Die achte Art der Verschwendung

Unge­nutz­tes mensch­li­ches Poten­ti­al wird oft als ach­te Art der Ver­schwen­dung im Lean Manage­ment bezeich­net. Zu Recht, denn erst die Krea­ti­vi­tät der „ein­fa­chen“ Arbei­ter ermög­licht die kon­ti­nu­ier­li­che Ver­bes­se­rung und die Besei­ti­gung der klas­si­schen sie­ben Arten von Verschwendung.

Die sie­ben klas­si­schen Arten der Ver­schwen­dung im Lean Manage­ment wer­den oft ergänzt durch eine ach­te: das unge­nutz­te Poten­ti­al von Mit­ar­bei­tern. Das mensch­li­che Poten­ti­al nutz­bar zu machen für die kon­ti­nu­ier­li­che Ver­bes­se­rung ist tat­säch­lich ein wesent­li­ches Prin­zip des Lean Manage­ments. Inso­fern liegt die­se ach­te Art der Ver­schwen­dung den ande­ren zugrun­de und ist damit offen­sicht­lich von ande­rem Cha­rak­ter. Trotz­dem und des­we­gen ist sie aber eine wert­vol­le Ergän­zung der sie­ben ursprüng­li­chen Arten der Verschwendung. 

Der Auf­stieg von Toyo­ta nach dem zwei­ten Welt­krieg ist untrenn­bar mit dem Namen Tai­i­chi Ohno ver­bun­den. Er hat das Toyo­ta-Pro­duk­ti­ons­sys­tem maß­geb­lich ent­wi­ckelt und umge­setzt. Was heu­te unter Lean Manu­fac­tu­ring – und in Ver­all­ge­mei­ne­rung als Lean Manage­ment – ver­stan­den wird, geht zu einem gro­ßen Teil auf Tai­i­chi Ohno zurück. Toyo­ta gelang es dadurch, die Pro­duk­ti­vi­tät deut­lich zu stei­gern und nicht nur zur ame­ri­ka­ni­schen Kon­kur­renz aus Detroit auf­zu­schlie­ßen, son­dern sie deut­lich zu überrunden.

Sieben Arten der Verschwendung im Lean Management

Ein zen­tra­les Ele­ment des Toyo­ta-Pro­duk­ti­ons­sys­tems (TPS) ist die Besei­ti­gung jeg­li­cher Ver­schwen­dung. Gemeint ist damit die Ver­mei­dung von sinn­lo­sen Tätig­kei­ten, also Tätig­kei­ten ohne Nut­zen, was den japa­ni­schen Begriff Muda (jap. 無駄) bes­ser trifft als die in der eng­li­schen Lite­ra­tur dafür gebräuch­li­che Über­set­zung mit was­te (Ver­schwen­dung). Tai­i­chi Ohno unter­schei­det sie­ben Arten von Ver­schwen­dung (die Anfangs­buch­sta­ben der eng­li­schen Begrif­fe erge­ben das Akro­nym TIMWOOD als Gedächtnisstütze):

Die sieben Arten von Verschwendung im Lean Management

In vie­len Fabri­ken war und ist die Über­pro­duk­ti­on von Halb- und Fer­tig­fa­bri­ka­ten üblich. Durch die­se Puf­fer las­sen sich Qua­li­täts­schwan­kun­gen wäh­rend der Pro­duk­ti­on (und in der Lie­fer­ket­te) bis zu einem gewis­sen Grad aus­glei­chen und Aus­wir­kun­gen auf Qua­li­tät und Lie­fer­ter­mi­ne vermeiden.

The most dan­ge­rous kind of was­te is the was­te we do not recognize.

Shi­geo Shingo

Weil die­se Puf­fer so prak­tisch und schein­bar unver­zicht­bar sind, wird die­se Art der Ver­schwen­dung oft gar nicht als sol­che erkannt. Den­noch sind die dar­in ver­steck­ten Auf­wän­de für Bestän­de, Lager­flä­chen und Trans­port nicht zu unter­schät­zen. In die­sem Sin­ne ist die Über­pro­duk­ti­on oft Ursa­che für die ande­ren Verschwendungen.

Die sie­ben Arten der Ver­schwen­dung bei Tai­i­chi Ohno bezie­hen sich aber alle auf Pro­zes­se. Sie beschrei­ben Sym­pto­me für Schwä­chen in Arbeits­ab­läu­fen, deren Ursa­chen es zu fin­den und zu besei­ti­gen gilt. Die­se kon­ti­nu­ier­li­che Ver­bes­se­rung (Kai­zen) der Abläu­fe ist daher ein wesent­li­ches Ele­ment des Toyo­ta-Pro­duk­ti­ons­sys­tems. Im Gegen­satz zur damals vor­herr­schen­den Auf­fas­sung ist die­se kon­ti­nu­ier­li­che Ver­bes­se­rung im Lean Manage­ment aber nicht dem Mana­ger vor­be­hal­ten, son­dern die Auf­ga­be der „ein­fa­chen“ Arbei­ter. Ein klei­ner, aber fei­ner Unterschied.

The Toyo­ta style is not to crea­te results by working hard. It is a sys­tem that says the­re is no limit to people’s crea­ti­vi­ty. Peo­p­le don’t go to Toyo­ta to ‘work’ they go the­re to ‘think’.

Tai­i­chi Ohno

Ungenutztes Humanpotential

Im Zen­trum von Tai­i­chi Ohn­o’s Phi­lo­so­phie steht der Mensch als wesent­li­cher Erfolgs­fak­tor und auch heu­te noch ist „Respect for the peo­p­le“ eine Säu­le des Toyo­ta Wegs. Die zen­tra­le Füh­rungs­auf­ga­be lau­tet daher „befä­hi­gen statt beleh­ren“. Im Buch „The Toyo­ta Mind­set, The Ten Com­mandments of Tai­i­chi Ohno“ (Ama­zon Affi­lia­te-Link) berich­tet Yoshi­hi­to Wakamatsu, der vie­le Jah­re direkt unter Tai­i­chi Ohno arbei­te­te, eine pas­sen­de Anek­do­te. Bei einem Besuch in einem Werk von Toyo­ta wur­de Ohno von einem ande­ren Mana­ger beglei­tet. Die­sem fie­len dort offen­sicht­li­che Feh­ler in der Umset­zung des Toyo­ta-Pro­duk­ti­ons­sys­tems auf und so frag­te er Ohno, war­um die­ser nicht sofort kor­ri­gie­ren ein­ge­grif­fen hät­te. Die Ant­wort war:

I am being pati­ent. I can­not use my aut­ho­ri­ty to force them to do what I want them to do. It would not lead to good qua­li­ty pro­ducts. What we must do is to per­sis­t­ent­ly seek under­stan­ding from the shop flo­or workers by per­sua­ding them of the true vir­tu­es of the Toyo­ta Sys­tem. After all, manu­fac­tu­ring is essen­ti­al­ly a human deve­lo­p­ment that depends hea­vi­ly on how we teach our workers.

Tai­i­chi Ohno

Um die sie­ben Arten der Ver­schwen­dung zu ver­mei­den, braucht es die Krea­ti­vi­tät aller, die an die­sen Abläu­fen betei­ligt sind. Die­se bis dahin „ein­fa­chen“ Arbei­ter dazu zu ermäch­ti­gen und dafür zu trai­nie­ren, ist die zen­tra­le Auf­ga­be von Füh­rungs­kräf­ten. Im Kern ging es Tai­i­chi Ohno also um Ent­fal­tung mensch­li­chen Poten­ti­als mehr als Ein­satz mensch­li­cher Res­sour­cen, wie es nun im Mani­fest für mensch­li­che Füh­rung beschrie­ben steht.

Die erste These des Manifests für menschliche Führung entspricht der achten Art von Verschwendung im Lean Management
Die ers­te The­se des Mani­fest für mensch­li­che Führung

Um dem Nach­druck zu ver­lei­hen, wird unge­nutz­tes mensch­li­ches Poten­ti­al oder unge­nutz­te Krea­ti­vi­tät als ach­te Art der Ver­schwen­dung betrach­tet. Zu Recht einer­seits, ist doch das unge­nutz­te Poten­ti­al von Mit­ar­bei­tern rie­sig, weil Orga­ni­sa­tio­nen immer noch wie Maschi­nen betrie­ben und Men­schen dar­in wie Zahn­räd­chen behan­delt wer­den.

Ande­rer­seits ist die­se ach­te Art der Ver­schwen­dung offen­sicht­lich von einem ande­ren Cha­rak­ter als die klas­si­schen sie­ben, weil sie die­sen in gewis­ser Wei­se zugrun­de liegt. Die Nut­zung des krea­ti­ven Poten­ti­als ist jedoch von so ent­schei­den­der Bedeu­tung im Lean Manage­ment, dass die Ergän­zung der sie­ben klas­si­schen Arten von Ver­schwen­dung durch die­se ach­te sehr sinn­voll ist. Neben Toyo­ta zeigt auch das Bei­spiel Ups­tals­boom deut­lich, dass es sich für alle lohnt, wenn aus Human­res­sour­ce end­lich Human­po­ten­ti­al wird.

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Von Marcus Raitner

Hi, ich bin Marcus. Ich bin der festen Überzeugung, dass Elefanten tanzen können. Daher begleite ich Organisationen auf ihrem Weg zu mehr Agilität. Über die Themen Führung, Digitalisierung, Neue Arbeit, Agilität und vieles mehr schreibe ich seit 2010 in diesem Blog. Mehr über mich.

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