Homeoffice: Worum es wirklich geht

Home­of­fice ist tat­säch­lich nur vor­der­grün­dig eine Fra­ge des Arbeits­orts. Im Kern geht es dabei um das Prin­zip der Augen­hö­he, um Men­schen­bil­der, Ver­trau­en statt Kon­trol­le und ganz grund­sätz­lich um das Ver­hält­nis zwi­schen Füh­rungs­kraft und Wissensarbeiter.

Die Coro­na-Pan­de­mie hat Home­of­fice end­gül­tig salon­fä­hig gemacht. Über Nacht wur­de ver­teil­te Zusam­men­ar­beit für sehr vie­le Wis­sens­ar­bei­ter zum Stan­dard und sie ist auf dem bes­ten Weg auch nach der Kri­se zum „New Nor­mal“ zu wer­den. Auch wenn mobi­les Arbei­ten in vie­len Unter­neh­men vor­her prin­zi­pi­ell schon mög­lich war, blieb das doch die Aus­nah­me, zweit­klas­si­ge, immer ein biss­chen ver­däch­ti­ge und expli­zit zur recht­fer­ti­gen­de Arbeit und daher nichts für ech­te Höchst­leis­ter. Vie­ler­orts herrsch­te vor Coro­na ein aus­ge­präg­ter Prä­senz­kult und des­sen Cre­do lau­te­te: Ech­te Arbeit fin­det nur im Büro und unter Auf­sicht statt.

Die­ses Cre­do gerät nun sogar in deut­schen Tra­di­ti­ons­kon­zer­nen ins Wan­ken. „Wir haben gese­hen, wie pro­duk­tiv und effek­tiv das mobi­le Arbei­ten sein kann. Da haben sich eini­ge Vor­ur­tei­le in Luft auf­ge­löst“, stell­te Jochen Wal­lisch, ein füh­ren­der Mana­ger im glo­ba­len Per­so­nal­be­reich von Sie­mens, jüngst fest. Die Kon­se­quenz aus die­ser Leh­re zog Sie­mens die­se Woche mit einem Vor­stands­be­schluss, der das mobi­le Arbei­ten an zwei bis drei Tagen zum welt­wei­ten Stan­dard für rund 140.000 Mit­ar­bei­ter machen soll. (ZEIT Online vom 16.7.2020)

Auch die Alli­anz muss­te bin­nen weni­ger Tage alles ins Home­of­fice ver­le­gen und sämt­li­che Rei­sen absa­gen. Und es funk­tio­nier­te erstaun­lich gut. So gut, dass der Alli­anz-Chef Oli­ver Bäte glaubt, mit einem mas­si­ven Aus­bau des mobi­len Arbei­tens 50% der Rei­se­kos­ten und lang­fris­tig ein Drit­tel der Büro­flä­chen ein­spa­ren zu kön­nen. Sei­ne ganz per­sön­li­che Erfah­rung mit der Arbeit im Home­of­fice deckt sich mit der Beob­ach­tung vie­ler ande­rer Wis­sens­ar­bei­ter: „Ich bin manch­mal erheb­lich pro­duk­ti­ver.“ Damit das auch so bleibt, hat Oli­ver Bäte ange­kün­digt, auch künf­tig teil­wei­se von zu Hau­se zu arbei­ten. (Mana­ger Maga­zin vom 2.7.2020)

Ein Beschluss in der Dimen­si­on wie bei Sie­mens hat Signal­wir­kung, weil durch den dadurch gesetz­ten Rah­men prin­zi­pi­ell und unmiss­ver­ständ­lich die Gleich­wer­tig­keit von Home­of­fice her­aus­ge­stellt wird. Wich­ti­ger noch ist aber das Vor­bild eines Oli­ver Bäte bei der Alli­anz, der als Chef selbst auch mal zu Hau­se in Ruhe arbei­tet. Bei­des zusam­men wirkt Wunder.

Know­ledge workers can­not be mana­ged as sub­or­di­na­tes; they are asso­cia­tes. They are seni­ors or juni­ors but not supe­ri­ors and subordinates.

Peter F. Dru­cker, Management’s New Para­digm, 1998

Home­of­fice ist tat­säch­lich nur vor­der­grün­dig eine Fra­ge des Arbeits­orts. Im Kern geht es dabei um Selbst­be­stim­mung und Augen­hö­he. Es geht um Men­schen­bil­der, Ver­trau­en statt Kon­trol­le und ganz grund­sätz­lich um das Ver­hält­nis zwi­schen Füh­rungs­kraft und Wis­sens­ar­bei­ter, das Peter Dru­cker so oft the­ma­ti­sier­te. Letzt­lich geht es dar­um, wer über Home­of­fice und mobi­les Arbei­ten ent­schei­det. Solan­ge wie bis­her vie­ler­orts üblich das letz­te Wort bei einem Vor­ge­setz­ten liegt, der Home­of­fice am Frei­tag oder Mon­tag mit einem ver­län­ger­ten Wochen­en­de gleich­setzt, wird sich mobi­les Arbei­ten nicht durch­set­zen. Und solan­ge die Füh­rungs­rie­ge flei­ßig das Nar­ra­tiv des Kapi­täns auf der Brü­cke nährt, wer­den auch die bes­ten Absichts­er­klä­run­gen verpuffen.

Dar­um braucht es auch neue Spiel­re­geln, die einen Aus­gleich der Inter­es­sen auf Augen­hö­he ermög­li­chen. So wie bei­spiels­wei­se bei SAP, wo die 22.000 Mit­ar­bei­ter in Deutsch­land schon seit 2018(!) weit­ge­hend frei ent­schei­den kön­nen, ob sie im Büro, im Café, zu Hau­se oder auch im Schwimm­bad ihre Arbeit ver­rich­ten. Die Neue­rung der dama­li­gen Rege­lung war ins­be­son­de­re die Fest­stel­lung, dass es gene­rell erwünscht ist, dass Füh­rungs­kräf­te mobi­les Arbei­ten ermög­li­chen. Damit wird die Beweis­last umge­kehrt. Der Mit­ar­bei­ter ist in der Fra­ge nach mobi­ler Arbeit nicht mehr abhän­gi­ger Bitt­stel­ler, son­dern gleich­wer­ti­ger Part­ner in einer gemein­sa­men Abwä­gung der Inter­es­sen. Den vor­bild­lich schlan­ken Pro­zess zur Abstim­mung beschreibt Per­so­nal­chef Cawa Youno­si so: „Der Mit­ar­bei­ter und die Füh­rungs­kraft eini­gen sich form­los, das geht per Mail, per SMS oder per Kalen­der­ein­trag.“ (FAZ vom 2.3.2018)

Whe­ther you think you can, or you think you can’t – you’­re right.

Hen­ry Ford

Es geht also. Bei machen Unter­neh­men ging es auch schon vor Coro­na. Bei vie­len ande­ren geht es jetzt plötz­lich und das in unvor­stell­ba­rer Geschwin­dig­keit. Und bei ande­ren geht es mög­lichst schnell zurück zum vor­he­ri­gen Prä­senz­kult. Die Quit­tung für die­se ver­pass­te Chan­ce erhal­ten letz­te­re dann in ein paar Jah­ren, wenn Unter­neh­men ohne eine ver­nünf­ti­ge Rege­lung von Home­of­fice basie­rend auf Augen­hö­he und Selbst­be­stim­mung auf dem Arbeits­markt schlicht nicht mehr kon­kur­renz­fä­hig sein wer­den. Auch wenn es sich gera­de mit­ten in der Kri­se nicht so anfühlt, aber es gilt immer noch: „War for talent is over — talent won.“

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Von Marcus Raitner

Hi, ich bin Marcus. Ich bin der festen Überzeugung, dass Elefanten tanzen können. Daher begleite ich Organisationen auf ihrem Weg zu mehr Agilität. Über die Themen Führung, Digitalisierung, Neue Arbeit, Agilität und vieles mehr schreibe ich seit 2010 in diesem Blog. Mehr über mich.

3 Kommentare

Und selbst in den Unter­neh­men, in denen mobi­les Arbei­ten schon vor der Kri­se mög­lich war, war man über­wäl­tigt davon, wie gut es wirk­lich funk­tio­niert. So mache IT Abtei­lun­gen haben qua­si über Nacht die VPN-Mög­lich­kei­ten geschaf­fen um das zu ermög­li­chen. Alle haben dazu bei­getra­gen, dass es auch im Lock­down wei­ter ging. Nie­mals zuvor arbei­te­te eine der­art hohe Zahl an Mit­arbeiterinnen und Mit­arbeitern außer­halb der Unter­nehmens­gebäude. Wenn das kein Beweis ist, dass es wert ist Ver­trau­en zu schenken!

Blah… sor­ry für die unver­blüm­te ver­ba­le Ernüch­te­rung dazu, aber unter den dama­li­gen (bzw. auch aktu­el­len Vorraus­set­zun­gen) ist das nicht wirk­lich ein­deu­tig zu bewer­ten. Wenn vie­le Angst um den Job haben und die „Kri­se“ gewis­ser­ma­ßen vor der Tür steht will doch in der Regel kaum jemand ger­ne den Job ver­lie­ren – natür­lich gibt man dann alles – und auch gera­de des­we­gen, weil man nicht in Ver­dacht gera­ten will nicht genug zu arbeiten.

Ich ken­ne (lei­der) genü­gend Leu­te, die seit Corona+HomeOffice fast 24h pro Tag erreich­bar sind (bzw. Beden­ken haben, dass sie es sein müs­sen) und fast alles was man vor­her an Fahr­zeit ins Büro hat(te) an Über­stun­den leis­ten und eini­ge noch mehr – und das oft ohne Aus­gleich – weder finan­zi­ell noch an Zeit.

Außer­dem dazu unter Arbeits­be­din­gun­gen die viel zu sel­ten hin­ter­fragt wer­den – ins­be­son­de­re auch bei Füh­rungs­kräf­ten – mona­te­lang an erg­no­misch zwei­fel­haf­ten Arbeits­plät­zen – mit weni­gen bis gar kei­ne Pau­sen. Mahl­zei­ten nur noch wäh­rend Mee­tings oder teilswei­se auch z.B. ohne Mit­tag­essen, weil der gan­ze Tag von mor­gens bis abends mit Mee­tings zuge­plant ist und kei­ner auf die Idee kommt oder sich die Blö­ße geben will zu Fra­gen: „… macht der Mee­ting-Slot denn über­haupt Sinn, wann möch­test du denn eigent­lich mal Etwas essen?“

Ich bin ein Befür­wor­ter von Home­Of­fice und auch seit ca. 20 Jah­ren damit ver­traut – aber mit Maß und Sinn, und bit­te zukünf­tig mit Bei­be­hal­tung und Ein­hal­tung von Arbeits­schutz­maß­nah­men, Pau­sen, Erg­no­mie etc. – denn hier ist wirk­lich noch Eini­ges im Argen.

In die­sem Sinne…

Dan­ke für die „Ernüch­te­rung“. Die Angst und Unsi­cher­heit in die­ser Kri­se hat sicher nicht zur bes­ten Umset­zung von Home­of­fice geführt. Wir müs­sen dann aber erst mal dar­über nach­den­ken, wie ver­teil­te Arbeit gut orga­ni­siert wer­den kann, denn den Mee­ting­wahn­sinn ein­fach ins Vir­tu­el­le zu über­tra­gen ist auch kei­ne Lösung (wie ich schon sehr früh die­se Jahr schrieb).

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