Standards setzen in agilen Organisationen

Agili­tät braucht Ori­en­tie­rung. Erst eine gemein­sa­me Aus­rich­tung ermög­licht effek­ti­ve Auto­no­mie und dezen­tra­le Ent­schei­dun­gen, wodurch agi­le Orga­ni­sa­tio­nen so anpas­sungs­fä­hig wer­den. Agi­li­tät braucht aber auch gemein­sa­me Stan­dards und Kon­ven­tio­nen, damit trotz aller Unab­hän­gig­keit die Zusam­men­ar­beit gut gelingt. Die span­nen­de Fra­ge ist also nicht, ob es sol­che Stan­dards in agi­len Orga­ni­sa­tio­nen braucht, son­dern wie sie sinn­vol­ler­wei­se ent­ste­hen und durch­ge­setzt werden.

Die Ant­wort auf die­se Fra­ge ist in tra­di­tio­nell funk­tio­nal auf­ge­teil­ten Orga­ni­sa­tio­nen nahe­lie­gend und leid­lich bekannt: Eine Orga­ni­sa­ti­ons­ein­heit von Spe­zia­lis­ten wird gebil­det mit dem Auf­trag, Richt­li­ni­en, Stan­dards, Pro­zess­mo­del­le, Vor­ge­hens­mo­del­le, etc. aus­zu­ar­bei­ten, aus­zu­rol­len und dann wei­ter­zu­ent­wi­ckeln. Weni­ge Spe­zia­lis­ten erdenken mehr oder weni­ger im Elfen­bein­turm Stan­dards für den Rest. Den­ken und Han­deln ist damit genau­so streng getrennt wie noch zu Zei­ten von Hen­ry Ford (wo das Den­ken in die­sem Sin­ne zwar noch eher beim Mana­ger und nicht bei einer spe­zia­li­sier­ten Ein­heit lag, was aber am Prin­zip nichts ändert).

Stan­dards should not be forced down from abo­ve but rather set by the pro­duc­tion workers themselves.

Tai­i­chi Ōno

Eine wesent­li­che und ent­schei­den­de Neue­rung des Toyo­ta-Pro­duk­ti­ons­sys­tem, das Tai­i­chi Ōno maß­geb­lich gestal­te­te, war es, Den­ken und Han­deln wie­der am Ort der Wert­schöp­fung zusam­men­zu­füh­ren. Toyo­ta gelang es dadurch, die Pro­duk­ti­vi­tät deut­lich zu stei­gern und nicht nur aus abge­schla­ge­ner Posi­ti­on zur ame­ri­ka­ni­schen Kon­kur­renz aus Detroit auf­zu­schlie­ßen, son­dern sie sogar zu über­run­den. Die Kon­zep­te und Metho­den ver­brei­te­ten sich von der pro­du­zie­ren­den Indus­trie aus­ge­hend als Lean Manu­fac­tu­ring in vie­le wei­te­re Bran­chen in der Ver­all­ge­mei­ne­rung als Lean Manage­ment – auch in die IT, wo das Agi­le Mani­fest his­to­risch und inhalt­lich als Anwen­dung von Lean Prin­zi­pi­en auf den Pro­zess der Soft­ware­ent­wick­lung gele­sen wer­den kann.

Some­thing is wrong if workers do not look around each day, find things that are tedious or bor­ing, and then rewri­te the pro­ce­du­res. Even last month’s manu­al should be out of date.

Tai­i­chi Ōno

Besitzen statt mieten

Für Tai­i­chi Ōno waren Stan­dards die Grund­la­ge jeder kon­ti­nu­ier­li­chen Ver­bes­se­rung („Wit­hout stan­dards, the­re can be no impro­ve­ment.”). Ihm war aber auch klar, dass die ein­zi­gen, die die­se Stan­dards und Pro­zes­se ent­wi­ckeln und wei­ter­ent­wi­ckeln dür­fen, die­je­ni­gen sind, die sie auch täg­lich leben. Die Rol­le der Füh­rungs­kraft ist dabei eine unter­stüt­zen­de: Es geht dar­um, die Mit­ar­bei­ter genau dazu zu befä­hi­gen anstatt sie zu beleh­ren.

Genau die­se Erkennt­nis­se aus dem Lean Manage­ment geben den ent­schei­de­nen Hin­weis zur Beant­wor­tung der ein­gangs gestell­ten Fra­ge, wie Stan­dards, Richt­li­ni­en, Pro­zes­se, etc. in agi­len Orga­ni­sa­tio­nen ent­ste­hen und wei­ter­ent­wi­ckelt wer­den. All das gehört ein­deu­tig in die Hän­de und Ver­ant­wor­tung der­je­ni­gen, die damit täg­lich arbei­ten müs­sen. Die Devi­se lau­tet: Besit­zen statt mieten. 

Wie die Auf­ga­be des Mana­gers im Lean Manage­ment ändert sich mit die­sem Grund­satz auch die Auf­ga­be der ehe­ma­li­gen Zen­tral­stel­len für Stan­dards, Pro­zes­se, etc. Anstatt vor­zu­ge­ben und zu kon­trol­lie­ren geht es jetzt dar­um, alle direkt Betrof­fe­nen zu die­ser Arbeit an den gemein­sa­men Stan­dards zu befä­hi­gen. Durch Aus­bil­dung und Coa­ching einer­seits und durch ein gutes Com­mu­ni­ty-Manage­ment andererseits.

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Von Marcus Raitner

Hi, ich bin Marcus. Ich bin der festen Überzeugung, dass Elefanten tanzen können. Daher begleite ich Organisationen auf ihrem Weg zu mehr Agilität. Über die Themen Führung, Digitalisierung, Neue Arbeit, Agilität und vieles mehr schreibe ich seit 2010 in diesem Blog. Mehr über mich.

2 Kommentare

Hal­lo Marcus, 

Ja!

Das ist genau auch mei­ne lang­jäh­ri­ge Erfah­rung aus agi­len Orga­ni­sa­tio­nen, dass es so funk­tio­niert, dass so auch Owner­ship an den Stan­dards ent­steht: Men­schen aus ver­schie­de­nen Teams oder eben eine Com­mu­ni­ty of Prac­ti­ce setzt sich zusam­men und schreibt den ers­ten Ent­wurf der Stan­dards, ob das jetzt z.B. eine Coding Gui­de­line ist, oder eine grund­le­gen­de Defi­ni­ti­on of Done für alle Teams und Pro­duk­te. Dann wen­den alle die­se Gui­de­line an, und von Zeit zu Zeit wer­den neue Erkennt­nis­se dis­ku­tiert, auf­ge­nom­men, und wie­der in den Teams verbreitet.

Was ich auch schon erlebt habe: 

Wenn Ent­wick­ler sich wei­gern, mit­ein­an­der Stan­dards zu set­zen, dann geschieht das, wenn sie kei­ne Spiel­räu­me in der Orga­ni­sa­ti­on haben, die­se auch umzu­set­zen. Wenn sie bei­spiels­wei­se bestimm­te Arten von Test­au­to­ma­ti­sie­rung für wich­tig hal­ten, aber kei­ne Zeit bekom­men, um sie auch zu imple­men­tie­ren, weil sie das „wie“ nicht wirk­lich in der Hand haben. 

Das The­ma dei­nes Arti­kels geht natür­lich noch weit über sol­che ent­wick­lungs­in­ter­nen Stan­dards hin­aus. Es geht ja um Gover­nan­ce, Risi­ko und Com­pli­ance-Pro­zes­se, die auch in vie­len Fir­men, wo sich die Ent­wick­lung oder IT für rela­tiv agil/lean hält, noch bei ganz zen­tra­len Ein­hei­ten lie­gen. Da ist es beson­ders wich­tig, dass The­men wie IT-Sicher­heit, Daten­schutz usw. Teil des agi­len Pro­zes­ses und Teil der Ver­ant­wor­tung der Pro­dukt­teams wer­den, und die zen­tra­len Ein­hei­ten sie nur dabei unter­stüt­zen, die Anfor­de­run­gen zu ver­ste­hen. Wenn sie dage­gen detail­liert das „Wie“ der Umsat­zung vor­schrei­ben, kos­tet das oft Mona­te auf der Time­line, ohne dass dadurch bereits neu­es­te tech­ni­sche Erkennt­nis­se oder Lösun­gen zu dem The­ma ein­ge­flos­sen wären.

Vie­len Dank für dei­ne aus­führ­li­chen Ergän­zun­gen! Je bes­ser die­ses „owning“ pas­siert des­to Ver­ant­wort­li­cher wer­den die Teams und des­to bes­ser wird die Qua­li­tät. Den­noch tun sich gro­ße Orga­ni­sa­tio­nen mit die­sem schein­ba­ren Kon­troll­ver­lust sehr schwer.

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