Führung als Begegnung von Erwachsenen auf Augenhöhe

Führung ist eine Fra­ge der Hal­tung. Lei­der defi­niert sich Füh­rung immer noch in Begrif­fen von Macht und Unter­ord­nung. Das Ver­hält­nis von Füh­ren­dem und Geführ­ten ist meis­tens asym­me­trisch: Der Chef hat mehr Erfah­rung, mehr Infor­ma­ti­on und mehr Macht als sei­ne Mit­ar­bei­ter. Die Mit­ar­bei­ter sind daher von ihrem Chef abhän­gi­ger als umge­kehrt der Chef von ihnen. His­to­risch betrach­tet stammt die­se Hal­tung aus dem Tay­lo­ris­mus, wo der Mana­ger tat­säch­lich der­je­ni­ge war, der die Arbeits­ab­läu­fe am bes­ten ver­stand und sie für sei­ne meist unge­lern­ten Mit­ar­bei­ter in ein­fa­che Arbeits­schrit­te struk­tu­rie­ren konn­te. Die­se Zei­ten sind aller­dings lan­ge vor­bei. Die Art der Tätig­keit und ent­spre­chend das Aus­bil­dungs­ni­veau der Mit­ar­bei­ter hat sich seit­her radi­kal ver­än­dert. Geblie­ben ist in vie­len Fäl­len nur das bekann­te Abhän­gig­keits­ver­hält­nis zwi­schen Chef und Mit­ar­bei­ter. Peter F. Dru­cker präg­te für die­se ver­än­der­te Arbeits­welt bereits 1959 (sei­ner Zeit weit vor­aus) den Begriff der Wis­sens­ar­beit. Er erkann­te früh die fun­da­men­ta­len Unter­schie­de und for­der­te Füh­rung als eine Zusam­men­ar­beit von Erwach­se­nen auf Augen­hö­he zu ver­ste­hen. Genau dar­um heißt die fünf­te The­se des Mani­fests für mensch­li­che Füh­rung „Anfüh­rer her­vor­brin­gen mehr als Anhän­ger anführen.“

Their rela­ti­onship, in other words, is far more like that bet­ween the con­duc­tor of an orches­tra and the instru­men­ta­list than it is like the tra­di­tio­nal supe­ri­or-sub­or­di­na­te rela­ti­onship. The supe­ri­or in an orga­niza­ti­on employ­ing know­ledge workers can­not, as a rule, do the work of the sup­po­sed sub­or­di­na­te any more than the con­duc­tor of an orches­tra can play the tuba.
Peter F. Dru­cker, Management’s New Para­digm, 1998

Das Ver­hält­nis von Füh­rungs­kraft und Wis­sens­ar­bei­ter ähnelt eher dem zwi­schen Diri­gent und Musi­ker in einem Orches­ter. Hin­sicht­lich der Fähig­kei­ten offen­sicht­lich, aber auch hin­sicht­lich der Macht- und Abhän­gig­keits­ver­hält­nis­se: Die Macht­po­si­ti­on von Wis­sens­ar­bei­tern gegen­über ihrer Füh­rungs­kraft ist eine völ­lig ande­re als die des prin­zi­pi­ell leicht aus­tausch­ba­ren Arbei­ters zu sei­nem Chef in tay­lo­ris­ti­schen Struk­tu­ren . Ein Wis­sens­ar­bei­ter kann sei­nen Vor­ge­setz­ten eben­so leicht und effek­tiv sabo­tie­ren wie ein Musi­ker einen auto­kra­ti­schen Dirigenten.

Know­ledge workers can­not be mana­ged as sub­or­di­na­tes; they are asso­cia­tes. They are seni­ors or juni­ors but not supe­ri­ors and subordinates.
Peter F. Dru­cker, Management’s New Para­digm, 1998

In der Pra­xis ist die­se Erkennt­nis auch fünf­zig Jah­re nach­dem Peter F. Dru­cker den Begriff der Wis­sens­ar­beit erfand noch lan­ge nicht ange­kom­men. Wir haben also weni­ger ein Erkennt­nis- als ein Umset­zungs­pro­blem. Zwar hat sich das Ver­hält­nis von Füh­rungs­kraft und Mit­ar­bei­ter in den letz­ten Jahr­zehn­ten deut­lich zum posi­ti­ven ver­än­dert. Vie­le Füh­rungs­kräf­te haben mitt­ler­wei­le eine eher elter­li­che Hal­tung zu ihren Mit­ar­bei­tern ein­ge­nom­men. Die Rich­tung stimmt also, aber das Abhän­gig­keits­ver­hält­nis blieb bis­her meist unbe­rührt. Die Mit­ar­bei­ter blei­ben wie Kin­der abhän­gig von ihren Eltern. Und wäh­rend Kin­der in ver­schie­de­nen Pha­sen mehr oder weni­ger vehe­ment ihre Selbst­stän­dig­keit und Gleich­wer­tig­keit ein­for­dern und erkämp­fen, blei­ben Mit­ar­bei­ter für immer wohl­be­hü­te­te Kinder.

Lea­ders don’t crea­te fol­lo­wers, they crea­te more leaders.
Tom Peters

Füh­rung ist heu­te nur noch legi­tim, wenn sie die Selbst­füh­rung der ihr anver­trau­ten Mit­ar­bei­ter zum Ziel hat. Damit hat Götz W. Wer­ner auf den Punkt gebracht, wie ein ange­mes­se­nes Ver­hält­nis zwi­schen Füh­ren­dem und Geführ­ten aus­sieht. Es geht nicht um höher­ge­stellt oder unter­ge­ord­net, es geht dar­um auf Augen­hö­he als Erwach­se­ne zusam­men­zu­ar­bei­ten. Füh­rung ist eine gleich­wer­ti­ge Funk­ti­on, die ande­re erfolg­reich macht. Dar­um heißt das fünf­te The­se des Mani­fests für mensch­li­che Füh­rung in Anspie­lung auf das Zitat von Tom Peters: „Anfüh­rer her­vor­brin­gen mehr als Anhän­ger anfüh­ren.“ Abhän­gi­ge Mit­ar­bei­ter anzu­füh­ren ist das Eine und sicher­lich auch heu­te noch eine wich­ti­ge Fähig­keit. Das Ande­re und viel ent­schei­den­der ist aber die Hal­tung dabei und die muss es sein, die Mit­ar­bei­ter aus der Abhän­gig­keit her­aus­zu­füh­ren und sie zu Anfüh­rern – wenigs­tens ihres eige­nen Lebens und ihrer gan­zen Fähig­kei­ten – zu machen.

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Von Marcus Raitner

Hi, ich bin Marcus. Ich bin der festen Überzeugung, dass Elefanten tanzen können. Daher begleite ich Organisationen auf ihrem Weg zu mehr Agilität. Über die Themen Führung, Digitalisierung, Neue Arbeit, Agilität und vieles mehr schreibe ich seit 2010 in diesem Blog. Mehr über mich.

3 Kommentare

Bin gros­ser Fan Dei­nes Blogs, aber hier muss ich etwas dazu sagen.
Mir gefällt die Ana­lo­gie mit einem Dirigent/Orchester inso­fern nicht, weil alle im Orches­ter nur auf den Diri­gent fokus­siert sind und es kaum Abwei­chun­gen von der vor­ge­ge­be­nen Par­ti­tur (=Plan) gibt. Bes­ser fin­de ich das Bild eines Jazz-Com­bos: es gibt eine Leit­li­nie (The­ma), es wird mit­tels Ges­ten kom­mu­ni­ziert (offen/transparent), die Soli ent­ste­hen spon­tan, es gibt eine gros­se Frei­heit (aber auch wie­der um das zen­tra­le The­ma her­um) und der Band­lea­der gibt die gros­se Linie vor.
Die­ses Bild passt auch bes­ser zu agi­len Teams ;)

Vie­len Dank für Dei­nen sehr weit­sich­ti­gen Kom­men­tar. Weit­sich­tig inso­fern, als das Modell der Jazz-Com­bo eine wei­te­re Evo­lu­ti­ons­stu­fe dar­stellt. Im Moment haben wir aber in den meis­ten Fäl­len Füh­rungs­kräf­te und in die­ser Situa­ti­on der per­so­ni­fi­zier­ten Füh­rung ist der Diri­gent gar kein so schlech­tes Bild. Erst wenn Füh­rung so noma­disch funk­tio­niert wie im Jazz, passt das Bild nicht mehr. Bis zu die­ser Evo­lu­ti­ons­stu­fe ist aber in den meis­ten Orga­ni­sa­tio­nen noch ein wei­ter Weg. 

Es ist egal, ob es ein Orches­ter mit einem Diri­gen­ten oder eine Com­bo ist, denn es gibt immer einer oder eine den Ton an und es kommt wesent­lich dar­auf an, ob jeder auf alle ande­ren hört: Wenn Du gemein­sam Musik machst, wirst Du zu einem sozia­len Wesen, weil Du lernst zuzu­hö­ren – sonst klingt es ein­fach nicht und macht kei­nen Spaß. Kannst Du alle hören, kannst Du auch füh­ren – wenn sie Dir alle zuhö­ren wol­len! (Dabei ist hören nicht gleich zuhö­ren nicht gleich ver­ste­hen nicht gleich ein­ver­stan­den sein!) So wie es unter­schied­lichs­te For­men gibt gemein­sam Musik erklin­gen zu las­sen, gibt es auch unter­schied­lichs­te Unter­neh­men und Orga­ni­sa­tio­nen. Wir Men­schen jedoch blei­ben die­sel­ben und wol­len uns ent­we­der mani­pu­lie­ren (tak­ten) las­sen oder frei­wil­lig aus eige­nem Antrieb fol­gen und gestal­ten. Ent­we­der fügen wir uns also in frem­de oder in selbst­ge­strick­te Regeln. Damit es funk­tio­niert, wer­den sie sowohl vom „Anfüh­rer“ als auch vom „Anhän­ger“ befolgt. Übri­gens über­setzt ein Diri­gent die Par­ti­tur nur in Ges­ten und gibt den Takt und Ein­sät­ze (Hil­fen) vor – Spie­len muss dann schon jeder selbst! Das ist nicht anders als in einer Com­bo: Einer zählt vor und dann geht es los…

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