Die Dreifaltigkeit agiler Führung

Man kann von Scrum hal­ten was man will, aber der Scrum Gui­de beschreibt sehr schön drei Aspek­te von Füh­rung im Kon­text agi­ler Pro­dukt­ent­wick­lung. Da gibt es im Zen­trum der Wert­schöp­fung das Deve­lo­p­ment Team, das mög­lichst auto­nom und selbst­or­ga­ni­siert arbei­tet. Der Pro­duct Owner sorgt als CEO“ des Pro­dukts für die inhalt­li­che Füh­rung und gibt dadurch der Auto­no­mie eine gemein­sa­me Visi­on und Rich­tung. Und schließ­lich gibt es den Scrum Mas­ter, der sich die­nend um die Men­schen küm­mert und dem Pro­duct Owner, dem Deve­lo­p­ment Team und dem Rest der Orga­ni­sa­ti­on hilft effek­tiv zusam­men­zu­ar­bei­ten. Ein klas­si­scher Mana­ger ist dort nicht beschrie­ben, denn sei­ne ver­schie­de­nen Auf­ga­ben sind auf die­se Rol­len verteilt.

Selbstorganisation und Autonomie

Dis­zi­plin erhält man durch Selbst­or­ga­ni­sa­ti­on und Eigen­ver­ant­wor­tung, durch Dis­zi­pli­nie­rung bekommt man nur Gehorsam.

Gerald Hüt­her

Die Wert­schöp­fung in agi­len Orga­ni­sa­tio­nen erfolgt in mög­lichst auto­no­men Teams. Die­se Selbst­or­ga­ni­sa­ti­on ist kei­ne Erfin­dung von Scrum, son­dern ein ganz wesent­li­ches Prin­zip hin­ter dem agi­len Mani­fest und letzt­lich die Fol­ge der Anwen­dung der Lean Prin­zi­pi­en auf den Pro­zess der Soft­ware-Ent­wick­lung. Tat­säch­lich ist die Selbst­or­ga­ni­sa­ti­on als ein wesent­li­ches Merk­mal effek­ti­ver Teams zur Pro­dukt­ent­wick­lung aber viel älter als das agi­le Mani­fest von 2001 und ist auch nicht auf Soft­ware­ent­wick­lung beschränkt. Bereits 1986 beschrie­ben Hirot­a­ka Takeuchi und Iku­ji­ro Nona­ka in ihrem Arti­kel „The New New Pro­duct Deve­lo­p­ment Game“ die Selbst­or­ga­ni­sa­ti­on als eines von sechs Merk­ma­len der von ihnen unter­such­ten Teams, die unge­wöhn­lich schnell und effek­tiv Pro­duk­te wie Kopie­rer, Kame­ras oder auch ein Auto entwickelten.

Vision und Ausrichtung

The tempt­a­ti­on to lead as a chess mas­ter, con­trol­ling each move of the orga­niza­ti­on, must give way to an approach as a gar­de­ner, enab­ling rather than directing.

Stan­ley McChrystal

Auto­no­mie braucht Ori­en­tie­rung. Je mehr Selbst­or­ga­ni­sa­ti­on, des­to stär­ker muss die Aus­rich­tung auf die gemein­sa­me Visi­on sein. Die­se Ori­en­tie­rung ist eine ganz wesent­li­che Füh­rungs­auf­ga­be in agi­len Orga­ni­sa­tio­nen und wird des­halb in Scrum expli­zit durch die Rol­le des Pro­duct Owners als CEO des Pro­dukts wahr­ge­nom­men. Auto­no­mie und Ori­en­tie­rung schlie­ßen sich nicht aus, son­dern ergän­zen sich, wenn mit Sinn und Ver­trau­en geführt wird statt mit Kom­man­do und Kon­trol­le, wie Hen­rik Kni­berg das in die­sem Bild schön darstellt. 

Individuen und Interaktionen

Füh­ren heißt: dem Leben die­nen, Leben her­vor­lo­cken in den Men­schen, Leben wecken in den Mitarbeitern.

Anselm Grün

Neben der inhalt­li­chen Aus­rich­tung auf eine gemein­sa­me Visi­on hat Füh­rung aber auch immer eine mensch­li­che und sys­te­mi­sche Kom­po­nen­te. Die­ser Aspekt von Füh­rung hilft einen Rah­men zu gestal­ten, in dem Men­schen ihre Poten­tia­le ent­fal­ten kön­nen und in dem gute Zusam­men­ar­beit gelin­gen kann. Die­se Füh­rung dient also in ers­ter Linie dem Men­schen. Sie agiert wie ein Gärt­ner und sorgt für eine frucht­ba­ren Boden aus dem Gutes wach­sen kann. Genau dafür gibt es in Scrum die Rol­le des Scrum Mas­ters, die ger­ne unter­schätzt und miss­ver­stan­den wird, aber die eigent­li­che mensch­li­che und sys­te­mi­sche Füh­rungs­rol­le in agi­len Orga­ni­sa­tio­nen beschreibt. 

Braucht es noch einen Chef?

Die­se Drei­fal­tig­keit agi­ler Füh­rung bestehend aus Selbst­or­ga­ni­sa­ti­on, Ori­en­tie­rung und die­nen­der mensch­li­cher Füh­rung ist in tra­di­tio­nel­len Orga­ni­sa­tio­nen alles in der einen Rol­le des Mana­gers ver­mischt. Je nach per­sön­li­cher Nei­gung und kon­kre­ter Situa­ti­on wer­den durch die­se Ver­mi­schung ein­zel­ne Aspek­te über­mä­ßig betont und ande­re ver­nach­läs­sigt. Ein ganz wesent­li­cher Bei­trag von Scrum ist daher die expli­zi­te Auf­fä­che­rung von Füh­rung durch die strik­te Gewal­ten­tei­lung zwi­schen den Rol­len Pro­duct Owner, Deve­lo­p­ment Team und Scrum Master. 

You mana­ge things; you lead people.

Grace Hop­per

Je kon­se­quen­ter agi­le Orga­ni­sa­tio­nen die­se Gewal­ten­tei­lung auf allen Ebe­nen umset­zen, des­to weni­ger braucht es daher die­sen klas­si­schen Mana­ger­ty­pus. Und  viel­leicht ist des­halb die Umset­zung der Gewal­ten­tei­lung und damit die Abschaf­fung die­ser Mana­ger­rol­le, in der alles ver­mischt ist, ein guter Grad­mes­ser für die Bewe­gung einer Orga­ni­sa­ti­on hin zu mehr Agilität. 

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Von Marcus Raitner

Hi, ich bin Marcus. Ich bin der festen Überzeugung, dass Elefanten tanzen können. Daher begleite ich Organisationen auf ihrem Weg zu mehr Agilität. Über die Themen Führung, Digitalisierung, Neue Arbeit, Agilität und vieles mehr schreibe ich seit 2010 in diesem Blog. Mehr über mich.

3 Kommentare

Wun­der­ba­rer Arti­kel. In mei­nem letz­ten Pro­jekt habe ich als Agi­list eine Scrum-Gui­de Lesung (meh­re­re Sit­zun­gen) für Inter­es­sier­te durch­ge­führt. Unglaub­lich, wie vie­le (merk­wür­di­ge) Inter­pre­ta­tio­nen auf­ge­deckt und nach­hal­tig har­mo­ni­siert und ega­li­siert wür­den. Team­grö­ße: Bis zu 12 Scrum-Mas­ter. Tenor: Es macht Sinn, das Papier genau zu lesen. Vie­les, was Defek­te ver­ur­sacht, ist dort schon final gere­gelt. Also: Lesen (und ver­ste­hen) hilft. Tol­ler Arti­kel, wei­ter so.

Eine Scrum-Gui­de Lesung hal­te ich tat­säch­lich für eine sehr gute Prak­tik. Vie­les ist dar­in tat­säch­lich beschrie­ben und hilft. Ich hat­te neu­lich in einer Com­mu­ni­ty of Prac­ti­ce für unse­re Scrum Mas­ter auch mal die drei Aspek­te wie ein Scrum Mas­ter dient (dem Team, dem PO und der Orga­ni­sa­ti­on) erklärt. Erst dann war klar, dass die­se Rol­le nicht nur ein biss­chen Mode­ra­tor ist, son­dern die Speer­spit­ze der Organisationsveränderung.

Ele­fan­ten kön­nen tan­zen, aber sie haben eine ande­re Vor­stel­lung davon als wir. Wir soll­ten von Ele­fan­ten aber nicht erwar­ten, dass sie so tan­zen wie wir.

Es geht dar­um zu ver­ste­hen, wie Ele­fan­ten tan­zen und was das Beson­de­re dar­an ist und wie wir deren Art zu tan­zen am Bes­ten für unse­re Zwe­cke ein­set­zen kön­nen. – Unter der Neben­be­din­gung, dass sie das auch gern tun, oder zumin­dest ver­ste­hen, wel­chen Sinn und Zweck sie damit errei­chen und zu errei­chen helfen.

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