Das Spaltmaß und die Agilität

Das Cre­do der Star­tup­kul­tur, „Fail fast, fail cheap“, hat für deut­sche Inge­nieu­re und ihre Mana­ger immer noch den faden Bei­geschmack der Schlam­pig­keit. Die­se typisch deut­sche Spalt­maß­fi­xie­rung ver­hin­dert Agi­li­tät und bremst uns aus.

Vie­le über Jah­re und Jahr­zehn­te erfolgs­ver­wöhn­te Unter­neh­men spü­ren, dass sie sich ange­sichts einer sich immer schnel­ler ver­än­dern­den und zuneh­mend digi­ta­len Welt neu erfin­den müs­sen. Sie wol­len inno­va­ti­ver, schnel­ler und agi­ler wer­den. Dabei steht uns in Deutsch­land lei­der eine unse­rer unbe­strit­te­nen Stär­ken im Weg: Unser Hang zur Per­fek­ti­on. Das Cre­do der Star­tup­kul­tur, „Fail fast, fail cheap“, hat für deut­sche Inge­nieu­re und ihre Mana­ger immer noch den faden Bei­geschmack der Schlam­pig­keit. „Spalt­maß­fi­xie­rung“ nann­te Sascha Lobo sehr tref­fend die­sen typisch deut­schen Per­fek­tio­nis­mus, der uns einst so erfolg­reich gemacht hat, aber uns nun aus­zu­brem­sen droht.

Die Spalt­maß­fi­xie­rung offen­bart den mess­ba­ren Pro­dukt­vor­teil, aber auch das uner­bitt­li­che Wesen der Per­fek­ti­on: die Abwe­sen­heit einer Feh­ler­kul­tur. Das wirkt kata­stro­phal in einer Zeit, in der sich Gesell­schaft und Tech­no­lo­gie so schnell wandeln.

Sascha Lobo

Unser Cre­do im Inge­nieurs­deutsch­land heißt „First time right“. Feh­ler sind böse, schei­tern ist gleich­be­deu­tend mit ver­sa­gen und expe­ri­men­tiert wird des­halb im stil­len Käm­mer­chen bis es per­fekt ist . In die­sem Hang zur Per­fek­ti­on lag der Erfolg unse­res Wirt­schafts­wun­ders nach dem zwei­ten Welt­krieg begrün­det. Und doch liegt in die­sem Erfolg von ges­tern eines unse­rer Pro­ble­me von heu­te. Per­fek­ti­on ver­hin­dert eine posi­ti­ve Feh­ler­kul­tur. So sehr, dass es ange­ra­ten scheint, das F‑Wort lie­ber ganz zu ver­mei­den und statt­des­sen von einer Lern­kul­tur zu sprechen. 

Die sechste These des Manifest für menschliche Führung: Ein Aufruf zu Mut und organisationaler Ambidextrie.
Die sechs­te The­se des Mani­fest für mensch­li­che Füh­rung: Ein Auf­ruf zu Mut und orga­ni­sa­tio­na­ler Ambidextrie.

Der Weg zu einer Lern­kul­tur beginnt bei der Füh­rung, denn die­se prägt ganz maß­geb­lich, was in der Orga­ni­sa­ti­on geschätzt, aner­kannt, gelobt und geför­dert wird. Die­se Kul­tur­ver­än­de­rung muss damit begin­nen, das Ler­nen – im Erfolg wie im Miss­erfolg – in den Vor­der­grund stel­len. Satya Nadel­la, als CEO von Micro­soft ver­ant­wort­lich für einen bemer­kens­wer­ten Kul­tur­wan­del in den letz­ten Jah­ren, sprach in dem Zusam­men­hang bezug­neh­mend auf Carol Dwercks Kon­zept des Growth Mind­set von einer Learn-it-all-Kul­tur anstatt einer Know-it-all-Kul­tur. Genau die­se Kul­tur der Neu­gier und des Ler­nens ist die Basis jeder Trans­for­ma­ti­on von Orga­ni­sa­tio­nen hin zu mehr Agi­li­tät und Anpassungsfähigkeit.

Bei Agi­li­tät geht es im Kern um kur­ze Feed­back­zy­klen. In kur­zen Abstän­den wer­den benutz­ba­re Pro­dukt­stän­de aus­ge­lie­fert und die Erkennt­nis­se dar­aus beein­flus­sen dann die nächs­ten Schrit­te. Agi­li­tät heißt also Ler­nen aus Fehl­ver­su­chen auf unsi­che­rem Ter­rain. Dabei muss man es aus­hal­ten, ein nach bis­he­ri­gen Maß­stä­ben nicht in allen Aspek­ten per­fek­tes Pro­dukt vor­zu­zei­gen, um die ent­schei­den­den Erkennt­nis­se über die Bedürf­nis­se der Kun­den und des Mark­tes zu gewinnen.

Und des­halb kann auch die agi­le Trans­for­ma­ti­on kein von Bera­tern erdach­tes und vom Manage­ment beauf­trag­tes Chan­ge-Pro­jekt sein, so sehr das man­che Ver­käu­fer von Patent­re­zep­ten auch pro­pa­gie­ren. Die agi­le Trans­for­ma­ti­on selbst ist eine gemein­sa­me Lern­rei­se. Und die­se Rei­se gelingt nur mit der rich­ti­gen Lernkultur. 

Ever tried. Ever fai­led. No mat­ter. Try again. Fail again. Fail better.

Samu­el Beckett

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Von Marcus Raitner

Hi, ich bin Marcus. Ich bin der festen Überzeugung, dass Elefanten tanzen können. Daher begleite ich Organisationen auf ihrem Weg zu mehr Agilität. Über die Themen Führung, Digitalisierung, Neue Arbeit, Agilität und vieles mehr schreibe ich seit 2010 in diesem Blog. Mehr über mich.

3 Kommentare

Das ver­su­che ich seit Jah­ren den Kol­le­gen zu erklä­ren… Die suche nach Per­fek­ti­on steht uns im Weg. Außer­dem auch wen einen Per­fek­ten „Moment“ erle­ben, ist es für alle per­fekt und wird für uns sel­ber nach weni­ger Zeit danach immer noch per­fekt bleiben?
Aber ver­steh trotz­dem dass ohne die­se suche nie­mals Meis­ter­wer­ke geschafft wer­den kön­nen! Also ver­ste­he doch dass die Ent­schei­dung für einen Kom­pro­miss nicht leicht ist ;).

Der Begriff den ich mittl­wei­le immer häu­fi­ger benut­ze ist „Nach­ho­len­der tech­ni­scher Perfektionismus“(https://www.lean-agility.de/2020/09/agile-mindset.html)

Damit ist gemeint, dass MVPs im Sinn von „Fail fast, fail cheap“ natür­lich sinn­voll sind, aber nur dann wenn die­je­ni­gen unter ihnen die vom Markt ange­nom­men wer­den danach durch ein Refac­to­ring gehen, das sie auf einen tech­nisch exzel­len­ten (oder zumin­dest akzep­ta­blen) Stand bringt.

Dort wo das nicht pas­siert ent­steht die schrott­rei­fe Sys­tem­land­schaft die wir von all den Kon­zer­nen ken­nen die „für so etwas gera­de kei­ne Zeit haben.“ Und die ist einer der gröss­ten Agi­li­täts-Blo­cker die es gibt.

Bei all der Dis­ku­si­on um Agi­li­tät darf man nicht außer Acht las­sen, daß es nicht dar­um geht Per­fek­ti­on durch Schlam­pe­rei zu erset­zen, was aber in der Rea­li­tät viel­fach zu fin­den ist. Unrei­fe Pro­duk­te haben auf dem Markt nichts ver­lo­ren. Man muß auf­pas­sen, daß man nicht zu vie­le tech­ni­sche Schul­den mit einem MVP auf­nimmt, die man nicht mehr abbau­en kann. Eine soli­de Archi­tek­tur kann nicht durch Agi­li­tät ersetzt wer­den. In zu vie­len Unter­neh­men geht das Manage­ment davon aus, daß mit dem MVP, die Ent­wick­lung fer­tig ist.

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