Von tayloristischer Unmündigkeit zu agiler Selbstorganisation

In der über­wie­gend tay­lo­ris­tisch gepräg­ten Arbeits­welt wird immer noch recht strikt getrennt zwi­schen Den­ken und Han­deln. Das Manage­ment defi­niert Zie­le, Orga­ni­sa­ti­on und Pro­zes­se und die ein­fa­chen Mit­ar­bei­ter arbei­ten inner­halb die­ser für sie geschaf­fe­nen Struk­tu­ren. Umor­ga­ni­sa­ti­on und Pro­zess­ver­än­de­run­gen sind nach die­sem Para­dig­ma urei­gens­te Manage­ment­auf­ga­be. Im Gegen­satz zu ande­ren Orga­ni­sa­ti­ons­ver­än­de­run­gen kann eine agi­le Trans­for­ma­ti­on so aber prin­zi­pi­ell nicht gelin­gen. Genau die­se tay­lo­ris­ti­sche Tren­nung zwi­schen Den­ken und Han­deln löst sich näm­lich in einer agi­len Orga­ni­sa­ti­on auf zuguns­ten des neu­en Para­dig­mas der Selbst­or­ga­ni­sa­ti­on und geteil­ter Ver­ant­wor­tung für Pro­dukt und Prozess.

Der Tay­lo­ris­mus hat­te und hat sei­ne Stär­ken in der effi­zi­en­ten Mas­sen­pro­duk­ti­on. Die schnel­le Anpas­sung an neue Her­aus­for­de­rung oder Chan­cen war in trä­gen und unge­sät­tig­ten Märk­ten weni­ger wich­tig. In den heu­ti­gen schnel­len, glo­ba­len und gesät­tig­ten Märk­ten ist oder wird die­se Agi­li­tät auf Unter­neh­mens­ebe­ne über­le­bens­wich­tig. Der Tay­lo­ris­mus ist also zwar effi­zi­ent, aber gera­de des­halb auch starr und lang­sam in der Anpas­sung an Neues.

The most important, and inde­ed the tru­ly uni­que, con­tri­bu­ti­on of manage­ment in the 20th cen­tu­ry was the fif­ty-fold increase in the pro­duc­ti­vi­ty of the manu­al worker in manu­fac­tu­ring. The most important con­tri­bu­ti­on manage­ment needs to make in the 21st cen­tu­ry is simi­lar­ly to increase the pro­duc­ti­vi­ty of know­ledge work and the know­ledge worker.
Peter F. Drucker

Der Wan­del hin zu einer agi­len Orga­ni­sa­ti­on ist immer auch ein Para­dig­men­wech­sel und eben nicht nur eine Modi­fi­ka­ti­on der bestehen­den tay­lo­ris­ti­schen Orga­ni­sa­ti­on. Genau die­ser Para­dig­men­wech­sel macht eine agi­le Trans­for­ma­ti­on so schwie­rig, weil damit ein­her auch das Los­las­sen und Zer­stö­ren des Alten und Bewähr­ten geht. Wäh­rend der Tay­lo­ris­mus auf Zen­tra­li­sie­rung, Spe­zia­li­sie­rung und Stan­dar­di­sie­rung setzt, braucht Agi­li­tät kon­se­quen­te Dezen­tra­li­sie­rung, Inter­dis­zi­pli­na­ri­tät und Emer­genz. Wäh­rend der Tay­lo­ris­mus auf mit Manage­ment und Kon­trol­le beruht, braucht Agi­li­tät in ers­ter Linie Auto­no­mie und Ori­en­tie­rung.

Pro­ble­me kann man nie­mals mit der­sel­ben Denk­wei­se lösen, durch die sie ent­stan­den sind.
Albert Ein­stein

Eine agi­le Trans­for­ma­ti­on kann dem­nach prin­zi­pi­ell nicht in tay­lo­ris­ti­scher Wei­se gedacht und umge­setzt wer­den. Sie kann und wird meist in den alten Struk­tu­ren ein Stück vor­aus­ge­dacht, aber ihre Umset­zung muss eine ech­te Trans­for­ma­ti­on sein in Sin­ne einer Ver­wand­lung einer Rau­pe zu einem Schmet­ter­ling. Nur Käst­chen im Orga­ni­gramm zu ver­schie­ben und Rol­len und Pro­zes­se zu defi­nie­ren ist zu wenig und maxi­mal ein ers­ter klei­ner Schritt.

The best archi­tec­tures, requi­re­ments, and designs emer­ge from self-orga­ni­zing teams.

At regu­lar inter­vals, the team reflects on how to beco­me more effec­ti­ve, then tunes and adjus­ts its beha­vi­or accordingly.

Pri­ci­ples behind the Agi­le Manifesto

Im Kern der agi­len Trans­for­ma­ti­on geht es um das Her­aus­füh­ren der Men­schen aus ihrer tay­lo­ris­ti­schen Unmün­dig­keit hin zu Selbst­or­ga­ni­sa­ti­on und einer gemein­sam getra­ge­nen Ver­ant­wor­tung für Pro­dukt und Pro­zess. Die­ser Weg kann aber nicht vor­aus­ge­dacht, ange­ord­net und per Chan­ge­ma­nage­ment umge­setzt wer­den, son­dern muss gemein­sam erkun­det wer­den: Eine agi­le Trans­for­ma­ti­on funk­tio­niert nur agil.

It does not mat­ter whe­ther the worker wants respon­si­bi­li­ty or not, The enter­pri­se must demand it of him.
Peter Dru­cker

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Von Marcus Raitner

Hi, ich bin Marcus. Ich bin der festen Überzeugung, dass Elefanten tanzen können. Daher begleite ich Organisationen auf ihrem Weg zu mehr Agilität. Über die Themen Führung, Digitalisierung, Neue Arbeit, Agilität und vieles mehr schreibe ich seit 2010 in diesem Blog. Mehr über mich.

8 Kommentare

Per­fekt zusam­men­ge­fasst. Das Erken­nen die­ser Tat­sa­che führt zu manig­fal­ti­gen Abwehr­re­ak­tio­nen des Manage­ments, die sich in ihrer Exis­tenz bedroht füh­len. Bau­en doch vie­le auf Macht durch Infor­ma­ti­ons­ver­ar­bei­tung und unter­stel­len, dass Mit­ar­bei­ter kon­trol­liert wer­den müs­sen. Woher das kommt lässt sich in der ein­schlä­gi­gen Lite­ra­tur gut nach­le­sen. Eine agi­le Trans­for­ma­ti­on kann von oben ange­sto­ßen wer­den, geht aber über das ‚von oben‘ hin­aus. Behar­ren auf der hier­ar­chi­schen Füh­rung wird durch die lang­sa­men Ent­schei­dungs­pro­zes­se zu hand­fes­ten Wett­be­werbs­nach­tei­len führen.

Sehr rich­tig, lie­ber Micha­el. Dar­um wird das auch kein leich­ter Weg. Aber auch das Manage­ment lei­det unter dem Sys­tem, nur auf höhe­rer Ebene.

Im Kern der agi­len Trans­for­ma­ti­on geht es um das Her­aus­füh­ren der Men­schen aus ihrer tay­lo­ris­ti­schen Unmün­dig­keit hin zu Selbst­or­ga­ni­sa­ti­on und einer gemein­sam getra­ge­nen Ver­ant­wor­tung für Pro­dukt und Prozess.“

In Manage­ment­sit­zun­gen wird immer wie­der die Geschich­te der drei Stein­met­ze erzählt, die gefragt wer­den, was sie tun. Der ers­te ant­wor­tet: »Ich ver­die­ne mei­nen Lebens­un­ter­halt.« Der zwei­te klopft wei­ter auf den Stein, wäh­rend er erklärt: »Ich mache die bes­te Stein­metz­ar­beit im gan­zen Land.« Der drit­te erwi­dert mit glän­zen­den Augen: »Ich baue eine Kathe­dra­le.«“ Dru­cker – Was ist Manage­ment? S. 142
Nach Dru­cker ist es i.O., wenn jemand ein­fach nur was vor­ge­ge­be­nes abar­bei­tet und sei­nen Job macht.

Ich stel­le mir die Fra­ge, ob wirk­lich alle Men­schen sich selbst orga­ni­sie­ren und Ver­ant­wor­tung für Pro­dukt und Pro­zess über­neh­men möch­ten. Wahr­schein­lich sind es mehr als heu­te und des­halb ist eine ech­te agi­le Trans­for­ma­ti­on auch so wich­tig, aber es wer­den wohl nicht alle sein …

Natür­lich ist das in Ord­nung, wenn jemand ein­fach nur sei­nen Job machen will. Solan­ge er oder sie sich frei dafür ent­schei­den konn­te. Das setzt aber Alter­na­ti­ven vor­aus und um die geht es mir. Ich bin der fes­ten Über­zeu­gung, dass dann sehr vie­le sich für die Ver­ant­wor­tung ent­schei­den, weil Auto­no­mie und Gestal­tungs­mög­lich­kei­ten motivieren.

Sehr guter Artikel!

Ist aber „Selbst­or­ga­ni­sa­ti­on“ wirk­lich das Non-Plus-Ultra? Oder roman­ti­sie­ren wir hier nicht ein wenig? Sind die Men­schen in der Arbeits­welt (und in den ver­al­te­ten Bil­dungs­sys­te­men) dar­auf vor­be­rei­tet? Sind Unter­neh­men a la Sie­mens, Alli­anz, IBM über­haupt noch markt­fä­hig oder bedarf es dafür klei­ne­rer Einheiten?

Mei­ne Ver­mu­tung ist, dass es gar nicht mal so sehr um die Orga­ni­sa­ti­ons­form geht, wenn die­se denn mit Sinn und Ver­stand mit Leben gefüllt wird. Wir müs­sen ein­fach auf­hö­ren, fach­li­che Leis­tungs­trä­ger auto­ma­tisch zu Füh­rungs­kräf­ten zu machen. Wir müs­sen men­schen- und zukunfts­ori­en­tier­te Füh­rungs­kräf­te aus­bil­den. Und: Die Unter­neh­men müs­sen dem die­nen, wozu sie ent­stan­den sind, dem Kun­den, und auf­hö­ren damit, die Men­schen in den Unter­neh­men in inter­nen Selbst­be­frie­di­gungs­pro­zes­sen zu verheizen.

Dan­ke! Nein, die Men­schen sind nicht dar­auf vor­be­rei­tet. Wie auch, wenn sie jahr­zehn­te­lang anders sozia­li­siert wur­den. Umso mehr braucht es ech­te Füh­rungs­kräf­te die die Men­schen hel­fen aus die­ser Unmün­dig­keit wie­der her­aus­zu­fin­den. Es geht also wirk­lich weni­ger um Orga­ni­sa­ti­on und viel mehr um Füh­rung. Und Füh­rung bedeu­tet, ande­re erfolg­reich zu machen.

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