Work-Life-Balance: Unterscheide ohne zu trennen

Noch nie war ich ein gro­ßer Fan des Begriffs der Work-Life-Balan­ce. Er sug­ge­riert eine Tren­nung, die ich so nicht bereit bin zu akzep­tie­ren. Wenn etwas die Balan­ce ver­lo­ren hat, dann doch wohl unser Wirt­schaf­ten, wo Arbeit so gestal­tet ist, dass sie nur mit ent­spre­chen­dem Gegen­ge­wicht erträg­lich wird. Lasst uns also nicht nach mehr Work-Life-Balan­ce stre­ben, son­dern nach nach einer lebens­wer­ten Arbeits­welt, in der Men­schen ihr gan­zes Poten­ti­al zur Ent­fal­tung brin­gen kön­nen anstatt nur Human­re­sour­ce zu sein. Lasst uns die ver­schie­de­nen Lebens­be­rei­che unter­schei­den ohne zu trennen.

Gallup Engagement Index Deutschland 2001-2018. Sinnentleerte Arbeit wird nur durch Work-Life-Balance erträglich

Jedes Jahr bin ich aufs Neue ent­setzt über die Ergeb­nis­se des Gal­lup Enga­ge­ment Index. Wir kön­nen es uns ein­fach nicht leis­ten, dass 70% der Men­schen in deut­schen Unter­neh­men nur Dienst nach Vor­schrift machen. Das ver­schwen­det kost­ba­re Lebens­zeit einer­seits und krea­ti­ves Poten­ti­al andererseits. 

Die Ursa­che die­ser Ver­schwen­dung liegt in der Art und Wei­se, wie wir Orga­ni­sa­tio­nen bis­her gebaut haben und wie wir sie betrei­ben. Wo Men­schen nur als Räd­chen in einer rie­si­gen see­len­lo­sen Maschi­ne ein­ge­setzt wer­den, ist Dienst nach Vor­schrift die logi­sche Fol­ge. Mensch­li­che Arbeit wird in die­sem Para­dig­ma zu einem läs­ti­gen Übel, das es zu ver­mei­den gilt – für den Arbeit­ge­ber genau­so, wie für den Arbeit­neh­mer, wie E.F. Schu­ma­cher das in sei­nem sehr emp­feh­lens­wer­ten Buch „Small is beau­tiful: Eco­no­mics as if Peo­p­le Mat­te­red“ (Ama­zon Affi­lia­te-Link) tref­fend ausführt:

The­re is uni­ver­sal agree­ment that a fun­da­men­tal source of wealth is human labor. Now, the modern eco­no­mist has been brought up to con­sider “labor” or work as litt­le more than a neces­sa­ry evil. From the point of view of the employ­er, it is in any case sim­ply an item of cost, to be redu­ced to a mini­mum if it can­not be eli­mi­na­ted altog­e­ther, say, by auto­ma­ti­on. From the point of view of the work­man, it is a “dis­uti­li­ty”; to work is to make a sacri­fice of one’s lei­su­re and com­fort, and wages are a kind of com­pen­sa­ti­on for the sacri­fice. Hence the ide­al from the point of view of the employ­er is to have out­put wit­hout employees, and the ide­al from the point of view of the employee is to have inco­me wit­hout employment.

E.F. Schu­ma­cher, Small is beautiful

In genau die­sem Denk­rah­men hat das Kon­zept der Work-Life-Balan­ce sei­nen Ursprung und eine gewis­se Berech­ti­gung. Es besei­tigt jedoch nicht die Ursa­chen des Pro­blems, son­dern kuriert nur ein wenig die Sym­pto­me, in dem es neben der sinn­ent­leer­ten und lebens­fer­nen Arbeit Raum schafft für das „rich­ti­ge“ Leben und die Ver­wirk­li­chung der indi­vi­du­el­len Talen­te und Hoffnungen. 

Unter­schei­de ohne zu tren­nen – ver­bin­de ohne zu egalisieren

Her­bert Pietschmann

Wie viel mehr Lebens­qua­li­tät einer­seits und Arbeits­er­geb­nis­se ande­rer­seits wären aber mög­lich, wenn es gelän­ge, die­se Tren­nung auf­zu­he­ben und der Arbeit wie­der Leben ein­zu­hau­chen? Sei­ne ernüch­tern­de Ana­ly­se kon­tras­tiert Schu­ma­cher des­halb auch mit einem ganz­heit­li­chen Blick auf Arbeit:

The Bud­dhist point of view takes the func­tion of work to be at least three­fold: to give a man a chan­ce to uti­li­ze and deve­lop his facul­ties; to enable him to over­co­me his ego-cen­te­red­ness by joi­ning with other peo­p­le in a com­mon task; and to bring forth the goods and ser­vices nee­ded for a beco­ming exis­tence. Again, the con­se­quen­ces that flow from this view are end­less. To orga­ni­ze work in such a man­ner that it beco­mes meanin­g­less, bor­ing, stul­ti­fy­ing, or ner­ve-rack­ing for the worker would be litt­le short of cri­mi­nal; it would indi­ca­te a grea­ter con­cern with goods than with peo­p­le, an evil lack of com­pas­si­on and a soul-des­troy­ing degree of attach­ment to the most pri­mi­ti­ve side of this world­ly exis­tence. Equal­ly, to stri­ve for lei­su­re as an alter­na­ti­ve to work would be con­side­red a com­ple­te misun­derstan­ding of one of the basic truths of human exis­tence, name­ly that work and lei­su­re are com­ple­men­ta­ry parts of the same living pro­cess and can­not be sepa­ra­ted wit­hout des­troy­ing the joy of work and the bliss of leisure.

E.F. Schu­ma­cher, Small is beautiful

Egal wie gut aus­ba­lan­ciert, die ein­zel­nen Lebens­be­rei­che las­sen sich nicht tren­nen. Sie sind immer inte­gra­ler Bestand­teil eines ein­zel­nen Men­schen­le­bens. Erst durch ihr har­mo­ni­sches Mit­ein­an­der gelingt die­ses Leben. Und Orga­ni­sa­tio­nen tra­gen Ver­ant­wor­tung nicht nur für ihre Ergeb­nis­se, son­dern auch für die Gesell­schaft und ins­be­son­de­re ihre Mit­ar­bei­ter. Anstatt also grund­sätz­li­che Defi­zi­te mit ein paar Ange­bo­ten zur Work-Life-Balan­ce zu kaschie­ren wird es Zeit die Prin­zi­pi­en unse­res Wirt­schaf­tens zu hin­ter­fra­gen und Orga­ni­sa­tio­nen und die Arbeit dar­in men­schen­wür­di­ger zu gestal­ten. Ich habe die­sen Traum und bin nicht bereit ihn auf­zu­ge­ben.

You’ve got to find what you love. And that is as true for your work as it is for your lovers. Your work is going to fill a lar­ge part of your life, and the only way to be tru­ly satis­fied is to do what you belie­ve is gre­at work. And the only way to do gre­at work is to love what you do. If you haven’t found it yet, keep loo­king. Don’t settle.

Ste­ve Jobs

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Von Marcus Raitner

Hi, ich bin Marcus. Ich bin der festen Überzeugung, dass Elefanten tanzen können. Daher begleite ich Organisationen auf ihrem Weg zu mehr Agilität. Über die Themen Führung, Digitalisierung, Neue Arbeit, Agilität und vieles mehr schreibe ich seit 2010 in diesem Blog. Mehr über mich.

2 Kommentare

Hi Mar­cus,

Klas­se Blog­bei­trag. Wirk­lich sehr lesens­wert. „Egal wie gut aus­ba­lan­ciert, die ein­zel­nen Lebens­be­rei­che las­sen sich nicht tren­nen. Sie sind immer inte­gra­ler Bestand­teil eines ein­zel­nen Men­schen­le­bens.“ – genau das ist es!!

Ich fin­de auch, dass die Tren­nung von Work und Life nicht nur abso­lut unmög­lich ist, son­dern es auch schwach­sin­nig anmut­tet, die Arbeit und das Leben unter­be­wusst als Gegen­satz­paar zu posi­tio­nie­ren. Als wäre Arbeits­zeit kei­ne Lebenszeit.

Natür­lich ist Frei­zeit wich­tig und Balan­ce muss durch­aus gefun­den wer­den in Zeit­al­tern, die mehr denn je zu Burn­out und Co nei­gen, aber ich fin­de, wenn da ein paar grund­le­gen­de Din­ge beach­tet wer­den, wie bei­spiels­wei­se am Sams­tag mal nur für die Kin­der da sein und nicht dau­ernd in die Fir­men-E-Mails zu schau­en (Tipps die­ser Art stel­le ich in mei­nem eige­nen Blog­bei­trag zu dem The­ma vor: https://ausbilderschein24.de/work-life-balance-optimieren/) , dann ist das bereits die hal­be Miete.

In die­sem Sin­ne noch­mals dan­ke für den tol­len Bei­trag. Wer­de dich bookmarken!

Vie­le Grüße

Vie­len Dank, Den­nis. Ich wür­de sogar noch wei­ter gehen (frei nach Ricar­do Sem­ler): Wir haben zwar gelernt am Wochen­en­de Mails zu beant­wor­ten, aber gleich­zei­tig nicht gelernt unter der Woche auch mal für die Kin­der Zeit zu haben. Mir geht es um die­se naht­lo­se Inte­gra­ti­on und den flie­ßen­den Übergang.

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