Verantwortung ohne Verantwortliche

Im Zen­trum agi­len Vor­ge­hens steht ein inter­dis­zi­pli­nä­res Team. Men­schen mit unter­schied­li­chen Fähig­kei­ten und Wis­sen arbei­ten selbst­or­ga­ni­siert zusam­men. Sie über­neh­men gemein­sam Ver­ant­wor­tung für ihr Pro­dukt und ihre regel­mä­ßi­gen Lie­fe­run­gen, um die­ses Pro­dukt stän­dig zu ver­bes­sern. Gelei­tet wer­den sie dabei von einer Pro­dukt­vi­si­on und dem Feed­back von Nut­zern des Pro­dukts zu den ein­zel­nen Lie­fe­run­gen. Das Team reflek­tiert die Zusam­men­ar­beit regel­mä­ßig und ver­bes­sert sich dadurch stän­dig. Weder not­wen­dig noch hilf­reich ist ein Lei­ter die­ses Teams. Genau damit haben aber vie­le hier­ar­chi­sche Orga­ni­sa­tio­nen ein Pro­blem, weil es nach den unhin­ter­frag­ten Glau­bens­satz immer einen und genau einen Ver­ant­wort­li­chen geben muss.

The best archi­tec­tures, requi­re­ments, and designs emer­ge from self-orga­ni­zing teams.
Prin­ci­ples behind the Agi­le Manifesto

Der Wunsch nach einem und genau einem Ver­ant­wort­li­chen hat immer etwas mit Pro­ble­men zu tun. Nach gän­gi­ger Mei­nung braucht es einen Ver­ant­wort­li­chen, weil sich sonst nie­mand um Pro­ble­me küm­mert. Wenn alles rich­tig läuft, braucht man kei­nen Ver­ant­wort­li­chen. Erst wenn etwas schief läuft, will man genau einen anschau­en kön­nen, der sich dann um alles küm­mert. Die Erfah­rung in sol­chen Orga­ni­sa­tio­nen lehrt offen­bar, dass Teams eher lose Grup­pen von Indi­vi­du­en mit gerin­ger Moti­va­ti­on und nicht aus­rei­chen­der Iden­ti­fi­ka­ti­on für die gemein­sa­me Sache sind.

An empowered orga­niza­ti­on is one in which indi­vi­du­als have the know­ledge, skill, desi­re, and oppor­tu­ni­ty to per­so­nal­ly suc­ceed in a way that leads to coll­ec­ti­ve orga­niza­tio­nal success.
Ste­phen R. Covey

Die­ses Sym­ptom kann man natür­lich schnell durch Benen­nung eines Ver­ant­wort­li­chen bekämp­fen, das eigent­li­che Pro­blem der Moti­va­ti­on und Iden­ti­fi­ka­ti­on löst man dadurch aber nicht. Das liegt viel tie­fer und beginnt beim immer noch vor­herr­schen­den Men­schen­bild der Theo­rie X, der zufol­ge Men­schen prin­zi­pi­ell faul sind und erst zur Arbeit gezwun­gen wer­den müs­sen. Das recht­fer­tigt Druck und indi­vi­du­el­le Anreiz­sys­te­me als Füh­rungs­in­stru­men­te, auch wenn die­se nach­weis­lich im Kon­text von Wis­sens­ar­beit zu schlech­te­ren Ergeb­nis­sen füh­ren. In die­ser Kul­tur von Druck und letzt­lich Angst zie­hen sich die Men­schen auf ihre Rol­len und Auf­ga­ben zurück. Die Bereit­schaft zur Koope­ra­ti­on und zur Über­nah­me von gemein­sa­mer Ver­ant­wor­tung ver­schwin­det. Und fer­tig ist die selbst­er­fül­len­de Pro­phe­zei­hung der Theo­rie X.

Build pro­jects around moti­va­ted indi­vi­du­als. Give them the envi­ron­ment and sup­port they need, and trust them to get the job done.
Prin­ci­ples behind the Agi­le Manifesto

In die­sen sehr tief­lie­gen­den und meis­tens unbe­wuss­ten Glau­bens­sät­zen zum Men­schen­bild liegt die gro­ße Her­aus­for­de­rung einer agi­len Trans­for­ma­ti­on. Die Metho­den und Pro­zes­se sind tri­vi­al im Ver­gleich zu die­sem Kul­tur­wan­del von Theo­rie X zu Theo­rie Y, also hin zum Para­dig­ma des prin­zi­pi­ell und intrin­sisch moti­vier­ten Men­schen. Dadurch ändert sich zwar das Ver­hal­ten der Men­schen nicht sofort, aber der Blick rich­tet sich auf demo­ti­vie­ren­de Struk­tu­ren, Pro­zes­se und Kul­tur. Und dar­an kann man arbeiten.

Das Ein­zi­ge, was die Mensch­heit zu ret­ten ver­mag, ist Zusam­men­ar­beit, und der Weg zur Zusam­men­ar­beit nimmt im Her­zen der Ein­zel­nen sei­nen Anfang.
Bert­rand Russell

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Von Marcus Raitner

Hi, ich bin Marcus. Ich bin der festen Überzeugung, dass Elefanten tanzen können. Daher begleite ich Organisationen auf ihrem Weg zu mehr Agilität. Über die Themen Führung, Digitalisierung, Neue Arbeit, Agilität und vieles mehr schreibe ich seit 2010 in diesem Blog. Mehr über mich.

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