Menschen mehr als Prozesse

Ein wesent­li­ches Ele­ment von Füh­rung ist für vie­le das Tref­fen von Ent­schei­dun­gen. Ein eli­tä­rer Kreis von Füh­rungs­kräf­ten trifft Ent­schei­dun­gen – min­des­tens die gro­ßen und stra­te­gi­schen und abhän­gig vom Zustand der Ver­trau­ens­kul­tur in der Orga­ni­sa­ti­on auch gern mal Ent­schei­dun­gen zu Details, Mikro­ma­nage­ment nennt sich das dann. Reed Has­tings, der CEO von Net­flix, macht genau das nicht. Er ist sogar stolz dar­auf so weni­ge Ent­schei­dun­gen wie mög­lich zu tref­fen. Und der Erfolg gibt ihm recht, immer­hin ist Net­flix heu­te 20 Jah­re nach Grün­dung das zehnt­größ­te Inter­net-Unter­neh­men der Welt (Wiki­pe­dia).

I pri­de mys­elf on making as few decis­i­ons as pos­si­ble in a quar­ter. And we’­re get­ting bet­ter and bet­ter at that. The­re are some times I can go a who­le quar­ter wit­hout making any decisions.
Reed Has­tings

Die grund­le­gen­de Phi­lo­so­phie von Reed Has­tings lau­tet „Men­schen mehr als Pro­zes­se“ („Peo­p­le over pro­ces­ses“). Dar­aus ergibt sich direkt das ers­te Prin­zip im sehr lesens­wer­ten und oft zitier­ten Kul­tur-State­ment von Net­flix, näm­lich die Mit­ar­bei­ter zu eigen­stän­dig getrof­fe­nen Ent­schei­dun­gen ermäch­ti­gen und ermu­ti­gen („Encou­ra­ge inde­pen­dent decis­i­on-making by employees“). Damit das funk­tio­niert braucht es das zwei­te Prin­zip bei Net­flix, die radi­ka­le Offen­heit mit der dort Infor­ma­tio­nen offen, breit und bewusst geteilt wer­den („Share infor­ma­ti­on open­ly, broad­ly and deliberately“). 

Ever­y­bo­dy gets all the infor­ma­ti­on. So what we’­re try­ing to do is build a sen­se of respon­si­bi­li­ty in peo­p­le and the abili­ty to do things. I find out about big decis­i­ons now that are made all the time, I’ve never even heard about it, which is gre­at. And most­ly, they go well.
Reed Has­tings

Die Ent­schei­dun­gen begin­nen im Klei­nen indem jeder Mit­ar­bei­ter indi­vi­du­ell über die Anzahl der Urlaubs­ta­ge ent­schei­den kann oder durch das Feh­len von Rei­se­richt­li­ni­en. Reed Has­tings setzt erfolg­reich dar­auf dass mün­di­ge Mit­ar­bei­ter gute Ent­schei­dun­gen im Sin­ne des Unter­neh­mens tref­fen. Wo man in ande­ren Orga­ni­sa­tio­nen aus lau­ter Angst vor Miss­brauch kein Licht mehr im Dschun­gel der Richt­li­ni­en sieht und die Ent­mün­di­gung mit jeder neu­en Richt­li­nie ein wenig schlim­mer wird, arbei­tet Net­flix statt­des­sen mit Ver­trau­en in die Eigen­ver­ant­wor­tung. Im Klei­nen wie im Großen.

Wer nun glaubt, dass das nur in Inter­net-Unter­neh­men funk­tio­niert, der irrt. Die Pfle­ge­or­ga­ni­sa­ti­on Buurtz­org setzt kon­se­quent auf Dezen­tra­li­sie­rung. Die Pfle­ge­kräf­te bei Buurtz­org sind alle Gene­ra­lis­ten in Bezug auf die ver­schie­de­nen Krank­heits­bil­der genau­so wie in Bezug auf die Orga­ni­sa­ti­on ihrer Arbeit. Sie pla­nen und orga­ni­sie­ren die Pfle­ge selbst, füh­ren Bewer­bungs­ge­sprä­che, mie­ten Büros, pla­nen Schu­lun­gen und vie­les mehr, wo der typi­sche Con­trol­ler sofort ver­schwen­de­te Syn­er­gien wit­tert. Allein bei Buurtz­org in den Nie­der­lan­den arbei­ten so mitt­ler­wei­le mehr als 10.000 Mit­ar­bei­ter in 850 Teams. Unter­stützt wer­den sie dabei von einem sehr schlan­ken Back­of­fice mit 45 Mit­ar­bei­tern plus 15 Coa­ches und null Managern. 

Peo­p­le always tend to act as they are con­side­red. If we open the spaces of free­dom, peo­p­le will start deve­lo­ping them­sel­ves and they will set them­sel­ves ambi­tious targets.
Jean Fran­çois Zobrist

Jean Fran­çois Zobrist orga­ni­siert den fran­zö­si­schen Druck­guss­her­stel­ler FAVI in Mini-Fabri­ken, die für ihren jewei­li­gen Kun­den alle Ent­schei­dun­gen selbst tra­fen. Und auch er setzt mas­siv auf das Ver­trau­en und die Eigen­ver­ant­wor­tung der Mit­ar­bei­ter in dem er Richt­li­ni­en zu Guns­ten des Ver­trau­ens abschaff­te. So gab es bei­spiels­wei­se die Regel, dass ein Arbei­ter für ein neu­es Paar Hand­schu­he aus dem Lager sei­nem Vor­ge­setz­ten das alte Paar zei­gen muss­te und dann von ihm eine Bestä­ti­gung erhielt um damit dann im ver­schlos­se­nen Lager ein neu­es Paar aus­ge­hän­digt zu bekom­men. Als Zobrist eines Tages in sei­ner ers­ten Zeit als CEO bei einem Rund­gang in der Fabrik einen Arbei­ter vor dem Lager der­art war­tend antraf rech­ne­te er nach und fand her­aus, dass die­ser Arbei­ter eine Maschi­ne bedien­te, die 600 Franc pro Stun­de, also 10 Franc pro Minu­te, kos­te­te. Da der gan­ze Vor­gang 10 Minu­ten dau­er­te, in denen die Maschi­ne still stand, kos­te­ten die Hand­schu­he im Wert von 5,80 Franc dem Unter­neh­men durch die­sen Kon­troll­me­cha­nis­mus zusätz­li­che 100 Franc! (Quel­le: Cor­po­ra­te Rebels, Teil 1).

If you want peo­p­le to to think, give them intent, not instruction.
David Mar­quet

Das­sel­be Prin­zip dezen­tra­ler Ent­schei­dun­gen fin­det sich aber auch an einem Ort an dem man es gar nicht ver­mu­ten wür­de, näm­lich auf dem Atom-U-Boot USS San­ta Fe. Weil er auf einem ganz ande­ren U‑Boot Typ aus­ge­bil­det wur­de, hat­te David Mar­quet als Kom­man­dant gleich ganz dar­auf ver­zich­tet Befeh­le zu geben und stärk­te dadurch die Eigen­ver­ant­wor­tung der Mann­schaft, was schließ­lich dazu führ­te dass die USS San­ta Fe von schlech­tes­ten zum bes­ten U‑Boot der Mari­ne avancierte. 

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Von Marcus Raitner

Hi, ich bin Marcus. Ich bin der festen Überzeugung, dass Elefanten tanzen können. Daher begleite ich Organisationen auf ihrem Weg zu mehr Agilität. Über die Themen Führung, Digitalisierung, Neue Arbeit, Agilität und vieles mehr schreibe ich seit 2010 in diesem Blog. Mehr über mich.

2 Kommentare

Ich bin der Mei­nung, dass es schon meis­tens an den zwei genann­ten Prin­zi­pi­en scheitert:

- Mit­ar­bei­ter zu eigen­stän­dig getrof­fe­nen Ent­schei­dun­gen ermäch­ti­gen und ermutigen
– radi­ka­le Offen­heit – Infor­ma­tio­nen offen, breit und bewusst teilen 

Ich wie­der­ho­le mich lei­der sehr oft mit fol­gen­der Aus­sa­ge, aber auch hier trifft es zu:
Ich behaup­te, dass man sol­che Prin­zi­pi­en schon vor 30 – 40 gelebt hat. So zumin­dest habe ich es erlebt. Des­halb mei­ne ich, dass vie­le gute Din­ge wirk­lich abhan­den gekom­men sind und jetzt auf ein­mal als „neue Erfin­dung“ wie­der auftauchen.

Ja, dar­an schei­tert es bzw. am feh­len­den Ver­trau­en in die Mit­ar­bei­ter. Ich kann nicht beur­tei­len, ob das vor 30 oder 40 Jah­ren bes­ser war, aber die Kon­zep­te sind tat­säch­lich nicht neu. Scha­de ist daher nur, dass man sie immer noch und immer wie­der ein­for­dern muss.

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