Die Kunst sich selbst gut zu organisieren

Zeit ist unse­re knapps­te Res­sour­ce. Sie ver­rinnt unwie­der­bring­lich. Schon die alten Römer gaben daher den Rat: Car­pe diem! Im Zeit­al­ter der Wis­sens­ar­beit mit tau­send Mög­lich­kei­ten und eben­so­vie­len Ablen­kun­gen ist das aber leich­ter gesagt als getan. In rund zwan­zig Jah­ren Wis­sens­ar­beit habe ich eini­ges aus­pro­biert und dabei viel dar­über gelernt, wie ich mich selbst gut organisiere.

Wäh­rend der Zeit mei­ner Pro­mo­ti­on, also vor rund 20 Jah­ren, stand ich erst­mals bewusst vor der Fra­ge, wie ich mei­ne Zeit gut nut­ze. Im Stu­di­um vor­her war mei­ne Zeit noch stark durch Stu­di­en­plä­ne, Klau­su­ren und Prü­fun­gen von außen struk­tu­riert, aber nun For­schung, Ver­öf­fent­li­chun­gen, die Dok­tor­ar­beit und neben­bei auch noch Lehr­ver­pflich­tun­gen gut zu orga­ni­sie­ren, war eine ganz neue Her­aus­for­de­rung für mich. Es muss zu die­ser Zeit gewe­sen sein, dass ich erst­mals mit der Pro­duk­ti­vi­täts­me­tho­de Get­ting Things Done (GTD) von David Allen in Berüh­rung kam, des­sen Buch dazu für mich sehr pas­send 2001 erschien.

GTD ist schnell erklärt und wie so oft mit schein­bar ein­fa­chen Model­len und Sys­te­men ist zwi­schen Ver­ständ­nis zur Umset­zung dann doch ein län­ge­rer, stei­ni­ger Weg. Jeden­falls war es das für mich und tat­säch­lich bin ich seit eini­ger Zeit wie­der von der rei­nen GTD Leh­re abge­kom­men oder viel­leicht auch nie ganz dort ange­kom­men. Mit die­ser Erfah­rung ste­he ich nicht allein da, wie Cal New­port in sei­nem Arti­kel „The Rise and Fall of Get­ting Things Done“ im Maga­zin New Yor­ker ins­be­son­de­re am Bei­spiel von Mer­lin Mann, einem der frü­hen Apo­lo­ge­ten von GTD, darlegt.

Ein Geist wie Wasser

Der Reiz von GTD lag für mich immer in dem ange­streb­ten Zustand der geis­ti­gen Klar­heit, den David Allen als ein „Geist wie Was­ser“ („mind like water“) bezeich­net. Ursprüng­lich stammt die­ser Begriff aus der asia­ti­schen Kampf­kunst und meint die Fähig­keit nach Auf­re­gung oder Stress schnell wie­der in einen Zustand der Geis­tes­ru­he zurück­keh­ren zu kön­nen. Wie das Was­ser eines Sees, das durch einen hin­ein­ge­wor­fe­nen Stein kurz­zei­tig in Wel­len ver­setzt wird, aber nach kur­zer Zeit wie­der wie vor­her ruht. 

Genau das benö­tig­te ich. Ich woll­te weg von den gefühlt tau­send Din­gen in mei­nem Kopf, die ich tun woll­te, soll­te, könn­te. GTD ver­sprach Ord­nung in das Cha­os in mei­nem Kopf zu brin­gen, sodass ich mein Gehirn voll und ganz zum Den­ken und nicht zum Ver­wal­ten und Erin­nern benut­zen könn­te. Nach die­sem Nir­va­na der per­sön­li­chen Pro­duk­ti­vi­tät such­te ich damals – und suche ich heu­te noch.

Die Grund­idee von David Allen war es lose Enden („open loops“) ein­zu­fan­gen. Gemeint ist damit alles Uner­le­dig­te in unse­rem Leben, das unser Gehirn allein dadurch beschäf­tigt hält, dass wir es nicht ver­ges­sen wol­len und dür­fen. Wenn erst ein­mal alle losen Enden in einem ver­läss­li­chen Sys­tem (one trus­ted sys­tem) ein­ge­fan­gen sind, kann das Gehirn los­las­sen und sich auf die hier und jetzt anste­hen­de Auf­ga­be voll und ganz konzentrieren.

Damit das funk­tio­niert, braucht es Dis­zi­plin. Einer­seits die Dis­zi­plin, immer alles in einem sol­chen ver­läss­li­chen Sys­tem zu pfle­gen und ande­rer­seits auch regel­mä­ßig die dar­in erfass­ten losen Enden zu über­prü­fen, sie zu über­ar­bei­ten, sie zu löschen oder sie anzu­ge­hen. Aus die­sem Grund emp­fiehlt David Allen die (digi­ta­len oder ana­lo­gen) Ein­gangs­kör­be täg­lich zu lee­ren, was zwi­schen­zeit­lich in einen regel­rech­ten „Inbox Zero“-Kult aus­ufer­te. In der wöchent­li­chen Revi­si­on wer­den die Auf­ga­ben dann in ihrer Gesamt­heit betrach­tet, über­ar­bei­tet und in einen grö­ße­ren Kon­text von län­ger­fris­ti­gen Zie­len ein­ge­ord­net. Das Gehirn kann erst los­las­sen, wenn es sich hun­dert­pro­zen­tig dar­auf ver­las­sen kann, dass alles erfasst ist, Sinn ergibt und zu gege­be­ner Zeit behan­delt wer­den wird. 

Im Wesent­li­chen fol­ge ich die­sen Ideen noch heu­te und stre­be nach einem Geist wie Was­ser, indem ich alle losen Enden in mei­nem Leben einem ver­läss­li­chen Sys­tem mit mehr oder weni­ger Selbst­dis­zi­plin anver­traue. Die dafür zum Ein­satz kom­men­den tech­ni­schen Lösun­gen vari­ie­ren aller­dings. In wei­ten Tei­len ver­las­se ich mich auf Things auf dem iPho­ne und mei­nem pri­va­ten Mac (frü­her war das lan­ge Omni­fo­cus, was aber für mich zu vie­le Fea­tures hat­te). Im beruf­li­chen Kon­text kommt es immer dar­auf an, was ich an Sys­te­men vor­fin­de und nut­zen kann. Oft ist das dann nur Out­look oder wenn es gut läuft Sys­te­me für vir­tu­el­le Taskboards wie Trel­lo oder Wekan. Neben den diver­sen digi­ta­len Ein­gangs­kör­ben, allen vor­an E‑Mail, nut­ze ich ins­be­son­de­re in Bespre­chun­gen ein ganz klas­si­sches ana­lo­ges Notiz­buch (meist in der Grö­ße A5 und bevor­zugt mit gepunk­te­ter Lineatur).

Planung mit Zeitblöcken

Wäh­rend GTD also prä­zi­se beschreibt, wie man sei­ne Ein­gangs­kör­be durch­ar­bei­tet und die Lis­ten in dem ver­läss­li­chen Sys­tem pflegt, bleibt David Allen recht vage, wenn es dar­um geht die­se Auf­ga­ben abzu­ar­bei­ten. Natür­lich gibt es da die soge­nann­ten Kon­tex­te, die es mir erlau­ben, alle Besor­gun­gen zu bün­deln oder mir alles zei­gen, was ich im Büro oder zu Hau­se erle­di­gen muss. Aber dar­über­hin­aus obliegt es mir, mei­ner Lau­ne, mei­ner Ener­gie und mei­ner wie auch immer fest­ge­leg­ten Prio­ri­tät, die jeweils wich­tigs­te Auf­ga­be zu fin­den und zu erle­di­gen. Nicht sel­ten führt das bei her­aus­for­dern­den Auf­ga­ben dazu, dass ich lie­ber erst mal ein paar ein­fa­che­re erle­di­ge, damit ich schnell etwas abha­ken kann. Sel­ten war mei­ne Woh­nung auf­ge­räum­ter als zu der Zeit, in der ich an mei­ner Dok­tor­ar­beit schrei­ben sollte.

Um mei­ne Zeit mög­lichst sinn­voll ein­zu­set­zen, fehl­te mir bei GTD also immer etwas, das ich schließ­lich bei Cal New­port und sei­nem Ansatz des Pla­nens mit Zeit­blö­cken (Time-Blo­cking) fand. Die Grund­idee die­ser Metho­de ist anspre­chend ein­fach: Zu Beginn jedes Tages bekom­men alle ver­füg­ba­ren Zeit­blö­cken (bei mir ist die Gra­nu­la­ri­tät in der Regel eine hal­be Stun­de) kon­kre­te Auf­ga­ben. Es geht also pri­mär um einen plan­vol­len und absichts­vol­len Umgang mit der eige­nen Zeit. 

Cal New­port emp­fiehlt dazu als Grund­la­ge und Richt­schnur die per­sön­li­chen Wer­te (wer will ich sein und wie will ich sein) und eine lang­fris­ti­ge Visi­on (was will ich errei­chen und wie will ich mei­ne Wer­te ver­wirk­li­chen). Dar­aus spei­sen sich dann stra­te­gi­sche Zie­le für ein Quar­tal (stra­te­gic plan), die jeweils in einen wöchent­li­chen Plan oder Zie­le mün­den, der dann die Basis für die kon­kre­te Nut­zung der täg­lich ver­füg­ba­ren Zeit­blö­cke ist.

Der Mehr­wert die­ses Pla­nens mit Zeit­blö­cken liegt für mich klar dar­in, dass ich Pla­nung und Aus­füh­rung kom­plett tren­nen kann und mich so in jedem Zeit­block voll und ganz auf die jewei­li­ge Auf­ga­be kon­zen­trie­ren kann. Es ist daher wenig ver­wun­der­lich, dass Cal New­port die­se Metho­de auch in sei­nem Buch „Deep Work“ aus­führ­lich vor­stellt und emp­fiehlt. Im Detail beschreibt er das Pla­nen mit Zeit­blö­cken in die­sem Video zu sei­nem Time­block-Plan­ner (den ich aus­pro­biert habe, aber des­sen Mehr­wert gegen­über mei­nem Notiz­buch sich mir nicht erschlos­sen hat):

Ein­füh­rung in das Pla­nen mit Zeit­blö­cken von Cal Newport.

In klas­si­schem GTD wäre der Ansatz zu Prio­ri­sie­rung statt­des­sen im kon­kre­ten Moment die Auf­ga­ben in der pas­sen­den Lis­te durch­zu­se­hen und die je nach Kon­text, Ener­gie, ver­füg­ba­rer Zeit und Prio­ri­tät sinn­volls­te aus­zu­wäh­len. Allein die­ses Durch­se­hen und Abwä­gen ist aber ein zusätz­li­cher Wech­sel des Kon­texts, der bei mir geis­ti­ge Rei­bungs­ver­lus­te ver­ur­sacht, indem er mir noch zu erle­di­gen­de Auf­ga­ben wie­der ins Gedächt­nis ruft, die dann Kapa­zi­tät blo­ckie­ren. Inso­fern ist es mei­ner Geis­tes­ru­he sehr zuträg­lich, ein­mal täg­lich auf Basis eines wöchent­li­chen Plans die anste­hen­den Auf­ga­ben zurecht­zu­le­gen. So kann ich mich auf den jewei­li­gen Arbeits­block kon­zen­trie­ren und muss mir kei­ne Gedan­ken mehr über ande­re noch anste­hen­de Auf­ga­ben machen.

Das Pla­nen mit Zeit­blö­cken sorgt also dafür, dass die wich­ti­gen Din­ge nicht immer von den drin­gen­den oder viel­leicht auch nur ange­neh­me­ren ver­drängt wer­den. Es schafft Raum für die lang­fris­ti­gen Pro­jek­te. Klei­ne­re und viel­leicht eher admi­nis­tra­ti­ve Auf­ga­ben oder auch nur die Beant­wor­tung von E‑Mails bünd­le ich dabei immer in eige­ne Admin-Blö­cke, deren kon­kre­ten Inhalt ich dann mit Auf­ga­ben aus mei­nen GTD-Lis­ten fül­le. Das alles benö­tigt selbst­ver­ständ­lich auch sei­nen Platz, damit sich das Gehirn sicher sein kann, dass es nicht ver­ges­sen wird und ich mich in den ande­ren Blö­cken mög­lichst gut kon­zen­trie­ren kann. Ein aus­ge­wo­ge­ner Tages­plan sorgt genau dafür. 

Das Erfas­sen und Ver­wal­ten aller losen Enden ist also bei mir immer noch sehr ähn­lich zum klas­si­schen GTD und auch bei Cal New­port nicht wirk­lich signi­fi­kant anders (er emp­fiehlt in der Regel ein Taskboard wie Trel­lo je Rol­le dafür). Ein ver­läss­li­ches Sys­tem zu haben, sodass das Gehirn frei bleibt für die Erle­di­gung der Auf­ga­ben ist eine not­wen­di­ge Bedin­gung für Pro­duk­ti­vi­tät und Deep Work. Die­ses Sys­tem zur Ver­wal­tung der Auf­ga­ben allein ist aber noch nicht hin­rei­chend, weil es zu sehr zu einer reak­ti­ven Arbeits­wei­se ver­lei­tet. Es braucht heu­te mehr denn je einen pro­ak­ti­ven absichts­vol­len Umgang mit der Zeit als unse­rer wert­volls­ten, weil unwie­der­bring­lich ver­rin­nen­den, Res­sour­ce. Genau da setzt die Pla­nung mit Zeit­blö­cken an.

If you don’t prio­ri­ti­ze your life, someone else will.

Greg McKeown

Titel­bild von Pri­scil­la Du Preez bei Uns­plash

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Von Marcus Raitner

Hi, ich bin Marcus. Ich bin der festen Überzeugung, dass Elefanten tanzen können. Daher begleite ich Organisationen auf ihrem Weg zu mehr Agilität. Über die Themen Führung, Digitalisierung, Neue Arbeit, Agilität und vieles mehr schreibe ich seit 2010 in diesem Blog. Mehr über mich.

6 Kommentare

Lie­ber Marcus,

vie­len Dank für die­sen Bei­trag! Es ist ein immer wie­der­keh­ren­des The­ma und gera­de im beruf­li­chen Kon­text mer­ke ich täg­lich wie sehr die Men­schen dar­un­ter lei­den eher von Außen getrie­ben zu sein als sich selbst ihre Zeit einzuteilen.
Sowohl beruf­lich als auch pri­vat hat sich für mich die ein­fach pen and paper Lis­te bewehrt. Ich schrei­be ein­fach alles auf was zu tun ist ohne die­se zu prio­ri­sie­ren und mache erst anschlie­ßend mei­ne Prio­ri­tä­ten­zah­len dran (oft­mals ver­ges­se ich sie auch). Tat­säch­lich hilft mir dies am bes­ten und ich habe den Kopf danach frei. Obwohl ich Kan­ban­boards lie­be haben sie sich bei mir pri­vat nicht bewehrt.
Ich den­ke, jeder muss sein Tool fin­den um sich zu organisieren.

Dan­ke, Mel. Ich erle­be das gera­de im beruf­li­chen Kon­text auch oft. Ich sehe da eine gewis­sen Dis­kre­panz zwi­schen der fach­li­chen Aus­bil­dung der Men­schen und ihrer Aus­bil­dung zur Orga­ni­sa­ti­on ihrer Arbeit. Letz­te­res ist eben kein Kurs an der Uni … Auf das Tool kommt es auch gar nicht so sehr an. Bei mir ist ins­be­son­de­re der Tages­plan auch Pen & Paper. Was ich an Cal New­port mag, ist sein Ansatz mit der Zeit absichts­voll umzu­ge­hen. Das muss kein kom­plet­ter Plan für den Tag sein, son­dern viel­leicht nur die Lis­te der Auf­ga­be oder auch nur die heu­te wich­tigs­te Aufgabe.

Das ist ein groß­ar­ti­ger Arti­kel, dan­ke Marcus.
Ich den­ke, man lernt am bes­ten, wenn man zuerst durch den Schmerz geht und dann den Rat­schlä­gen folgt – bevor man merkt, dass man es bes­ser machen kann, denkt man „Ich habe es im Griff!“

Inter­es­san­ter Arti­kel, der mir über­ra­schend bestä­tigt hat, was ich seit vie­len Jah­ren intui­tiv mit Out­look zumin­dest im Büro mache, ohne Cal New­port gele­sen zu haben :-)
Statt der für mich nicht funk­tio­nie­ren­den Auf­ga­ben­lis­te begann ich damals, die Auf­ga­ben direkt in den Kalen­der ein­zu­tra­gen. Ob mensch die­se Zei­ten als frei mar­kiert oder als beschäf­tigt blo­ckiert, bleibt jede*m selbst über­las­sen. Ich mache das mal so, mal so. Wobei die ande­ren ruhig wis­sen kön­nen, dass ich den gan­zen Tag arbeite :-)

Klingt nach einem sehr guten Ansatz. Der Schlüs­sel liegt für mich dar­in, absichts­voll mit der eige­nen Zeit umzu­ge­hen und sich nicht von Lis­ten oder noch schlim­mer von E‑Mails trei­ben zu las­sen. Cal New­port loht sich aber trotzdem ;-)

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