Die Mechanismen der Angst

Anfangs soll­te die Angst vor Coro­na das Volk im geschlos­se­nen Kampf gegen die Pan­de­mie einen. Die­se Angst schlägt zuneh­mend um in Hass, Het­ze und Spal­tung. Es ist aller­höchs­te Zeit, dass wir die­ser Ten­denz ent­schlos­sen und geschlos­sen entgegentreten.

Die Coro­na-Pan­de­mie deckt scho­nungs­los Miss­stän­de auf. Da wären zual­ler­erst die Miss­stän­de in unse­rem Gesund­heits­sys­tem zu bekla­gen, das offen­sicht­lich schon vor der Pan­de­mie kaputt­ge­spart war und wäh­rend der letz­ten zwan­zig Mona­te zwar viel Bei­fall und Soli­da­ri­tät erfuhr, aber letzt­lich kei­ne nach­hal­ti­ge Ver­bes­se­rung erleb­te, son­dern im Gegen­teil heu­te ca. 4.500 Inten­siv­bet­ten weni­ger als vor einem Jahr betriebs­be­reit sind. Unse­re gewähl­ten Volks­ver­tre­ter neh­men die­se offen­sicht­lich drin­gen­de und eigent­lich recht nahe­lie­gen­de Auf­ga­be nicht annä­hernd so ernst wie ihre publi­kums­wirk­sa­me Rol­le als War­ner und Mah­ner im Panik­or­ches­ter oder wie Mar­kus Söder als unbeug­sa­mer Feld­herr und Kreuz­rit­ter wild ent­schlos­sen zu har­ten Ein­schrän­kun­gen, auch wenn sich die dann wie im Fal­le der Aus­gangs­sper­ren in Bay­ern nach­träg­lich als unrecht­mä­ßig her­aus­stel­len.

Auf­ge­deckt hat die­se Kri­se auch ein kol­lek­ti­ves Füh­rungs­ver­sa­gen unse­rer gewähl­ten Volks­ver­tre­ter. Das ein­zi­ge Instru­ment, das seit Beginn der Pan­de­mie durch­weg zum Ein­satz kommt, ist das Schü­ren von Angst und das Ver­brei­ten von Panik. Damit folgt die Regie­rung — und die Oppo­si­ti­on in wei­ten Tei­len genau­so — dem Fahr­plan aus dem Papier des Innen­mi­nis­te­ri­ums vom April 2020. Dort ist bewusst von Schock­wir­kung die Rede, die in der (mitt­ler­wei­le halt­lo­sen) Behaup­tung gip­felt, dass Kin­der ihre Eltern anste­cken und die­se dann qual­voll zu Hau­se ster­ben — alles nur, weil das Kind ver­ges­sen hat, sich nach dem Spie­len die Hän­de zu waschen (sic!). Hier wur­de und wird bis zum heu­ti­gen Tag bewusst mit Urängs­ten (Ersti­cken, Schuld) gear­bei­tet, um der Bevöl­ke­rung den Ernst der Lage zu ver­deut­li­chen und sie auf eine Linie der Vor­sicht und — ein Schelm und Quer­den­ker wer Böses dabei denkt — des unbe­ding­ten Gehor­sams einzuschwören.

Angst und Schre­cken war schon das Füh­rungs­prin­zip von Cali­gu­la, der von 37 bis 41 n. Chr. als Kai­ser in Rom regier­te. Mit sei­nem Wahl­spruch „Oder­int, dum metu­ant“, zu deutsch: „Sol­len sie mich has­sen, solan­ge sie mich fürch­ten“, beschrieb er sei­ne wenig lie­be­vol­le Bezie­hung zu sei­nem Volk. Eine Hal­tung die noch vie­le Auto­kra­ten nach ihm in ähn­li­cher Wei­se kul­ti­vier­ten. Druck erzeugt Gegen­druck und Gewalt führt zu Gegen­ge­walt und so wur­de Cali­gu­la nach nur vier Jah­ren als Kai­ser im Alter von 29 Jah­ren von einer Prä­to­ria­ner­gar­de ermor­det und anschlie­ßend das Andenken an ihn in gro­ßen Tei­len vernichtet.

Der­art offen­siv mit Angst und Schre­cken zu ope­rie­ren, um Gehor­sam zu erzwin­gen funk­tio­niert nur kurz­fris­tig und endet blu­tig, auch das zeigt die Geschich­te am Bei­spiel vie­ler Des­po­ten vor und nach Cali­gu­la. In einer Demo­kra­tie ver­bie­tet sich die­ser Ansatz ohne­hin, will es sich doch kein Poli­ti­ker mit zu vie­len poten­ti­el­len Wäh­lern ver­der­ben. Prak­tisch und ver­lo­ckend sind ein­ge­schüch­ter­te und dadurch wider­spruchs­los gehor­sa­me Unter­ta­nen für die gewähl­ten Ver­tre­ter frei­lich den­noch. Die hohe poli­ti­sche Kunst ist es also, Ängs­te zu schü­ren ohne selbst zur Ziel­schei­be des Has­ses der Mehr­heit zu wer­den oder noch bes­ser mit ent­spre­chend ent­schlos­se­nem Auf­tre­ten und har­ten Maß­nah­men dann sogar von der Mas­se als Ret­ter gefei­ert zu werden.

Die Bedro­hung durch ein neu­ar­ti­ges Virus eig­net sich per­fekt, um durch Angst einer­seits Ein­heit und Gehor­sam zu erzwin­gen und gleich­zei­tig für Schutz und har­te Maß­nah­men von den meis­ten auch noch als Ret­ter gefei­ert zu wer­den. Wel­cher Poli­ti­ker kann die­ser Ver­lo­ckung wider­ste­hen. Viel­leicht ähneln sich die­se bis­wei­len tota­li­tä­ren Reak­ti­ons­mus­ter des­halb in den meis­ten Demo­kra­tien welt­weit, wodurch — befeu­ert durch die Medi­en, denen die­se Mas­sen­psy­cho­se kon­stant hohe Ein­schalt­quo­ten und Klick­ra­ten beschert — eine Eska­la­ti­ons­spi­ra­le der Panik und ein Über­bie­tungs­wett­be­werb der Maß­nah­men in Bewe­gung gesetzt wur­de. Dass mitt­ler­wei­le auch Wis­sen­schaft­ler das Schü­ren von Angst zur Ver­hal­tens­kon­trol­le als unethisch ableh­nen, kommt lei­der zu spät. Das Kind ist schon in den Brun­nen gefallen.

Fear of a thre­at to the com­mu­ni­ty unites. But fear of someone within the com­mu­ni­ty divi­des and cor­ro­des. It cor­rupts both him who uses fear and him who fears.

Peter F. Drucker

Angst vor den Fol­gen der Maß­nah­men ist frei­lich nicht gewünscht und wird daher seit Beginn der Pan­de­mie kon­se­quent igno­riert, klein­ge­re­det und fak­ten­ge­checkt und die Kri­ti­ker als Coro­na­leug­ner, Quer­den­ker, Alu­hut­trä­ger oder — als ulti­ma ratio — Nazis dif­fa­miert. Selbst wer gute Fra­gen hat und berech­tig­te Beden­ken äußert macht sich ver­däch­tig, unter­gräbt die Geschlos­sen­heit und wird dadurch zum Maß­nah­men­geg­ner oder Impf­ver­wei­ge­rer. Die Rhe­to­rik der Poli­tik und der Medi­en ver­rutscht Monat für Monat wei­ter in Rich­tung Glau­bens­krieg einer ver­ängs­tig­ten, gehor­sa­men und Bei­fall klat­schen­den Mehr­heit gegen eine kri­tisch hin­ter­fra­gen­de Min­der­heit. Die­se umfasst tat­säch­lich auch eini­ge absei­ti­ge Grup­pie­run­gen und Mei­nun­gen, die aber in die­ser Min­der­heit nur eine Rand­er­schei­nung sind, auch wenn sie in den Medi­en ger­ne zum Pars pro Toto sti­li­siert werden. 

Die Angst vor der äuße­ren Bedro­hung, die anfangs nütz­lich und prak­tisch schien, um die Gemein­schaft in die­ser Kri­se zu einen, wan­delt sich zuneh­mend in eine Angst, wel­che die Gemein­schaft Woche für Woche tie­fer spal­tet. Wer nun von „Tyran­nei der Unge­impf­ten“ redet wie der Wel­tärt­ze­prä­si­dent Mont­go­me­ry jüngst, nimmt es nicht nur bil­li­gend in Kauf, dass aus Angst Hass wird, son­dern gießt aktiv Öl ins Feu­er und bewegt sich am Ran­de des Tat­be­stands der Volks­ver­het­zung, was die Medi­en aber frei­lich nicht abhält genau die­sen vor zwei Jah­ren noch undenk­ba­ren Tabu­bruch ohne wei­te­re Fra­gen oder gar Ein­spruch zu verbreiten. 

Fear is the path to the dark side … fear leads to anger … anger leads to hate … hate leads to suffering.

Yoda

Hier ste­hen wir aktu­ell und ich will die­sen Weg nicht wei­ter­ge­hen. Wenigs­tens den letz­ten Teil die­ser Kau­sal­ket­te von Yoda, das Leid als Fol­ge des Has­ses, will ich ver­hin­dern. Wir mögen die­se kom­ple­xe Situa­ti­on unter­schied­lich betrach­ten, wir mögen unter­schied­li­cher Mei­nung sein, unse­re Ängs­te mögen ande­re sein und unse­re Bedürf­nis­se, aber wir las­sen uns nicht gegen­ein­an­der aus­spie­len und auf­het­zen. Nie­mals. Nicht in die­sem Land. Wir reden mit­ein­an­der, strei­ten uns über Daten, Fak­ten und ihre Inter­pre­ta­ti­on, wir brin­gen Argu­men­te und Gegen­ar­gu­men­te, wir hören ein­an­der zu und bemü­hen uns um Ver­ständ­nis. Und am Ende rei­chen wir uns die Hand für eine gemein­sa­me Zukunft in Frieden. 

Jen­seits von rich­tig und falsch liegt ein Ort. Dort tref­fen wir uns.

Rumi

Foto von Pla­to Ter­en­tev von Pexels.

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Von Marcus Raitner

Hi, ich bin Marcus. Ich bin der festen Überzeugung, dass Elefanten tanzen können. Daher begleite ich Organisationen auf ihrem Weg zu mehr Agilität. Über die Themen Führung, Digitalisierung, Neue Arbeit, Agilität und vieles mehr schreibe ich seit 2010 in diesem Blog. Mehr über mich.

13 Kommentare

Lie­ber Marcus,
Dan­ke für Dei­ne Per­spek­ti­ve auf die heu­ti­ge Situa­ti­on, die ich gut unter­stüt­zen kann. Und ja, auch ich mag die­se Art der Spal­tung nicht, beob­ach­te ich den Hass der deut­lich, der sich bei vie­len breit Macht, die sich hoff­ten dei Frei­heit erimpft zu haben. Die­se Angst wird damit noch­mals ver­stärkt, zumin­dest die aus Grün­den sich der­zeit ent­schie­den haben, an dem welt­wei­ten Feld­ex­pe­ri­ment nicht zu betei­li­gen. Ich habe schon eine Rei­he von Bekann­ten, geimpft und unge­impft, die inzwi­schen ziem­lich ob der wenig nach­voll­zieh­ba­ren Maß­nah­men am Rad dre­hen, und dadurch erkran­ken, aber eben nicht am Virus.
Ja, lasst uns wie­der zuhö­ren, in wel­chen Schu­hen der ande­ren wan­delt und uns ver­ste­hen und schau­en, wie wir aus die­ser Höl­le wie­der rauskommen.
Herz­li­che Grüße
Martin

p.s.: Ich bin geimpft und ste­he den­noch für die Gleich­be­hand­ling der Unge­impf­ten ein!
p.s. 2: guter Arti­kel zu dem, was gera­de hier mit zwi­schen Regie­rung und Bür­gern pas­siert: https://de.rt.com/meinung/127482-milgram-medien-im-gefangnisexperiment/

Es gibt kei­ne Spal­tung, das ist recht­se­so­the­ri­sches Geschwa­fel. Dafür müss­te eine Gesell­schaft näm­lich erst ein­mal eine pli­tisch homo­ge­ne Mas­se sein, das waren staat­lich ver­fass­te Grup­pen aber noch nie, dafür sind sie zu groß.

Dass man Angst erzeu­gen könn­te ist genau­so Unsinn. Angst hat man oder nicht. Punkt. Wenn jemand eine Arach­no­pho­bie hat kann ich die­se mit einem Pho­to des Sub­jekts ver­vor­ru­fen, mehr aber nicht. Man kann bei Men­sch­ne ohne die­se „Schwä­che“ kei­ne Panik herbeireden.

Dan­ke für den Kom­men­tar. Ich las­se ihn hier ohne wei­ter dar­auf ein­zu­ge­hen ste­hen als Illus­tra­ti­on dafür, was ich mit dem Arti­kel bekla­ge: Ein Dis­kurs fin­det nicht mehr statt und ist nicht gewünscht. Es geht nur dar­um die eige­nen Posi­ti­on durch­zu­set­zen und die ande­re Sei­te abzu­wer­ten. Wobei ich bei dem Begriff „recht­se­so­te­ri­sches Geschwa­fel“ tat­säch­lich ein wenig lächeln musste …

Dan­ke Titus. Du schriebst mir aus der See­le. Wer drauf pocht, dass „die Ande­ren“ spal­ten oder Angst schü­ren, könn­te bei sich anfangen…

Aber ich mache nie­man­den Vor­schrif­ten, wie er zu Den­ken hat. Sind alle Erwach­sen. Aber am Ende gibt es einen Mehr­heits­ent­scheid. Wenn jemand eine bes­se­re Idee hat, her damit. 

Die­ses Mim­i­mi gegen Din­ge, die nicht zu ändern sind und die ande­ren haben „Schuld“. Ein­fach Quark und ich bin müde.

Mar­cus, fand Dich mal kuhl. Scha­de eigentlich.

Dan­ke auch dir, Sören, für die­sen Kom­men­tar. Aus den­sel­ben Grün­den, wie ich Titus dank­te. Scha­de eigent­lich, dass du eine Dis­kus­si­on in der Sache nicht mal ver­suchst, son­dern mir anläss­lich eines Bei­trags gegen die Spal­tung der Gesell­schaft selbst Spal­tung vor­wirfst. Ich wür­de es eher Abwei­chung vom gän­gi­gen Nar­ra­tiv nen­nen oder mit dei­nen Wor­ten von den „Din­gen, die nicht zu ändern sind“. Doch die­se Spal­tung ist zu ändern und nicht hin­zu­neh­men. Ich schrieb im Mani­fest für mensch­li­che Füh­rung „Diver­si­tät und Dis­sens über Kon­for­mi­tät und Kon­sens“ und genau das ist mir hier und heu­te wich­ti­ger denn je. Aber ich habe ver­stan­den, dass du dar­über nicht dis­ku­tie­ren willst und muss nun damit leben, dass ich für dich nicht mehr kuhl bin. Das ist ok.

Scha­de dass hier kein Dis­kurs über das eigent­li­che The­ma die­ses Blogs ent­steht – Führung.

Wäre Deutsch­land ein Unter­neh­men und ich muss­te auf kun­unu bewer­ten, gäbe es für Füh­rungs­ver­hal­ten nicht mehr als zwei Ster­ne. Und das obwohl ich eini­ge der Pan­de­mie-Lösun­gen wie Imp­fung voll und ganz unter­stüt­ze. Ich befürch­te wir erzeu­gen gera­de einen unbe­weg­li­chen Tan­ker, wie z.B. ein Nokia es war. Aber viel­leicht muss man auch erst mal einen Eis­berg ram­men bevor sich unser poli­ti­sches und gesell­schaft­li­ches Betriebs­sys­tem trans­for­miert. Scha­de, denn das Mani­fest für mensch­li­che Füh­rung, das offen­sicht­lich vie­le ganz kuhl fan­den, zeigt eigent­lich wie es bes­ser geht.

PS: Es gibt tat­säch­lich gute Alter­na­ti­ven zum Mehr­heits­ent­scheid. Zum Bei­spiel den Kon­sent, bei dem Wider­stän­de inte­griert werden.

Vie­len Dank, lie­ber Tobi­as, für dei­nen Kom­men­tar und den Ver­such, die Dis­kus­si­on auf das The­ma des Blogs zurück­zu­brin­gen: Auf Füh­rung und in dem Fall auf Füh­rungs­ver­sa­gen. Dar­um schrieb ich den Arti­kel auch hier (ich hal­te mich sonst ja mit poli­ti­schen The­men eher zurück, obwohl es mich oft reizt). Dan­ke auch für dei­nen Hin­weis auf das Mani­fest für mensch­li­che Füh­rung, das ein paar klei­ne Fin­ger­zei­ge ent­hält. „Diver­si­tät und Dis­sens mehr als Kon­for­mi­tät und Kon­sens“ steht dort genau um Groupt­hink zu ver­mei­den und gemein­sam bes­se­re Lösun­gen zu fin­den. Der Mehr­heits­ent­scheid hilft da tat­säch­lich nur bedingt, wie man auch am The­ma der Impf­pflicht schön sieht. Alexis de Toc­que­ville spricht daher schon 1836 von einer Gefahr der „Tyran­nei der Mehrheit“

Arach­no­pho­bie ist kei­ne ange­bo­re­ne Angst son­dern eine Angst die durch Sozia­li­sa­tio­nen­steht, so wie die meis­ten Ängs­te. Es las­sen sich Ängs­te sehr wohl erzeugen.

Lie­ber Marcus,

vie­len Dank für die­sen Arti­kel und für den Mut, in die­sen dog­ma­ti­schen Zei­ten das Nar­ra­tiv und sei­ne Fol­gen kri­tisch zu beleuchten. 

Der nicht statt­fin­den­de Dis­kurs, ja, die tw. erheb­li­chen per­sön­li­chen Fol­gen für Dis­kurs­an­ge­bo­te sind oft erschre­ckend. Die ganz offen­sicht­li­che, von Anbe­ginn zuneh­men­de Spal­tung (und ihre Leug­nung) sind etwas, das noch sehr vie­le Jah­re ein hoch­be­las­ten­der Teil unser Gesell­schaft sein wird.
Die unter­schwel­li­gen Feind­se­lig­kei­ten, die sich in ers­ten Kom­men­ta­ren zei­gen, sind ein Zeug­nis davon; land­auf land­ab. Ich spü­re sie lei­der auch in mir; also ver­su­che ich, nicht mit Stei­nen zu werfen. 

Ich zer­bre­che mir schon lan­ge den Kopf dar­über, wie wir das über­win­den kön­nen, wie ich das über­win­den kann. Wie wir das hei­len kön­nen. Aber die Abso­lut­heits­an­sprü­che bei­der Sei­ten mani­fes­tie­ren sich aktu­ell eher noch. 

Es ist ja auch nicht so, dass das die ers­ten sich gegen­über­ste­hen­den Dog­men in unse­rer Geschich­te sind. Das war nicht immer einfach.
Aber zum ers­ten Mal seit lan­ger Zeit lei­tet eine Sei­te dar­aus wie­der das Recht ab, grund­ge­setz­lich garan­tier­te Frei­hei­ten und das Recht auf kör­per­li­che Unver­sehrt­heit (und eini­ges mehr) auszuhebeln.

Ok, wenn ich wei­ter schrei­be wird es noch ein eige­ner Blog ;-).

Ach ja, für mich hat Dein Blog 1:1 mit dem The­ma mensch­li­che Füh­rung zu tun, weil er erheb­li­che Defi­zi­te in unse­rer Gesell­schaft aufzeigt.

Vie­le Grüße
Rainer

Herr Dr. Raitner,

ich bin geimpft! Ich ver­traue Ärz­ten. Ich ver­traue 50 Mil­lio­nen mei­ner Mit­men­schen in Deutsch­land, die sich eben­falls für eine Imp­fung ent­schie­den haben. Sich gegen eine Imp­fung zu ent­schei­den hat mei­nes Erach­tens viel mit Ego­is­mus zu tun und weni­ger mit gesell­schaft­li­cher Ver­ant­wor­tung. Die Pole­mik, wir leben in einer Demo­kra­tie und jeder hat dar­in sei­ne Frei­heit für sich selbst zu ent­schei­den, fin­de ich an der Stel­le spä­tes­tens beschä­mend, wo die sozia­le Wohl­fahrt gefähr­det ist. Ich ver­traue auch Locke, Hob­bes und Rous­se­au. Die nicht ohne Grund in ihren Gedan­ken zum Gesell­schafts­ver­trag den natür­li­chen Ego­is­mus im Natur­zu­stand vor­an­ge­stellt haben. Die per­sön­li­che Nut­zen­ma­xi­mie­rung vs. gesell­schaft­li­cher Ver­ant­wor­tung, auch in Form von Ethik und Moral. Der Staat legi­ti­miert durch den Gesell­schafts­ver­trag, greift an der Stel­le ein, wo die sozia­le Wohl­fahrt gefähr­det ist und die indi­vi­du­el­le Nut­zen­ma­xi­mie­rung zuviel Raum gewinnt. Ich tei­le Ihre Ansicht zur Spal­tung als Ergeb­nis des staat­li­chen Han­delns nicht. Die Pan­de­mie ist für mich ana­log 2015 eine Büh­ne, auf der sich vor­han­de­ner Hass, Nar­ziss­mus und feh­len­de Moral als Prot­ago­nis­ten breit machen. Es mag an mei­nem Umfeld lie­gen, aber ich füh­re weni­ger Dis­kus­sio­nen im aka­de­mi­schen Umfeld, als in einem fer­nen Bil­dungs­mi­lieu und erle­be dort kei­ne kon­struk­ti­ve Aus­ein­an­der­set­zung auf der „Sei­te“ der Impf­geg­ner, son­dern Angrif­fe und ein per­ver­ses, fak­ten­fer­nes Selbst­ver­ständ­nis für die eige­ne Mei­nung, aber im Gegen­zug kei­ner­lei Respekt für die gesell­schaft­li­cher Ver­ant­wor­tung. Die Tona­li­tät liegt regel­mä­ßig auf sub­jek­ti­ven Ein­schät­zun­gen. Ergo bin ich auch weni­ger bereit zuzu­hö­ren und ande­re Mei­nun­gen zu akzep­tie­ren. Ich trei­be es sogar noch auf die Spit­ze. Wenn eine Mei­nung rein auf dem eige­nen Ego­is­mus beruht, dann hat die­se Mei­nung auch kei­ner­lei Akzep­tanz ver­dient. Was ich aller­dings in der Tat mehr als bedau­re, dass die Majo­ri­tät des indi­vi­du­el­len Ego­is­mus die Mög­lich­kei­ten der kon­struk­ti­ven Dis­kus­si­on erheb­lich ein­schränkt. Das liegt aber nicht dar­an, dass die „Geimpf­ten“ gegen die „Unge­impf­ten“ (wenn mir der Dua­lis­mus an die­ser Stel­le erlaubt sei) auf­be­geh­ren, son­dern dass in mei­ner Wahr­neh­mung die feh­len­de Elas­ti­zi­tät der Mei­nun­gen gegen Imp­fung und Unver­ständ­nis für Maß­nah­men so starr aus­fällt, dass jeg­li­cher Raum für ehr­li­ches Hin­ter­fra­gen ver­lo­ren­ge­gan­gen ist. Das sieht man selbst auf Linkedin…hier wer­den Vide­os aus einer Patho­lo­gie gepos­tet und „gefei­ert“, die mit ein wenig Recher­che als Pole­mik, Fake Fakts etc. kennt­lich gemacht wer­den kön­nen. Trotz­dem macht sich dies selbst in einem intel­lek­tu­el­len Netz­werk breit. Warum?

Nun ist es aber auch so, dass ich Ihnen vie­le Jah­re fol­ge und ihre Ansich­ten oft­mals tei­le. Des­we­gen zäh­len Sie auch zu einem Kreis von Men­schen, denen ich eben­falls ver­traue und mich defi­ni­tiv zum Nach­den­ken brin­gen. Nicht wegen Mei­nun­gen, son­dern wegen Fak­ten. Aller­dings kann ich in der hier beschrie­be­nen Hal­tung (nicht Mei­nung) nur wenig erken­nen, wie Sie dem The­ma Pan­de­mie, Imp­fung etc. grund­sätz­lich gegen­über ste­hen und wor­aus Sie Ihre Hal­tung ablei­ten. Denn da wäre mei­ne aktu­el­le Antwort…die evi­denz­ba­sier­te Medi­zin lie­fer­te mir als Fach­frem­den genü­gend Grün­de, dass ein Schutz vor dem Virus erfor­der­lich ist…auch wenn wir aktu­ell noch nicht alle adäqua­ten Ant­wor­ten gefun­den haben…und aus die­sem Grund muss auch ein Sou­ve­rän manch­mal die ver­meint­lich erst­mal offen­sicht­li­chen Schlüs­se und Maß­nah­men zie­hen, die sich im Nach­hin­ein als nicht voll­stän­dig kor­rekt erwei­sen, die aber in der Fak­ten­la­ge vor­erst nicht anders begrün­det wer­den konn­ten. Sie sind aber inso­fern als kor­rekt zu wer­ten, solan­ge kein Leid für Leib und Leben dar­aus resultiert. 

Herz­lichst, Jens König

Lie­ber Herr König, dan­ke für die­sen aus­führ­li­chen Kom­men­tar, der mich auch zum Nach­den­ken gebracht hat. Ich gebe Ihnen Recht, dass bei­de Sei­ten die­sen Gra­ben ver­tie­fen, ich in dem Arti­kel aber nur von der Sei­te der Min­der­heit argu­men­tiert hat­te. In die­ser Min­der­heit der Men­schen die sich war­um auch immer gegen eine Imp­fung ent­schie­den haben gibt es tat­säch­lich die­se von Ihnen beschrie­be­nen radi­ka­len Ele­men­te. Aus mei­ner Sicht (und in mei­ner Fil­ter­bla­se) sind das aber die Min­der­heit und umge­kehrt erle­be ich gera­de in aka­de­mi­schen Umfel­dern sehr vie­le sehr gut infor­mier­te und gera­de dadurch kri­ti­sche Menschen. 

Im Kern geht es mir aber ja dar­um, dass wir mit­ein­an­der und des­halb will ich mich Ihrem Dia­log auch nicht ent­zie­hen, auch wenn der Arti­kel natür­lich gar nicht dazu gedacht war mit­tels Fak­ten über ein Für und Wider einer Imp­fung oder gar eine Impf­pflicht auf­zu­klä­ren. Sie nen­nen Rous­se­au und da kommt mir sei­ne Defi­ni­ti­on von Frei­heit in den Sinn, die ich sehr schätze: 

Die Frei­heit des Men­schen liegt nicht dar­in, daß er tun kann, was er will, son­dern daß er nicht tun muß, was er nicht will.

Was kann man also jemand vor­wer­fen, der sich nicht imp­fen las­sen will? Sie schrei­ben von Ego­is­mus und argu­men­tie­ren gleich­sam mit einer mora­li­schen und gesell­schaft­li­chen Ver­pflich­tung, sich imp­fen zu lassen.

Die Fak­ten spre­chen der­zeit aller­dings eine ande­re Spra­che: Die der­zeit ver­füg­ba­ren Impf­stof­fe sind nicht geeig­net, eine ste­ri­le Immu­ni­tät und damit eine Her­den­im­mu­ni­tät her­zu­stel­len. Sie schüt­zen allen­falls in gewis­sem Maß für eine gewis­se Zeit (Boos­ter!) vor einem schwe­ren Ver­lauf der Krank­heit, was ja nicht nichts ist. Gleich­zei­tig haben die der­zeit ver­füg­ba­ren Impf­stof­fe signi­fi­kan­te Neben­wir­kun­gen, z.B. ein Risi­ko von 1:5000 bis 1:1000 (je nach Stu­die) für eine schwe­re Herzmuskelentzündung.

Die ein­zi­ge mora­li­sche Ver­pflich­tung die folg­lich blei­ben könn­te, wäre durch die flä­chen­de­cken­de Imp­fung die Schwe­re der Krank­heits­last in der Bevöl­ke­rung zu redu­zie­ren und dadurch das Gesund­heits­sys­tem zu ent­las­ten oder es wenigs­tens nicht zu überlasten.

Die­se Schwe­re der Krank­heits­last – auch das wis­sen wir mitt­ler­wei­le sehr genau – ist in der Bevöl­ke­rung völ­lig ungleich ver­teilt: alte und / oder vor­er­krank­te Men­schen sind im Wesent­li­chen die Leid­tra­gen­den. Dar­aus folgt aber, dass das Argu­ment der Reduk­ti­on der Krank­heits­last dif­fe­ren­ziert nach Alter betrach­tet wer­den muss. Soll hei­ßen, der gesun­de 20-Jäh­ri­ge oder noch extre­mer das 5‑jährige Kind hat ohne­hin ein ver­schwin­den­des Risi­ko das Gesund­heits­sys­tem durch COVID-19 zu belas­ten; die Reduk­ti­on die­ses Risi­kos durch die Imp­fung spielt also bei die­sen ohne­hin kaum betrof­fe­nen Men­schen eigent­lich kei­ne Rolle.

Eine all­ge­mei­ne mora­li­sche Ver­pflich­tung kann ich daher beim bes­ten Wil­len nicht erken­nen und hal­te es mit Rousseau.

Sehr wei­se Ant­wort, die ich voll teile.

Mir fehlt bei den Kri­ti­kern (um mich zu über­zeu­gen) auch das Auf­zei­gen von Alter­na­ti­ven oder alter­na­ti­ven Maß­nah­men. Ich lass mich ja gern über­zeu­gen, aber wer meint, „lau­fen las­sen“ (ohne jede Maß­nah­me) sei rich­tig, dem kann ich auf­grund der dro­hen­den Kon­se­quen­zen (direk­te Todes­zah­len, Aus­las­tung Gesund­heits­we­sen mit Kol­la­te­ral­schä­den auf ande­re Erkrank­te) sagen, dass ich die­se Mei­nung sicher nicht teile.

Und mich stört ehr­lich gesagt (am Bei­spiel Imp­fung und Mei­nungs­frei­heit hin oder her), war­um eini­ge von die­sen Kri­ti­kern oft mit Fehl­in­for­ma­tio­nen (hab da schon eini­ge Whats­app Sta­tus gese­hen, bei denen selbst Pro­zent­rech­nen nicht beherrscht wird) bewusst alle ande­ren ver­un­si­chern wol­len. Von mir aus kei­ne Impf­zu­stim­mung für sich selbst, aber alle ande­ren davon über­zeu­gen wol­len? Warum?
Und anders als bei man­chen ande­ren The­men, hat in die­sem Fall die eige­ne Hal­tung eine Aus­wir­kung auf die Gesellschaft.

Ich bin auch nicht der Mei­nung, dass die Poli­tik ver­sagt hät­te. Im Gegen­teil, sehe ich es als gro­ße Errun­gen­schaft der Poli­tik, dass sie unlieb­sa­me Maß­nah­men unter Berück­sich­ti­gung wis­sen­schaft­li­cher Bera­tung getrof­fen haben, obwohl sie damit Wäh­ler­stim­men ris­kie­ren. Das pas­siert oft genug nicht, son­dern es wer­den in der Regel lie­ber nur Geschen­ke ver­teilt OHNE die Wahr­heit zu sagen (Ren­te & Co.).
Ich glau­be Angst funk­tio­niert in (Quasi-)Diktaturen als Form von Macht­er­halt (sie­he Weiß­russ­land, Tür­kei, Chi­na), nicht aber in nor­ma­len Demo­kra­tien. Übri­gens haben die meis­ten (west­li­chen) Län­der ähn­lich reagiert, so schlecht kann das im Gro­ßen und Gan­zen nicht gewe­sen sein (oder zei­ge mir einer DAS Vorzeigeland).
Das zeigt mir wei­ter­hin, dass in der Demo­kra­tie ja auch die Bür­ger mit­tel­fris­tig Ein­fluss dar­auf haben und zwar mit dem Ergeb­nis des letz­ten Bun­des­tags­wahl, dass die Kri­ti­ker von allem (im Wesent­li­chen ja nur die AfD) nicht viel bes­ser als vor­her weg kamen und die bis­her Ver­ant­wort­li­chen (hal­be Regie­rung) aus dem Amt gewählt wurden.
Am Ende glau­be ich, hät­te es auch kei­nen opti­ma­len Poli­ti­ker gege­ben, der alles rich­tig gemacht hät­te (und man hat als Bür­ger den Vor­teil, im Nach­hin­ein klug daher reden zu kön­nen). Jeder hät­te Feh­ler gemacht, jeder von uns an der Posi­ti­on, jeder Top-Mana­ger, ein­fach jeder.
Ich glaub die Poli­ti­ker machen es sich nicht zu leicht. Kei­ner hat Spaß dar­an sol­che Ent­schei­dun­gen zu tref­fen (oder nicht zu tref­fen), kei­ner hat einen per­sön­li­chen Vor­teil (die Mas­ken-Dea­ler mal ausgenommen).

Und genau­so sehe ich wie Jens als Fach­frem­der, dass man an man­chen Punk­ten auch Fach­leu­ten ein­fach ver­trau­en kann und soll­te. Ja, hin­ter­fra­gen, aber sich von Fak­ten und Argu­men­ten über­zeu­gen lassen.

Ich tei­le aber auf jeden Fall auch Mar­cus‘ Schluss­wort, den Dia­log zu pfle­gen und Argu­men­te auszutauschen.

Hal­lo Mar­cus, ich konn­te den bei­trag jetzt erst lesen, aber erhat nur noch an Aktua­li­tät gewon­nen, wenn man die Lage rund um die Ukrai­ne mit ein­be­zieht. Dis­kurs oder Kon­sens kommt heu­te nicht mehr vor, man sieht das deut­lich an den Lagern Rie­gie­rung und Opo­si­ti­on. bes­ser ist eine Spal­tung doch gar nicht dar­zu­stel­len. Nie­mand in der 3er Koali­ti­on ist an der mei­nung der Opo­si­ti­on inters­siert und die Mäch­ti­gen wol­len ihre Posi­ti­on, die sie als die ein­zig wah­re und rich­ti­ge sehen, durch­set­zen. Das hat sich nun von der Poli­tik deut­lich auf die Geschell­schaft über­tra­gen. Die Fra­ge, wer Hass und Het­ze ver­brei­tet oder zumin­dest begüns­tigt, möch­te ich gar nicht erst stel­len. Hof­fent­lich erreicht die­se Schief­la­ge nicht unse­re betrie­be und die Beleg­schaf­ten. Und genau hier schließt sich der Kreis zum The­ma Füh­rung. Die Kunst der Diplo­ma­tie, ob in der Poli­tik, der gesell­schaft oder im Unter­neh­men, ist auf dem Rück­zug. Die Aus­ein­ader­set­zun­gen wer­den inten­si­ver und här­ter. Die Lösun­gen aber schlechter.

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