(K)ein richtiges Leben im falschen?

Viel wird geschrie­ben – auch hier – über neue Arbeit als Über­be­griff für post­in­dus­tri­el­le Gestal­tung der Zusam­men­ar­beit von Men­schen im Unter­neh­men oder im Pro­jekt als tem­po­rä­re­res Unter­neh­men sozu­sa­gen. Es ist die Rede von Selbst­or­ga­ni­sa­ti­on, demo­kra­ti­schen Ent­schei­dungs­pro­zes­sen, Sinn­stif­tung und vie­len wei­te­ren wohl­klin­gen­den Begrif­fen. Natür­lich gibt es sie tat­säch­lich die leuch­ten­den Bei­spie­le moder­ner Unter­neh­mens­füh­rung, die all das und noch viel mehr anstre­ben und ver­wirk­li­chen. Den­noch sieht die Arbeits­rea­li­tät für die aller­meis­ten Men­schen noch immer deut­lich glanz­lo­ser aus. Unwei­ger­lich stellt man sich als auf­ge­klär­ter Arbei­ter jeden Tag an der Stech­uhr die Fra­ge, wie­viel die­ser Ideen im eige­nen Arbeits­le­ben umsetz­bar sind und ob es über­haupt ein rich­ti­ges Leben im fal­schen geben kann.

Neu ist weder ist die­se Fra­ge noch die berühm­te und mitt­ler­wei­le sprich­wört­li­che Ant­wort des deut­schen Phi­lo­so­phen Theo­dor W. Ador­no in sei­ner Mini­ma Mora­lia: „Es gibt kein rich­ti­ges Leben im fal­schen.“ Die Umstän­de, unter des­sen Ein­druck Ador­no 1951 die­sen Satz schrieb, sind selbst­ver­ständ­lich nicht zu ver­glei­chen mit unse­ren dage­gen nich­tig anmu­ten­den Pro­ble­men der erfül­len­den Zusam­men­ar­beit. Den­noch bleibt die Fra­ge, ob es nur die­se (schein­bar) radi­ka­le Ant­wort gibt und was dann folg­lich zu tun wäre.

Zunächst ist es ganz ent­schei­dend – und so lau­tet ja auch eine gän­gi­ge Les­art die­ses Sat­zes von Ador­no –, ein Gespür für rich­tig und falsch zu ent­wi­ckeln und es sich nicht trü­ben zu las­sen: „Auch wenn ein im Gan­zen rich­ti­ges Leben unmög­lich ist, so ist es für ein unver­blen­de­tes Dasein äußerst wich­tig, sich den Sinn für das Rich­ti­ge nicht abkau­fen zu las­sen.“ (Mar­tin Seel: Das Rich­ti­ge im Fal­schen, in: DIE ZEIT, 2001) Der Kom­pass muss geeicht wer­den und blei­ben. In die­sem Sin­ne emp­fin­de ich das Nach­den­ken über neue, mensch­li­che­re und ver­träg­li­che­re For­men des Wirt­schaf­tens sehr anre­gend und span­nend, auch wenn vie­les davon hier und heu­te nicht immer umsetz­bar ist. Es zeigt mir, wo vor­ne ist.

Aber wäre es dann nicht bes­ser, ein eige­nes Unter­neh­men nach eben sol­chen Prin­zi­pi­en auf­zu­bau­en, anstatt irgend­wo im Groß­kon­zern gegen Wind­müh­len und Träg­heit anzu­kämp­fen? Ein Unter­neh­men braucht eine Geschäfts­idee und einen Unter­neh­mens­zweck; es muss einen wert­vol­len Bei­trag zur Gesell­schaft leis­ten, sonst ist es schlicht nicht gefragt und kann nicht erfolg­reich sein. Eine neue und ohne Zwei­fel bes­se­re Form der Zusam­men­ar­beit im Unter­neh­men ist aber kein Unter­neh­mens­zweck, son­dern nur ein gutes Mit­tel, um einen Zweck mög­lichst gut zu erfül­len. Am Anfang der Unter­neh­mens­grün­dung muss also die Fra­ge nach dem Zweck ste­hen und nicht schon die bes­se­re Orga­ni­sa­ti­on als Ant­wort auf eine Fra­ge, die noch gar nicht gestellt wurde.

In vie­len Fäl­len bleibt also doch nur, das rich­ti­ge im fal­schen Leben anzu­stre­ben. Das ist selbst­ver­ständ­lich müh­sam und auf­grund der Träg­heit deut­lich lang­sa­mer, aber den­noch nicht ver­geb­lich. Bei­spiels­wei­se habe ich als Pro­jekt­lei­ter sehr oft (in gewis­sen Gren­zen) eine Wahl, etwa was den Grad der Selbst­or­ga­ni­sa­ti­on betrifft. Und die Träg­heit ist ja auch nicht immer nur schlecht. Sie ver­hin­dert, dass jeder Mode sofort nach­ge­ge­ben wird und zwingt uns, eine gewis­se Rei­fe und Erfah­rung abzuwarten. 

Schwie­rig wird es, wenn Unter­neh­men sich gänz­lich gegen­über Ein­flüs­sen von außen abschot­ten („not inven­ted here“) und die Träg­heit sich lang­sam in eine Schock­star­re ver­wan­delt („… haben wir schon immer so gemacht …“). Die Kunst ist es also gera­de genug neue Ideen ins Unter­neh­men zu tra­gen, um eine kon­struk­ti­ve Rei­bung mit dem Sta­tus quo zu ermög­li­chen. Wenn das gege­ben ist, habe ich kein Pro­blem, gedul­dig für das rich­ti­ge Leben im fal­schen zu kämp­fen getreu dem Leit­spruch von Götz Werner:

Beharr­lich im Bemü­hen, beschei­den in der Erfolgserwartung.
Götz W. Werner

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Von Marcus Raitner

Hi, ich bin Marcus. Ich bin der festen Überzeugung, dass Elefanten tanzen können. Daher begleite ich Organisationen auf ihrem Weg zu mehr Agilität. Über die Themen Führung, Digitalisierung, Neue Arbeit, Agilität und vieles mehr schreibe ich seit 2010 in diesem Blog. Mehr über mich.

12 Kommentare

Hal­lo Marcus,

vie­len Dank für Dei­ne Wor­te! Ich fin­de Sie sehr inspirierend:

Auch ein Zitat von Götz Wer­ner (frei aus dem Gedächtnis):

Wer­te haben heißt zu Wis­sen, was rich­tig ist…“

Es hat also nichts damit zu tun, wie die Welt ist oder wie groß der eige­ne Ein­fluß­be­reich ist.
Man­che Men­schen ler­nen viel­leicht eher „Spiel­re­geln“, (die sich ande­re aus­ge­dacht haben), um her­aus­zu­fin­den was „rich­tig“ ist. Ande­re ver­bin­den sich viel­leicht eher mit der Situa­ti­on (und ihrem Ver­stand, Her­zen, Gewis­sen, Kör­per oä), um zu prü­fen, ob „die Rich­tung“ für sie stim­mig ist.

Von Oscar Wil­de stammt die­ses Zitat:

Das Durch­schnitt­li­che gibt der Welt ihren Bestand, das Außer­ge­wöhn­li­che ihren Wert.“

Ich den­ke wir brau­chen viel­leicht Bei­des: Den Bestand (Sicher­heit) und das Außer­ge­wöhn­li­che (Ent­wick­lungs­zie­le).

Du schreibst zu Dei­nem „Nach­den­ken…“: „Es zeigt mit wo vor­ne ist…“ und ich fin­de genau das ist wich­tig, beim Füh­ren ;o)

Dafür noch ein Zitat von Oli­ver W Holmes:

In die­ser Welt kommt es nicht so sehr dar­auf an, wo wir sind, son­dern dar­auf, in wel­che Rich­tung wir uns bewegen.“

In die­sem Sin­ne wün­sche ich Dir hier bei „Füh­rung-erfah­ren“ die Beharr­lich­keit und davon abge­se­hen jede Men­ge Gelas­sen­heit und inne­ren Frieden…

Bernd

Lie­ber Mar­cus, das Zitat von Ador­no „Es gibt kein rich­ti­ges Leben im fal­schen.“ hat mich vor ein paar Jah­ren auch sehr berührt. Und wie Du ja auch schon geschrie­ben hast ver­bie­tet sich fast jeder Ver­gleich der heu­ti­gen Situa­ti­on in unse­rer Gesell­schaft mit dem dama­li­gen Nach­hall von Schre­cken, der Ador­no zu die­sem Satz bewegt hat.

Durch Zufall habe ich mir vor­ges­tern aber den Film von Car­men Los­mann „WORK HARD PLAY HARD“ ange­se­hen und auch aus­führ­lich mit der Regis­seu­rin gespro­chen. Der Film ist wirk­lich sehens­wert, in IF-Blog.de habe ich über mei­nen Besuch dort berichtet.

Wenn man die Ein­drü­cke des Fil­mes mit den aktu­el­len Nach­rich­ten aus aller Welt wie aus Deutsch­land ver­bin­det (gesell­schaft­li­che Ent­wick­lun­gen wie in USA und ande­ren Län­dern, NSA, Krie­ge, Steu­er­ma­ni­pu­la­tio­nen, Finanz­ge­ba­ren, Lob­by­is­mus, Grund­ge­setz­ver­stö­ße, all­ge­mei­ne Domi­nanz der Mäch­ti­gen, Umgang mit Kli­ma­ent­wick­lung aber auch The­men wie Ebo­la) und dies auch noch der eige­nen Lebens­er­fah­rung kom­bi­niert, dann könn­te man aber schon auf den Gedan­ken kom­men „Weh­ret den Anfängen“.

Inso­fern sehe ich Dich als Rufer in der Wüs­te, der aber dan­kens­wer­ter Wei­se nicht ein­sam ist, weil Du nicht der ein­zi­ge bist. Und da es immer mehr wer­den, könn­te ich mir schon vor­stel­len, dass die heu­te Mäch­ti­gen dem­nächst mal wie­der den zur­zeit wegen Jubi­lä­ums ja sehr aktu­el­len Ruf „Wir sind das Volk“ zu hören bekommen.

Vie­len Dank für Dei­nen Zuspruch, lie­ber Roland. Den Film „Work Hard Play Hard“ hat­te ich neu­lich auch gese­hen: wirk­lich sehr sehens­wert. Und ja, wenn man sich so umsieht, in der Arbeits­welt im Klei­nen aber auch in der Umwelt mit den Pro­ble­men, die Du beschreibst, im Gro­ßen, kom­men schon Zwei­fel, ob es da ein rich­ti­ges Leben geben kann.

Moin Mar­cus

Du schreibst: „Eine neue und ohne Zwei­fel bes­se­re Form der Zusam­men­ar­beit im Unter­neh­men ist aber kein Unter­neh­mens­zweck, son­dern nur ein gutes Mit­tel, um einen Zweck mög­lichst gut zu erfül­len. Am Anfang der Unter­neh­mens­grün­dung muss also die Fra­ge nach dem Zweck ste­hen und nicht schon die bes­se­re Orga­ni­sa­ti­on als Ant­wort auf eine Fra­ge, die noch gar nicht gestellt wurde.“

Da stim­me ich zu. Tol­le Zusam­men­ar­beit um der tol­len Zusam­men­ar­beit wil­len trägt noch kein Unter­neh­men. Und doch kann es eine frucht­ba­re Basis sein, wenn man sich die Erkennt­nis­se der Effec­tua­ti­on-For­schung ansieht, z. B.:

Basis für das Han­deln: Mit­tel­ori­en­tie­rung: Die jeweils ver­füg­ba­ren Mit­tel (wer ich bin, was ich weiß und wen ich ken­ne) bestim­men, wel­che (ver­än­der­li­chen) Zie­le ange­strebt wer­den (und nicht umgekehrt).“
[http://de.m.wikipedia.org/wiki/Effectuation]

In die­sem Sin­ne: Grün­det und meh­ret Euch ;)

Lie­ben Gruß/
Heiko

P. S.: An alle Work Hard Play Hard-Fans: Freut Euch auf den Film „Augen­hö­he“!

Moin Hei­ko, dan­ke für Dei­ne Ergän­zun­gen zur Effec­tua­ti­on. Das stim­me ich Dir voll zu: Das rich­ti­ge Leben im Sin­ne der tol­len Zusam­men­ar­beit auf Augen­hö­he ist ein sehr guter Nähr­bo­den für den Erfolg. Wie in der Natur trägt ein Nähr­bo­den ohne Samen auch kei­ne Früch­te. Der Keim einer Unter­neh­mens­idee, oder vie­ler Ideen, muss vor­han­den sein und gepflegt wer­den. Wenn das vor­han­den ist, dann ja: Grün­det und meh­ret euch. Oder aber strebt das rich­ti­ge Leben an auch und gera­de im falschen.

Hal­lo Marcus,

ein schö­ner Bei­trag – dan­ke. Mei­ne Anmer­kung: Die Kate­go­rien „rich­tig“ und „falsch“ sind schwie­rig. Für wen ist was unter wel­chen Bedin­gun­gen rich­tig? Oder falsch? Ich wür­de sagen: Das kann jeder nur für sich beant­wor­ten. Und da kommt eine neue Kate­go­rie ins Spiel: Selbst­ehr­lich­keit. Weiß ich wirk­lich, was für mich rich­tig ist? Wie fin­de ich her­aus, was für mich das Rich­ti­ge ist? Ein ande­rer kann mir das nicht abschlie­ßend sagen, aber wich­ti­ge Hin­wei­se und Anre­gun­gen bieten.
Letzt­end­lich obliegt es jedem selbst, ehr­lich mit sich selbst her­aus­zu­fin­den, was eben das Rich­ti­ge ist. Aller­dings heißt das manch­mal auch, sich in die Tie­fen des eige­nen Unbe­wuss­ten zu bege­ben, um genau das her­aus­zu­fin­den. Ein Weg, eine Arbeit, die in unse­rer Gesell­schaft zumeist nicht ernst genom­men, als eso­te­risch abge­tan wird.
Dabei ist es der ein­zi­ge Weg, eben mit sich selbst ins Rei­ne zu kom­men und zu klä­ren, wohin mich mei­ne Rei­se führt.

HG
Andreas

Vie­len Dank für Dei­nen Kom­men­tar Andre­as, der jetzt noch den Aspekt der Selbst­ehr­lich­keit hin­zu­fügt. Dar­um ging es mir in ers­ter Linie aber gar nicht. Es ist mir klar, dass rich­tig nicht abso­lut rich­tig bedeu­tet, son­dern für mich rich­tig. Nun ist es so, dass ich für mich erkannt habe, wie ich Pro­jek­te füh­ren möch­te, was mir wich­tig ist im Umgang mit Men­schen, also mein Begriff von rich­tig. Das passt aber nicht immer zu der Orga­ni­sa­ti­on oder dem Umfeld und viel­leicht auch gar nicht zu dem Men­schen in die­sem Umfeld. Das beschäf­tigt mich daran.

Ein sehr schö­ner Bei­trag über sozia­le Struk­tu­ren in Unter­neh­men, den ich hier ja auch schon expli­zit her­vor geho­ben habe:

http://www.projektassistenz-blog.de/projektmanagement-blogs/

In Anbe­tracht Ador­nos sons­ti­gen gesell­schafts­kri­ti­schen und kul­tur­pes­si­mis­ti­schen Aus­füh­run­gen ver­ste­he ich die Aus­sa­ge „Es gibt kein Rich­ti­ges im Fal­schen“ jedoch anders als der Autor.

Ich ver­ste­he die Aus­sa­ge eher so, dass in einer grund­sätz­lich unfai­ren Gesell­schaft kein wirk­lich gutes Mit­ein­an­der mög­lich ist. In einer schlech­ten Gesell­schaft kann es auch kei­ne guten Unter­neh­men geben.

Oder eine Ebe­ne tie­fer: Mora­lisch „schlech­te“ Unter­neh­men (wie auch immer man dies defi­nie­ren möch­te), kön­nen kei­ne mora­lisch „guten“ Pro­jek­te betreiben.

Kein Rich­ti­ges im Fal­schen eben…

Gruß

Dan­ke für dei­ne Aus­füh­run­gen, Aaron und die Emp­feh­lung in eurem Blog. Was Ador­no in Bezug auf die gesell­schaft­li­che Moral oder auch nur die Moral in Unter­neh­men betrifft, sehe ich das genau­so: Da gibt es kein rich­ti­ges Leben im fal­schen (die Klein­schrei­bung ist übri­gens essen­ti­ell!). Mir ging es im über­tra­ge­nen Sin­ne eher um die Fra­ge, ob rich­ti­ge und gute Füh­rung in fal­schen Struk­tu­ren mög­lich ist und bin der Mei­nung (oder war das damals), dass es einen Ver­such wert ist.

oder war das damals“

Hal­lo Mar­cus, da wür­de mich nun inter­es­sie­ren, was dich inzwi­schen davon abge­bracht hat :)

Auch inter­es­sie­ren wür­de mich, was es mit der Klein­schrei­bung auf sich hat. Ist schon eine Wei­le her, dass ich Mini­ma Mora­lia in der Hand hat­te :D

LG Aaron

Bis­her hat mich nichts davon abge­bracht, woll­te aber sagen, dass man regel­mä­ßig prü­fen soll­te, ob der Kampf noch lohnt. Die Klein­schrei­bung ist des­halb wich­tig, weil es im Ori­gi­nal klein geschrie­ben ist sich „im fal­schen“ dann auf das Leben bezieht und nicht auf das irgend­ein abso­lut „Fal­sches“. Eigent­lich ist der Satz dann ein bewuss­ter Wider­spruch in sich: Wie kann das Leben gleich­zei­tig falsch und rich­tig sein? Und als Auf­ruf gedacht sich den Sinn für das Rich­ti­ge zu erhalten.

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