Die oberste Direktive für gelungene Retrospektiven

Agili­tät bedeu­tet Anpas­sungs­fä­hig­keit. In ers­ter Linie natür­lich in Bezug auf das ent­wi­ckel­te Pro­dukt. In klei­nen Schrit­ten ent­ste­hen benutz­ba­re Zwi­schen­pro­duk­te, die dazu die­nen, sich das Pro­blem­feld und die Lösungs­mög­lich­kei­ten nach und nach bes­ser zu erschlie­ßen. Die Anpas­sungs­fä­hig­keit betrifft aber nicht nur das Pro­dukt, son­dern auch die Arbeits­wei­se im Team. „In regel­mä­ßi­gen Abstän­den reflek­tiert das Team, wie es effek­ti­ver wer­den kann und passt sein Ver­hal­ten ent­spre­chend an.“ ist ein ganz wesent­li­ches Prin­zip hin­ter dem Agi­len Mani­fest. Agi­li­tät ist also viel mehr als blo­ße Metho­de, son­dern die Hal­tung Ver­ant­wor­tung für das Pro­dukt und die Arbeits­wei­se zu über­neh­men. Damit gera­de letz­te­res aber kon­struk­tiv gelingt und nicht in Schuld­zu­wei­sun­gen endet, braucht es die rich­ti­ge Hal­tung. Genau die­se Hal­tung hat Nor­man L. Kerth in sei­nem dem Buch „Pro­ject Retro­s­pec­ti­ves: A Hand­book for Team Reviews“ (Ama­zon Affi­lia­te Link) in Form sei­ner obers­ten Direk­ti­ve (Prime Direc­ti­ve) schön beschrieben.

Vier Strategien zur Vermeidung von Verantwortung

Es gibt vie­le Stra­te­gien, wie sich Men­schen der Ver­ant­wor­tung ent­zie­hen. Chris­toph Avery hat die­se in sei­nem Modell des Respon­si­bi­li­ty Pro­cess in ver­schie­de­ne Stu­fen ein­ge­teilt. Die unters­te Stu­fe ist die der Schuld­zu­wei­sung (Lay Bla­me). Es folgt die Stu­fe der Recht­fer­ti­gung (Jus­ti­fy), in der wir die Ursa­che unse­res Pro­blems nicht bei jemand ande­rem, son­dern in den Umstän­den suchen, was aber offen­sicht­lich genau­so pas­siv und wenig kon­struk­tiv wie die Schuld­zu­wei­sung ist. Auf der dar­auf­fol­gen­den Stu­fe der Scham (Shame) suchen wir die Schuld bei uns, blei­ben aber auch hier pas­siv und erken­nen kei­ne Mög­lich­keit zur Ver­än­de­rung.  Auf der nächs­ten Stu­fe der Ver­pflich­tung (Obli­ga­ti­on) recht­fer­ti­gen wir uns schließ­lich damit kei­ne Wahl zu haben anders zu han­deln. Alle die­se Reak­ti­ons­mus­ter haben gemein­sam, dass wir uns angst­ge­trie­ben dem Pro­blem ver­schlie­ßen, anstatt uns zu fra­gen, was wir hier und jetzt ver­bes­sern können. 

What is Respon­si­bi­li­ty? Respon­si­bi­li­ty is a men­tal sta­te that is open, spa­cious, free, and safe. You trust that you have suf­fi­ci­ent intel­li­gence, crea­ti­vi­ty, and resour­ces to face wha­te­ver life brings.

Chris­to­pher Avery. The Respon­si­bi­li­ty Process

Die oberste Direktive: Eine Frage der Haltung

Die­se Mus­ter grei­fen natür­lich auch in agi­len Teams und behin­dern die so wich­ti­ge  kon­ti­nu­ier­li­che Ver­bes­se­rung der Zusam­men­ar­beit. Angst und Agi­li­tät ist eine schlech­te Kom­bi­na­ti­on. Es ist also wich­tig, die­se Mus­ter zu (er-)kennen und ihnen ent­ge­gen­zu­wir­ken. Die Men­schen brau­chen einen geschütz­ten Raum, in dem sie sich angst­frei öff­nen und im Team kon­struk­tiv nach Ver­bes­se­run­gen suchen kön­nen. Das ist in ers­ter Linie eine Fra­ge der Hal­tung. Und die­se Hal­tung bringt die­se obers­te Direk­ti­ve (prime direc­ti­ve) von Nor­man L. Kerth in Form wun­der­bar auf den Punkt:

Regard­less of what we dis­co­ver, we must under­stand and tru­ly belie­ve that ever­yo­ne did the best job they could, given what they knew at the time, their skills and abili­ties, the resour­ces available, and the situa­ti­on at hand.

Nor­man L. Kerth, Pro­ject Retro­s­pec­ti­ves: A Hand­book for Team Review

Vie­le Teams ver­le­sen die­sen Text (Es exis­tie­ren auch Über­set­zun­gen in ver­schie­de­ne Spra­chen) am Anfang einer Retro­spek­ti­ve laut und hän­gen sie zusätz­lich aus, so dass immer wie­der dar­auf ver­wie­sen wer­den kann. Zusätz­lich kann es hel­fen, die oben genann­ten Stu­fen des Respon­si­bi­li­ty Pro­cess von aus­zu­hän­gen, wozu Chris­to­pher Avery auch gleich ein schö­nes Pos­ter (in diver­sen Spra­chen) bereit­stellt. Eine schö­ne Prak­tik, um sich immer wie­der in Erin­ne­rung zu rufen, in wel­cher Hal­tung sich die Men­schen im Team begeg­nen soll­ten und hof­fent­lich auch wollen.

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Von Marcus Raitner

Hi, ich bin Marcus. Ich bin der festen Überzeugung, dass Elefanten tanzen können. Daher begleite ich Organisationen auf ihrem Weg zu mehr Agilität. Über die Themen Führung, Digitalisierung, Neue Arbeit, Agilität und vieles mehr schreibe ich seit 2010 in diesem Blog. Mehr über mich.

1 Kommentar

Hal­lo Marcus,

Dan­ke für Dei­nen Post. Ich sehe das Pro­blem der Ver­mei­dung von Ver­ant­wor­tung in Agi­len und. Ich agi­len Teams in diver­sen Pro­jek­ten auch.

Der geschütz­te Rah­men inner­halb der Teams ist essen­ti­ell. Wür­dest Du auch an der Moto­va­ti­on der Mit­ar­bei­ter anset­zen? Hier gezielt Ver­ant­wor­tung fördern?

Vie­le Grüße,
Tom

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