beant­wor­tet: »Ohne Men­schen kei­ne Wirt­schaft. Folg­lich ist der Mensch immer Zweck und die Wirt­schaft nur Mit­tel – und nicht umge­kehrt.« Der Erfolg gibt ihm bis­her unein­ge­schränkt recht. Was bedeu­tet das aber für Unter­neh­men der Dienstleistungsbranche?

Mit Men­schen haben Dienst­leis­tungs­un­ter­neh­men not­wen­di­ger­wei­se in zwei nur schein­bar ent­ge­gen­ge­setz­te Rich­tun­gen zu tun: Einer­seits nach außen mit Kun­den und ande­rer­seits nach innen mit Mit­ar­bei­tern. In bei­den Rich­tun­gen gibt es viel Sonn­tags­re­den und lee­re Wor­te und wenig kon­se­quen­te Umset­zung der Leit­li­nie, den Men­schen nicht zum Mit­tel wer­den zu lassen.

Wie selbst­ver­ständ­lich behaup­ten alle, der Mensch ob als Kun­de oder Mit­ar­bei­ter stün­de im Mit­tel­punkt. Allein der All­tag sieht anders aus. Gemes­sen und mit Boni ver­se­hen wer­den Umsatz und Aus­las­tung. So wer­den Kun­den zu Umsatz­brin­gern und Mit­ar­bei­ter zu Res­sour­cen, deren Aus­las­tung mög­lichst hoch sein soll­te. Nie­mand inter­es­siert, ob der Kun­de das Pro­jekt braucht oder will solan­ge die Kas­se stimmt. Und noch weni­ger inter­es­siert, ob der Mit­ar­bei­ter das Pro­jekt sinn­voll fin­det, ob er gern im Team arbei­tet oder ob er sich ent­wi­ckeln kann, schließ­lich wird er dafür ent­lohnt und hat daher – bit­te schön! – zu funk­tio­nie­ren. Wer also die­se Kenn­zah­len, Umsatz und Aus­las­tung, der­art zur Steue­rung ver­wen­det macht den Men­schen zum Mit­tel. Dar­an ändern auch schö­ne Prä­sen­ta­tio­nen und Aus­hän­ge mit den Wer­ten des Unter­neh­mens nichts.

Umsatz und Aus­las­tung – und damit ver­knüpft letzt­lich der Gewinn – sind kei­ne Zie­le, son­dern die Fol­ge des wirt­schaft­li­chen Han­delns. Die­se Kenn­zah­len zei­gen näm­lich, inwie­weit die ange­bo­te­ne Dienst­leis­tung nach­ge­fragt wird. Steu­ern las­sen sich die­se Para­me­ter nur indi­rekt durch das eige­ne Ange­bot und die eige­nen Ergeb­nis­se und Erfol­ge. Hier schließt sich dann aber der Kreis zwi­schen Kun­de und Mit­ar­bei­ter, weil in der Dienst­leis­tungs­bran­che in der Regel ein enger Kon­takt zwi­schen Kun­de und Mit­ar­bei­ter besteht. Mit­ar­bei­ter die sich nicht nur als Mit­tel füh­len, wer­den eher eigen­ver­ant­wort­lich, selbst­stän­dig und ver­trau­ens­voll mit dem Kun­den zusam­men­ar­bei­ten. Das wie­der­um wird zu erstre­bens­wer­ten lang­fris­ti­gen und ver­trau­ens­vol­len Part­ner­schaf­ten zwi­schen Kun­den und dem eige­nen Unter­neh­men führen.

Und es wird zu zufrie­de­ne­ren Mit­ar­bei­tern füh­ren, die sich als Men­schen im Unter­neh­men indi­vi­du­ell ent­wi­ckeln kön­nen in sinn­vol­len Pro­jek­ten anstatt nur mög­lichst hoch aus­ge­las­tet zu wer­den. Der Gefahr des Sinn­ver­lusts und des Aus­bren­nens der Mit­ar­bei­ter wird effek­tiv ent­ge­gen gewirkt und die Beloh­nung ist eine nied­ri­ge Fluk­tua­ti­on. So rich­tig die­se Über­le­gun­gen theo­re­tisch sind, so schwie­rig sind sie in der Pra­xis umzu­set­zen. Die Früch­te die­ser Leit­li­nie, dass der Mensch immer Zweck und nie­mals Mit­tel sein darf, las­sen sich näm­lich erst auf lan­ge Sicht ern­ten und zei­gen sich eben nicht schon nach einem Quartal.

Arti­kel­bild: Caleb Roe­nigk bei flickr.com (CC BY 2.0)

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Von Marcus Raitner

Hi, ich bin Marcus. Ich bin der festen Überzeugung, dass Elefanten tanzen können. Daher begleite ich Organisationen auf ihrem Weg zu mehr Agilität. Über die Themen Führung, Digitalisierung, Neue Arbeit, Agilität und vieles mehr schreibe ich seit 2010 in diesem Blog. Mehr über mich.

6 Kommentare

Hal­lo Marcus,

die­ser Sicht kann ich 1:1 beipflichten.
Das Ein­zi­ge, was mich irri­tiert, ist Dein Fokus auf die IT (auch wenn der nahe­lie­gend ist)
Schau­en wir doch mal auf die Bran­che, in der ich arbei­te: Die Energietechnik.
Die Kon­zer­ne in die­sem Bereich set­zen sich (im Wesent­li­chen) aus Fabri­ken und Dienst­leis­tern zusam­men. Ande­re Auf­ga­ben wur­den „out­ges­our­cet“.

Ich bin ehrlich:
Ich hal­te die Pro­duk­te, die wir her­stel­len, für voll­stän­dig aus­tausch­bar mit denen des Wettbewerbs.
Nicht aber die Lösun­gen, die wir den Kun­den bereit­stel­len. Die­se Lösun­gen wer­den wie­der­um von vie­len, indi­vi­du­el­len Men­schen erdacht und umge­setzt, die eigent­lich nichts ande­res wol­len, als etwas Sinn­vol­les zu erschaf­fen. Dafür brau­chen sie ein bestimm­tes, die Krea­ti­vi­tät för­dern­des Umfeld.

Und genau das bie­ten wir ihnen nicht.

Viel­mehr opfern wir Krea­ti­vi­tät und Sinn­stif­tung auf dem ach so hei­li­gen Altar des „Share­hol­der Value“.

Kürz­lich durf­te ich mir einen unglaub­lich moti­vie­ren­den Vor­trag dar­über anhö­ren, daß unse­re Daseins­be­rech­ti­gung sei, den Aktio­nä­ren ihre Divi­den­den zu erarbeiten.

Und nie­mand wun­dert sich, wenn die Mit­ar­bei­ter an der Stel­le mit Unver­ständ­nis oder Abscheu reagieren…

Ich den­ke, wir sind uns einig, daß die grund­le­gen­de Idee von Aktio­nä­ren und deren Gewinn­erwar­tung legi­tim ist. Aber als ein­zi­ge Grund­la­ge dafür, wert­vol­le Lebens­zeit in etwas zu inves­tie­ren, das augen­schein­lich nicht gewür­digt wird?
Das fin­de ich armselig.

Dan­ke für Dei­nen Kom­men­tar, Thi­lo. Der Fokus auf IT-Dienst­leis­tung ist allein mei­nem beschränk­ten Erfah­rungs­ho­ri­zont geschul­det. Und der Tat­sa­che, dass ich hier getreu dem „all­mäh­li­chen Ver­fer­ti­gen der Gedan­ken beim Schrei­ben“ auch immer über unse­re Fir­ma nach­den­ke. Ich habe mitt­ler­wei­le den Arti­kel über­ar­bei­tet und Rich­tung Dienst­leis­tungs­un­ter­neh­men ver­all­ge­mei­nert. Was mich immer erstaunt, dass nur so weni­ge gegen die­ses kran­ke Wirt­schaf­ten auf­be­geh­ren und so vie­le die Fokus­sie­rung auf den Share­hol­der-Value als gege­ben hin­neh­men. Moti­vie­rend ist es jeden­falls nicht. Und da tut es gut, von Unter­neh­men wie dm zu lesen, das eben anders denkt und han­delt und damit erfolg­reich ist.

Ich den­ke, wir sind uns einig, daß die grund­le­gen­de Idee von Aktio­nä­ren und deren Gewinn­erwar­tung legi­tim ist.“

Ist es das wirk­lich? Sicher­lich in dem Kon­zept unse­res Jahr­tau­sen­de alten patri­ar­cha­len Sys­tems, in dem wir erlau­ben, dass die Einen auf Kos­ten der Ande­ren leben dür­fen, weil sie Besitz haben und die ande­ren nicht.

In einer Gesell­schaft, die sich auf Augen­hö­he orga­ni­siert, sie­he z.B. in gro­ßen Tileen die Genos­sen­schaf­ten, wird eine Share­hol­der-Schaft eher als Raub an der Arbeits­kraft betrach­tet wer­den. Das Skla­ven­tum hat sich doch dann nur ver­wan­delt, indem die Ket­ten nur mit dem Geld (struk­tu­rell) getauscht wur­de. Als die Leib­ei­ge­nen „frei­ge­las­sen“ wur­den, gab man ihnen nicht das Nöti­ge mit, um wirk­lich frei zu sein. Wer kein Land hat, um sich selbst zu ver­sor­gen, muss sei­nen Kör­per in den Dienst eine Her­ren stel­len, den er sich zumin­dest noch aus­su­chen kann.

Durch die­se neu­en Frei­hei­ten füh­len sich die Men­schen zumin­dest in mehr Tei­len selbst­be­stimmt. In vie­len Unter­neh­men ist die­se Selbst­be­stimmt­heit aller­dings noch wenig gegeben. 

Vie­le Grüße
Mar­tin Bartonitz

Mar­tin, dan­ke für das Feedback.
Als ich den Satz schrieb, woll­te ich eigent­lich um das The­ma Share­hol­der herumarbeiten.

Mir ist hier vor allem die Dif­fe­ren­zie­rung wichtig:
Die „grund­le­gen­de Idee“ der Akti­en sehe ich so, wie sie frü­her ein­mal war, und sich jetzt im Kick­star­ter-Milieu mani­fes­tiert. Eine Grup­pe von Geld­ge­bern fin­det sich zusam­men, um ein sinn­vol­les oder span­nen­des Pro­dukt zu ermög­li­chen, das ihnen dann einen Nut­zen bringt, zum Einen durch das Pro­dukt an sich, zum Ande­ren durch eine Teil­ha­be am Geschäftserfolg.

Die „real exis­tie­ren­de“ Umset­zung die­ser Idee in der Wirt­schaft weicht davon erheb­lich ab: Die Aktio­nä­re kau­fen Antei­le an einem Unter­neh­men, ohne sich für des­sen Geschäfts­zweck zu inter­es­sie­ren. Viel­mehr läuft das Geschäft nach der Art „ich gebe Dir ein biss­chen Geld, und Du zahlst mir regel­mä­ßig stei­gen­de Divi­den­den, egal wie Du das machst“.
(Klingt ein biss­chen nach Schutz­geld, oder?)

Die Krö­nung des Gan­zen hat sich bei ver­schie­de­nen Unter­neh­men kürz­lich gezeigt, die auf­grund zu gerin­ger Gewin­ne (nicht Ver­lus­te, nur zu wenig Gewinn) ihren Share­hol­dern zulie­be die hal­be Mann­schaft gefeu­ert haben.

Und das ist eine gro­be Per­ver­si­on des Ganzen.

Die Fra­ge, die sich mir stellt ist aller­dings, ob die Finan­zie­rung gemein­schaft­lich för­der­li­cher Pro­jek­te nicht bes­ser von der Gemein­schaft ohne ohne Zins gewährt wird.

Dazu müss­ten aller­dings unse­re Poli­ti­ker den Arsch in der Hose haben, und das Mono­pol der Giral­geld­schöp­fung wie­der in die Gemein­schaft selbst holen. Der letz­te, der es ver­sucht hat­te, war JFK. Danach war Ruhe. Aber es wer­den immer mehr, die sich trau­en, über unser kru­des Geld­sys­tem zu schrei­ben. Hier ein Beispiel:

http://wirdemo.buergerstimme.com/2013/10/wie-das-muster-der-gesellschaftskrisen-durchbrechen/

Wer weiß, wie das Geld­sys­tem auf­ge­baut ist, wird ver­ste­hen, war­um sich die Sche­re zwi­schen Reich und Arm zwin­gend öff­nen muss. Und das hat auch etwas damit zu tun, dass wir auf Kos­ten Ande­rer zu leben erlauben.

Vie­le Grüße
Martin

Dan­ke für eure anre­gen­de Dis­kus­si­on, Mar­tin und Thi­lo! Je tie­fer man in unser Wirt­schafts- und Kapi­tal­markt­sys­tem ein­steigt, des­to mehr erkennt man tat­säch­lich die Defi­zi­te. Viel­leicht gab es dahin­ter Mal eine gute Absicht, die aller­dings schon lan­ge nicht mehr sicht­bar ist. Kurz­fris­tig wäre ich schon glück­lich wenn es mehr ech­te Unter­neh­mer vom Schla­ge eines Götz Wer­ner gäbe und weni­ger Manager.

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