Die Logik der Agilität

Ist von Agi­li­tät die Rede, schwär­men die Einen von der Kun­den­ori­en­tie­rung und Schnel­lig­keit wäh­rend die Ande­ren die Selbst­or­ga­ni­sa­ti­on und Auto­no­mie des Teams beschwö­ren. Meist schwe­ben die­se und eini­ge wei­te­re Kon­zep­te mehr oder weni­ger unzu­sam­men­hän­gend in einer mys­ti­schen Wol­ke rund um den zen­tra­len Begriff der Agi­li­tät. Ein Ver­such der Ein­ord­nung der zen­tra­len Kon­zep­te rund um Agi­li­tät in einen logi­schen Zusammenhang.

Agi­li­tät bedeu­tet Effek­ti­vi­tät. Es geht dabei weni­ger um Effi­zi­enz, son­dern pri­mär dar­um, das Rich­ti­ge zu tun. Wie aber kann man wis­sen, was rich­tig ist in einer Welt, in der es „nor­mal ist, dass vie­les anders ist und immer schnel­ler anders wird“ (Karl-Heinz Geiß­ler)? Die Ant­wort ist ein­fach: Man kann es gar nicht wis­sen, man muss es aus­pro­bie­ren. Des­halb bedeu­tet Agi­li­tät immer auch Kun­den­ori­en­tie­rung und Kun­den­nä­he, denn nur durch Feed­back aus der Pra­xis las­sen sich Erkennt­nis­se gewin­nen. Im Kern ist Agi­li­tät daher empi­ri­sches Erfor­schen der Lösungs­mög­lich­kei­ten unbe­kann­ter Bedürf­nis­se in schnell­le­bi­gen Märkten.

If the lad­der is not lea­ning against the right wall, every step we take just gets us to the wrong place faster.

Ste­ven R. Covey, 2004. The 7 Habits of High­ly Effec­ti­ve People.

Empi­rie stammt vom grie­chi­schen εμπειρία (empei­ría) und bedeu­tet in etwa Erfah­rung oder Erfah­rungs­wis­sen. Gemeint ist damit das metho­disch-sys­te­ma­ti­sche Sam­meln von Daten, Erfah­run­gen und Erkennt­nis­sen mit dem Zweck theo­re­ti­sche Annah­men über die Zusam­men­hän­ge der Welt zu bestä­ti­gen oder zu wider­le­gen. Agi­li­tät beginnt also immer mit der bekann­ten Ein­sicht die Sokra­tes zuge­schrie­ben wird: „Ich weiß, dass ich nicht weiß!“ Die logi­sche Fol­ge aus die­ser wei­sen Erkennt­nis des Nicht-Wis­sens und dem ehr­li­chen Ein­ge­ständ­nis der Unsi­cher­heit ist es, mit Hypo­the­sen zu arbei­ten. Jede Prio­ri­sie­rung, jedes Sprint-Plan­ning ist daher eine Hypo­the­se über einen ver­spro­che­nen Kun­den­nut­zen. Gute Hypo­the­sen wer­den sich bewäh­ren und schlech­te wer­den wider­legt wer­den. Schei­tern als Mit­tel des Erkennt­nis­ge­winns gehört damit prin­zi­pi­ell zur Agi­li­tät. Ohne die­se Feh­ler­kul­tur kann es kei­ne Agi­li­tät geben.

Ein empi­risch-wis­sen­schaft­li­ches Sys­tem muss an der Erfah­rung schei­tern können.

Karl Pop­per, Logik der For­schung 17

Wenn Agi­li­tät aber nun im Wesent­li­chen bedeu­tet, durch Kun­den­nä­he und Kun­den­feed­back empi­risch Erkennt­nis­se zu gewin­nen, dann braucht es dafür not­wen­di­ger­wei­se dezen­tra­le Struk­tu­ren und ein hohes Maß an Selbst­or­ga­ni­sa­ti­on. Die übli­chen Kom­mu­ni­ka­ti­ons- und Befehls­we­ge die Hier­ar­chie rauf und run­ter und dann noch durch diver­se Gre­mi­en, behin­dert das schnel­le Ler­nen viel zu sehr. Ent­schei­dun­gen müs­sen dort fal­len, wo die Umset­zung statt­fin­det und wo die Infor­ma­tio­nen zur Aus­wir­kung der Ent­schei­dun­gen gewon­nen wer­den: im Team und nah am Kunden.

Die meis­ten Men­schen wol­len die Frei­heit nicht wirk­lich, weil Frei­heit Annah­me von Ver­ant­wor­tung bedeu­tet, die meis­ten Men­schen zit­tern vor sol­cher Annahme.

Sig­mund Freud

Agi­li­tät bedeu­tet also auch immer Sub­si­dia­ri­tät und die ver­langt Inter­dis­zi­pli­na­ri­tät. Damit agi­le Teams über­haupt nahe am Kun­den auto­nom arbei­ten und ent­schei­den kön­nen, müs­sen sie inter­dis­zi­pli­när auf­ge­stellt sein, also ihre Mit­glie­der alle für die­se Arbeit erfor­der­li­chen Fer­tig­kei­ten und Spe­zia­li­sie­run­gen besitzen.

Die­se Auto­no­mie bedeu­tet umge­kehrt aber auch eine grö­ße­re Ver­ant­wor­tung als in hier­ar­chi­schen Orga­ni­sa­tio­nen. Das Team ver­ant­wor­tet immer auch sei­ne Ent­schei­dun­gen. Die beque­me Aus­re­de, nur Befeh­le aus­ge­führt und Gre­mi­en­ent­schei­dun­gen umge­setzt zu haben gibt es in agi­len Orga­ni­sa­tio­nen nicht.

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Von Marcus Raitner

Hi, ich bin Marcus. Ich bin der festen Überzeugung, dass Elefanten tanzen können. Daher begleite ich Organisationen auf ihrem Weg zu mehr Agilität. Über die Themen Führung, Digitalisierung, Neue Arbeit, Agilität und vieles mehr schreibe ich seit 2010 in diesem Blog. Mehr über mich.

3 Kommentare

Hal­lo Marcus,
wie immer sehr inter­es­sant. Was mich schon län­ger beschäf­tigt: Agi­li­tät bedeu­tet wie du schreibst Effek­ti­vi­tät. Aller­dings Effek­ti­vi­tät meis­tens nicht aus­rei­chend. Zur Gebrauchs­taug­lich­keit feh­len noch Effi­zi­ent und Zufrie­den­stel­lend. Das wird ins­be­son­de­re im Betrien rele­vant. Das kommt mir im Agi­len lei­der oft zu kurz.
Gruß Steffen

Für mich bedeu­tet Agi­li­tät – „die Fähig­keit mit einer Plötz­li­chen Dyna­mik sich aus­ein­an­der zu setzen.“
Des­halb muss ich mich immer selbst fra­gen ob ich die­se Fähig­keit besit­ze? Und wie ich sie wei­ter ent­wi­ckeln kann und auch will.

LG
Mario

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