Führen heißt, Fragen stellen statt Antworten geben

Führung heißt, ande­re erfolg­reich machen. So lau­tet die Füh­rungs­phi­lo­so­phie von Sun­dar Pichai, dem CEO von Goog­le. Der Grün­der der Dro­ge­rie­markt­ket­te dm, Götz W. Wer­ner, wird noch kon­kre­ter und stellt fest: „Füh­rung ist heu­te nur noch legi­tim, wenn sie die Selbst­füh­rung der anver­trau­ten Mit­men­schen zum Ziel hat.“ Füh­rung ist also eine gleich­wer­ti­ge Funk­ti­on inner­halb und für eine Grup­pe von Men­schen und immer eine Begeg­nung zwi­schen Erwach­se­nen auf Augen­hö­he. Im Gegen­satz zum tay­lo­ris­ti­schen Manage­ment, des­sen Geist immer noch viel zu sehr durch unse­re hier­ar­chi­schen Orga­ni­sa­tio­nen weht, heißt Füh­ren daher in ers­ter Linie (die rich­ti­gen) Fra­gen zu stel­len anstatt (die rich­ti­gen) Ant­wor­ten zu geben.

What hap­pens in a top-down cul­tu­re when the lea­der is wrong? Ever­yo­ne goes over the cliff.
L. David Mar­quet. Turn The Ship Around!

In sei­nem sehr lesens­wer­ten Buch „Turn The Ship Around!“ beschreibt David Mar­quet einen Schlüs­sel­mo­ment als Kom­man­dant des Atom-U-Boots USS San­ta Fe. Wäh­rend einer Übung wur­de ein Aus­falls des Atom­re­ak­tors simu­liert und auf Elek­tro­an­trieb umge­schal­tet. Wie von ande­ren U‑Boot Typen gewohnt, gab David Mar­quet das Kom­man­do, die Geschwin­dig­keit des Elek­tro­an­triebs von „ein Drit­tel vor­aus“ auf „zwei Drit­tel vor­aus“ zu erhö­hen. Sein Offi­zier an Deck gab die­sen Befehl auch sofort wei­ter. Und dann pas­sier­te – nichts! Er stell­te den Steu­er­mann zur Rede, war­um er den Befehl nicht aus­führ­te, und die­ser klär­te ihn auf, dass es bei dem Typ von U‑Boot „zwei Drit­tel vor­aus“ gar nicht gäbe. Das wuss­te natür­lich auch sein Offi­zier an Deck, der aber den Befehl trotz­dem wei­ter­gab, weil er dach­te, dass sein Kom­man­dant auf­grund sei­ner Aus­bil­dung und Posi­ti­on über Kennt­nis­se ver­füg­te, die ihm fehl­ten. Ein klas­si­scher HIP­PO-Moment: Hig­hest paid per­son’s opinion.

Seit­her ver­mied David Mar­quet es, Befeh­le zu geben. Er sorg­te statt­des­sen dafür, dass allen die Mis­si­on und ihre Zie­le bekannt waren und ermäch­tig­te sei­ne Offi­zie­re, selbst zu ent­schei­den. Anstatt wie bis­her um Erlaub­nis zu fra­gen oder ihn als Kom­man­dan­ten um eine Ent­schei­dung zu bit­ten muss­ten die Offi­zie­re nun erklä­ren, was sie beab­sich­tig­ten zu tun („I intend to …“). Idea­ler­wei­se hat­te der Offi­zier dann schon alle Aspek­te der Ent­schei­dung abge­wo­gen (wozu er natür­lich Zugang zu allen Infor­ma­ti­on haben muss) und David Mar­quet muss­te nur ant­wor­ten: „Very well.“ Anfangs muss­te er die­sen Pro­zess noch mit eini­gen Fra­gen beglei­ten, um die ver­schie­de­nen Aspek­te der Ent­schei­dung zu betrach­ten, aber nach und nach stell­ten sich die Offi­zie­re selbst die rich­ti­gen Fra­gen und durch­dach­ten alle Aspek­te schon vor­her. Aus ihrer vor­her abhän­gi­gen Posi­ti­on wur­den sie ermäch­tigt selbst wie der Kom­man­dant zu den­ken und handeln.

The lea­der-lea­der struc­tu­re is fun­da­men­tal­ly dif­fe­rent from the lea­der-fol­lower struc­tu­re. At its core is the belief that we can all be lea­ders and, in fact, it’s best when we all are leaders.
L. David Mar­quet. Turn The Ship Around!

Wer als Füh­rungs­kraft nur Ant­wor­ten gibt und Kraft sei­ner Posi­ti­on Ent­schei­dun­gen trifft, hält Men­schen abhän­gig. Sie wer­den dann immer mit Fra­gen kom­men und Ant­wor­ten erwar­ten. Und die Füh­rungs­kraft wird die best­mög­li­chen Ant­wor­ten geben, die aller­dings, wie das dras­ti­sche Bei­spiel von David Mar­quet zeigt, nicht immer die bes­ten Ant­wor­ten sind und durch die Fähig­kei­ten, Kennt­nis­se und Erfah­run­gen eines ein­zi­gen Ent­schei­ders begrenzt sind. Und wer kennt die Situa­ti­on nicht, dass man sich an der Basis über Ent­schei­dun­gen wun­dert und sie, ganz ähn­lich dem Offi­zier an Deck unter „höher-bezahl­ter Ein­sicht“ verbucht.

Auch wenn es in guter Absicht geschieht, Ant­wor­ten zu geben hält Men­schen ten­den­zi­ell klein und abhän­gig. Wer es ernst meint mit neu­er Füh­rung im Sin­ne des Mani­fests für mensch­li­che Füh­rung muss Men­schen groß machen und ihr Poten­ti­al zur Ent­fal­tung brin­gen. Ein ein­fa­cher und sehr effek­ti­ver Weg dahin ist es, Fra­gen zu stel­len statt Ant­wor­ten zu geben. Gute Fra­gen regen zum Nach­den­ken an. Eine Fra­ge ist auch immer die expli­zi­te Erlaub­nis und Auf­for­de­rung zum Nach­den­ken und ein pro­ba­tes Gegen­mit­tel zur insti­tu­tio­na­li­sier­ten Denk- und Ent­schei­dungs­faul­heit in hier­ar­chi­schen Organisationen.

Il est enco­re plus faci­le de juger de l’e­sprit d’un hom­me par ses ques­ti­ons que par ses répon­ses. (Es ist viel ein­fa­cher, den Geist eines Men­schen nach sei­nen Fra­gen zu beur­tei­len als nach sei­nen Antworten.)
Pierre-Marc-Gas­ton, duc de Lévis

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Von Marcus Raitner

Hi, ich bin Marcus. Ich bin der festen Überzeugung, dass Elefanten tanzen können. Daher begleite ich Organisationen auf ihrem Weg zu mehr Agilität. Über die Themen Führung, Digitalisierung, Neue Arbeit, Agilität und vieles mehr schreibe ich seit 2010 in diesem Blog. Mehr über mich.

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