Wo immer Menschen zusammen leben und arbeiten, spielen Wertvorstellungen eine wichtige aber oft sträflich unterschätzte Rolle. Obwohl sie das Fundament unseres Zusammenlebens bilden, reden wir über unsere Werte nur selten explizit, sondern lassen eher unterschwellig durchblicken, was uns gefällt oder missfällt. Erst wenn Konflikte zu Tage treten, werden verletzte Wertvorstellungen zum Thema. Hinzu kommt, dass wir häufig unsere Werte gar nicht klar benennen können und schon unser eigenes Wertesystem nicht widerspruchsfrei ist. Vor diesem Hintergrund der schlecht zugänglichen und widersprüchlichen Werte eines einzelnen Menschen, stellt die Zusammenarbeit vieler unterschiedlich sozialisierter Menschen eine ganz besondere Herausforderung dar. Insbesondere in Projektteams, denen selten die nötige Zeit zum Aushandeln und Ausbilden gemeinsamer Werte bleibt.
Nowadays people know the price of everything and the value of nothing.
Oscar Wilde
Wer kennt sie nicht die Klage von mangelnder Professionalität. Wobei einem ja nie jemand erklärt, was genau professionell und was unprofessionell ist. Ist es professionell, möglichst schnell eine Lösung bereitzustellen, die in einigen Spezialfällen aber nicht trägt? Oder ist es professionell, eine sorgfältigere Lösung anzustreben, die eben ein wenig läger dauert. Es kommt darauf an. Auf die Situation einerseits, denn bei drohender Gefahr mit größeren Schäden, ist die quick-and-dirty Lösung immer noch besser als keine oder eine richtigere, aber zu spät umsetzbare. Andererseits kommt es aber auch auf den Menschen und seine Wertvorstellungen an. Während für manche Schnelligkeit ein wichtiger Wert ist, empfindet der andere genau das als unerträgliche Schlamperei, weil sein Wert der Perfektion verletzt wird.
Solche grundlegenden Werte beeinflussen unser Denken, Fühlen und Handeln ganz massiv. Da sie das Ergebnis jahrelanger Erziehung und Sozialisierung sind, sind sie uns meist nicht direkt und sofort bewusst und fallen uns erst dann auf, wenn es zu erhöhter Reibung mit anderen Wertesystemen kommt. Was für den einen ganz normal und sogar erstrebenswert ist, geht für den anderen gar nicht. Und schuld sind dann natürlich die anderen mit ihrem unprofessionellen Verhalten.
Solche Konflikte kosten viel Zeit und Kraft, weil es zwar vordergründig um die Sache und um richtiges oder falsches Verhalten geht, das eigentliche Problem auf dieser Ebene aber gar nicht gelöst werden kann. Solange die Beteiligten sich ihrer grundlegenden Verschiedenheit der Wertesysteme nicht bewusst werden und diesen Konflikt auf der Ebene der Wertvorstellung auflösen, nimmt eine solche Diskussion kein Ende.
Einen ersten Anhaltpunkt der eigenen Werte und einen Einblick in die Motivation der anderen sich in bestimmter Weise zu verhalten, liefert das hilfreiche Konzept der inneren Antreiber aus der Transaktionsanalyse (eine ausführliche und gut lesbare Beschreibung findet sich hier). Es werden fünf wesentliche Antreiber unterschieden, die Verhaltensmuster erklären, welche oft unbewusst ablaufen, uns teilweise sogar behindern und deren Entstehung tief in unserer Kindheitsgeschichte verankert ist:
- „Sei stark!“
- „Sei perfekt!“
- „Mach es allen recht!“
- „Beeil Dich!“
- „Streng Dich an!“
Im Grunde repräsentieren diese Antreiber jeweils positive Werte wie Stärke, Genauigkeit, Liebenswürdigkeit, Schnelligkeit oder Ausdauer. Werden sie aber zu stark betont, stehen diese an sich positiven Grundeigenschaften uns plötzlich im Weg.
Um fremden Wert willig und frei anzuerkennen, muß man eigenen haben.
Arthur Schopenhauer
Wenn wir uns zunächst über die eigenen inneren Antreiber bewusst würden und dann verstünden, dass andere einen anderen Satz an Antreibern ausgebildet haben, wären wir schon ein ganzes Stück weiter. Wenn es uns dann noch gelänge, im Stile der Gewaltfreien Kommunikation („Wenn ich a sehe, dann fühle ich b, weil ich c brauche. Deshalb möchte ich jetzt gerne d.“) darüber miteinander zu sprechen, könnten wir uns viel unfruchtbare Diskussionen ersparen. Wir wären dann im ersten Schritt in der Lage, die Verschiedenheit von Menschen und Wertvorstellungen zu erkennen und zu akzeptieren, um sie dann im zweiten Schritt synergetisch in der Zusammenarbeit zu nutzen anstatt auf der falschen Ebene zu bekämpfen.
7 Kommentare
Da hilft Empathie: sich in den anderen hineinversetzen zu können.
Ich bin Baujahr 1958 und kann mich nicht erinnern, dass wir über Eigenwahrnehmung, Fremdwahrnehmung und innere Weltbilder, oder gar über Meme als geistige Viren gesprochen hätten.
Gewaltfreie Kommunikation heißt ja auch nicht Friede, Freude, Eierkuchen sondern das Aufzeigen der eigenen Wahrnehmung, das Darstellen seiner Gefühlswelt und den Wunsch an die andere Seite formulieren zu können. Also nicht dem Konflikt aus dem Weg zu gehen, sondern ihn verständlich zu machen. So gelingt eine gemeinsame Lösung deutlich besser :-)
Danke für den guten Beitrag :-) Martin
Danke für Deinen Kommentar, Martin! In der Tat heißt gewaltfrei nicht konfliktfrei – im Gegenteil! Schwierig ist dabei in meiner Wahrnehmung immer, das eigene (verletzte) Bedürfnis zu benennen; das ist nicht immer gut zugänglich und hat eben viel mit tief eingeprägten Wertvorstellungen zu tun. An der Stelle finde ich das Konzept der inneren Antreiber wiederum hilfreich, weil es zum Nachdenken über diese Bedürfnisse, ihre Entstehung und auch ihre Fragwürdigkeit anregt.
„innerer Antreiber“ gefällt mir gut. Meine Älteste ist mit 27 aktuelle auf der Suche, was sie denn antreibt. Denn Vieles tut sie aufgrund fremder Programmierung, was dann eher gegen sie selbst geht: Fremderfüllung zu betreiben. Es ist für sie äußerst schwierig, jene inneren Antreiber zu finden, die sie selbst ausmacht, die dann ihre eigenen Potential sind. So ist es ihr derzeit nicht möglich, einer Potentialentfaltung zu folgen, aus der sie eine eigene Erfüllung erfahren kann.
Unser Schulsystem ist darauf so gut wie nicht ausgerichtet … Schade für unsere Gemeinschaft, wir doch so viel Potential brach liegen gelassen …
Zu den inneren Antreibern gibt es recht simple Tests die man machen kann. Ich selbst finde sie für die eigene Reflexion gut, um zu wissen wo man DERZEIT steht. Ansonsten finde ich, man sollte sich selbst die Chance geben ‑auch die Motivatoren- sich ändern zu lassen.
Aus eigener Erfahrung glaube ich, dass oft ein ganz einfacher Fehler beim „Potentiale suchen“ gemacht wird: Man versucht das Ganze mit dem Verstand zu bewerkstelligen. Der ist aber ein Problemfinder und Löser.
Auf die Idee, den Verstand dabei mal „die 2te Geige“ sein zu lassen und in sich hinein zu spüren, kommen mittlerweile immer mehr Menschen. Tatsächlich ist es nicht immer leicht zu spüren, wenn man sein Leben lang das Denken trainiert hat und vielleicht sogar gelernt hat das Spüren „abzuschalten“. Es klingt schon fast nach Walt Disney „Folge Deinem Herzen“ (bzw. deiner Freude), aber der Körper und das Gespür dafür sind besser geeignet seine Potentiale zu entdecken ;o) .
Um sich die Unterschiedlichkeit der Menschen in Gruppen zumindest mal zu vergegenwärtigen und zu verstehen, was gemeint ist, wenn manche Leute von Feldern reden, finde ich den Gruppenkompass von Stahl sehr interessant:
http://werkzeugkoffer.wirtrainieren.de/riemann-thomann-modell-als-gruppenkompass/
Da stimme ich Dir voll zu, Bernd. Diese Tests liefern einen ersten Anhaltspunkt und regen zum Nachdenken an. Auf dieser Ebene des Denkens liegt aber auch eine Gefahr, nämlich dass wir versuchen uns unser Potential analytisch planend zu erschließen. Wir sollten viel mehr unserem Herzen folgen. Recht schön beschreibt das Steve Jobs in seiner Rede in Standford:
Empathie und eine Ahnung davon, dass wir Werte unterschiedlich priorisieren (schon allein um unsere eigenen „Wertekonflikte“ zu handeln).
Die Idee per GFK die Ebene zu wechseln – also auf die Ebene der Wünsche und Bedürfnisse zu gelangen ist TOP. Diese Ebene priorisieren wir (wenn es um Werte geht) höher, als Beispielsweise die Ebenen der Identität oder der Regeln…
(Allgemein sind die Konflikte mit „Brennfaktor“ / „in die wir also bereit sind Energie zu investieren“, aber natürlich eigentlich die unlösbaren)
;o) ,
Bernd
Vielen Dank für Deinen Kommentar und Deine Ergänzungen, Bernd! Wie schon in der Antwort auf Martin geschrieben, finde ich es schwierig die eigenen Bedürfnisse überhaupt sauber zu benennen. Die GFK hilft hier insofern, als dass sie uns zwingt darüber nachzudenken. Und bei diesem Nachdenken über die Bedürfnisse hilft mir persönlich das Konzept der inneren Antreiber ganz gut.